Megatrends Was die Zukunft Personalern abverlangt

Das Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen hat sich intensiv mit der Zukunft auseinandergesetzt - und neun Megatrends identifiziert, die sich auf das Human Resource Management auswirken. Wie Personaler am Besten auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren.

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Eine Kuh trinkt aus der kleinen Wasserlache, den Resten eines Sees in Indien. Konflikte um knapper werdende Ressourcen wie Wasser bilden einen der Megatrends, auf die sich Personaler einstellen sollten. Quelle: dpa

Durch Literatur und Internet stieß die Forschergruppe auf über 160 Trends. Diese wurden zu neun Megatrends geclustert.

Ein Megatrend ist eine langfristige, mehrdimensionale Veränderung der Gesellschaft. Er umfasst technologische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Komponenten.

Megatrends kennen immer einen Gegentrend. Die Entwicklung der Zukunft lässt sich deshalb am besten durch Spannungsfelder beschreiben.

Für die Zukunft des Human Resource Managements (HRM) sind vor allem die Spannungsfelder Wissen, Macht und soziale Einheit relevant. Sie beschreiben, wie die Gesellschaft mit der Zunahme von Information umgeht, wie die Arbeitsteilung organisiert wird und welche Rolle die Arbeit im Leben der Menschen einnimmt.

Demografischer Wandel

Die Fortschritte der Medizin sowie bessere Ernährung und Hygiene führen zu einer Verlängerung der Lebenszeit. Gleichzeitig verringern sich die Fertilitätsraten. Kinder werden als Hindernis der Selbstverwirklichung wahrgenommen und sind nicht mehr nötig, um im Alter abgesichert zu sein. Westliche Gesellschaften schrumpfen. Der Altersdurchschnitt nimmt zu.

Nicht westliche Gesellschaften wachsen. Es kommt zu umfassenden Völkerwanderungen in die reichen Gesellschaften. Der Kampf der Kulturen wird wahrscheinlicher. Die ländlichen Gebiete werden durch die Urbanisierung entvölkert. Das Leben findet in den Städten statt.

Wissensgesellschaft

In reifen Wissensgesellschaften ist Wissen die zentrale Tauschmaterie und der überragende Produktionsfaktor unserer Organisationen. Die Grundbedürfnisse sind bei einer Vielzahl der Menschen gesättigt. Man kümmert sich stattdessen um sein psychisches und physisches Wohl.

Das Wissensmanagement wird für Unternehmen und Individuen zur wettbewerbsentscheidenden Managementaufgabe. Organisationen und Wissensarbeiter treffen sich in Projekten statt in lebenslangen Arbeitsverhältnissen. Arbeitsplatzsicherheit wird durch Arbeitsmarktfähigkeit ersetzt. Bildungs- und Wissensunterschiede nehmen zu, auch wenn das Internet die Möglichkeit zum Ausgleich schafft.

Vernetzung

Die gesellschaftlichen Organisationen spezialisieren sich. Durch Vernetzung schaffen Individuen und Organisationen Identität. Sinkende Transport- und Kommunikationskosten machen die Welt im Sinne der Globalisierung flach.

Das Netzwerk ist die dominierende Metapher des neuen Jahrhunderts. Im Internet ist alles immer nur einen Klick voneinander entfernt. Das Internet wird zum neuen Zuhause. Das Leben findet in der Virtualität statt. Der Mensch verschmilzt mit der Maschine Internet, es bildet sich eine Menschheit der nächsten Generation heraus.

Es entstehen neue Formen der Kriminalität. Wenn alles miteinander verbunden ist, steigt die Gefahr, dass ein einzelnes Ereignis das gesamte System lahmlegt.

Zentralisierung

Die Logik des Netzwerks führt dazu, dass den Knotenpunkten eine besondere Bedeutung zukommt. Es entstehen umfassende Zentren mit überdurchschnittlicher Macht. Sie drängen auf eine Standardisierung von Medien, Zugängen, Prozessen und Instrumenten. Dies garantiert die größtmögliche Effizienz.

Das Wachstumsparadigma fordert beständiges Wachstum. Die Organisationen verschmelzen zu Konzernen. Probleme können durch Zentralisierung schnell und effizient gelöst werden.

Der Staat erlebt ein Comeback. Die Gesellschaft wird anfällig für Diktaturen. Der einzelne Mensch tut dann nicht mehr, was er will. Er folgt der Befehlsausgabe des Systems. Es droht Überwachung und Kontrolle.

Selbstverwaltung

Als Gegenreaktion auf die Zentrumsbildung gewinnen Dezentralisierung und Selbstverwaltung an Bedeutung. Die Menschen organisieren sich in kleinen Einheiten und entgehen damit der Macht der Zentren. Diese werden durch politische Haltungen und Aktionen in Frage gestellt.

Die Selbstverwaltenden bringen alternative Lebensweisen hervor, die den Fortschritt im Sinne der Effizienz und des Kapitalismus in Frage stellen. Sie reduzieren den Konsum und suchen nach Alternativen der Selbstvervollständigung. Anstatt zu kaufen, produzieren sie selbst.

Besitz wird durch die Möglichkeit zur Miete relativiert. Das langsame und lokale Leben wird als eigentlicher Luxus erkannt. Die Reduktion des Egos bringt eine neue Sozialverantwortung.

Identitätsjagd

Individualisierung ist der zentrale Megatrend der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Sie hat ihren Ursprung im Bedeutungsverlust von Kirche, Staat, Familie und Berufsethos im letzten Jahrhundert und kommt nun voll zur Geltung.

Das Individuum ist das dominierende System der Moderne. Es setzt sich in die Mitte seiner Lebensgestaltung. In einem umfassenden Pluralismus muss das Individuum seinen eigenen Weg finden.

Das Leben wird zu einer endlosen Arbeit an der eigenen Identität. Ich bin, was ich kaufe, wofür ich mich einsetze und die Netzwerke, denen ich mich anschließe. Sexualität, Arbeit, Lebensphilosophie und Glauben unterstehen keinen Diktaten mehr.

Cocooning

Die Hast der Wissensgesellschaft und die Aufforderung etwas Einzigartiges zu sein, strengen an. Das Individuum wird müde, sich selber zu suchen, sich zu verwirklichen und sich anderen gegenüber zu exponieren.

Schutz und Erholung findet es im vertrauten Umfeld. Die Individuen bauen sich Nester, in denen sie Sicherheit und Geborgenheit finden. Familie, Religion und Nachbarschaft feiern ein Comeback.

Dieselbe Sicherheit stiften geschlossene Gesellschaften. Zutritt erhält nur, wer eine Einladung eines Mitglieds erhält. Geschlossene Gesellschaften verfügen über hohes ökonomisches, kulturelles oder soziales Kapital. Liebe gewinnt zusätzliche Bedeutung. Sie ist deshalb so begehrt, weil sie weder kauf- noch berechenbar ist.

Sicherheit

Wir leben in einer Gesellschaft, in der unaufhörlich neue Risiken und Ängste entstehen. In einer vernetzten Welt sind die Systeme leicht angreifbar.

Sozialer Ungehorsam, Piraterie, Terrorismus und Datenmissbrauch stellen unsere Sicherheit in Frage. Dieselbe Verunsicherung löst die Natur aus. Klimaerwärmung, Pandemien, Übernutzung der Natur und Urbanisierung erhöhen das Risiko, Opfer von Naturkatastrophen zu werden. Risiken werden bewusst produziert, um Meinungen zu bilden und Gewinne abzuschöpfen.

Das subjektive Unsicherheitsgefühl nimmt zu. Aus potenziellen Gefährdungen entstehen Sicherheitsbedürfnisse. Paradoxerweise verstärkt sich durch die Maßnahmen das Gefühl der Unsicherheit. Machtzentren profitieren von der Verunsicherung.

Knappheit

Eine bevölkerungsreiche und zivilisierte Erde braucht viele Ressourcen. Boden, Luft und Wasser werden verschmutzt, Arten sterben aus, Biosysteme klappen zusammen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Energie, Wasser und Wohnraum stößt an Grenzen.

Wir setzen auf Gen- und Biotechnologie um an Ressourcen zu kommen. Gleichzeitig sucht der Mensch in der Tiefe der Meere, im Weltall und an den Polen des Planeten nach Ressourcen.

Aufgrund der Knappheiten kommt es zu Kriegen. Der Umgang mit unserem natürlichen Reichtum wird unter dem Stichwort der Nachhaltigkeit politisiert und ökonomisiert. Es entstehen andere Märkte in Politik und Wirtschaft. Grün und gesund zu leben wird zur Religion. Nicht alle können sich das leisten.

Folgen für das Personalwesen

Wie das Personalwesen in der Zukunft aussehen wird, wird hier nicht vorhergesagt. Stattdessen werden an dieser Stelle die Herausforderungen präsentiert, die mit großer Wahrscheinlichkeit in der Zukunft vom HRM bewältigt werden müssen.

Das Human Resource Management wird als Managementfunktion verstanden, die das gesamte Wissen einer Organisation optimiert. Am Wissen kleben die Emotionen von Kunden und Mitarbeitenden. Ein so verstandenes HRM ist eine Idee der Zukunft; häufig ist das Management des Humankapitals über verschiedene Organisationsfunktionen verteilt.

Es wird zwischen personalen und organisationalen Herausforderungen unterschieden. Die personalen Heraus- forderungen betreffen die einzelnen Mitarbeiter. Die Bewältigung liegt in der Verantwortung der Personalentwicklung. Im Zuge der Wissensgesellschaft wandert die Verantwortung für die eigene Entwicklung in die Hände des Individuums.

Die organisationalen Herausforderungen betreffen die Organisation als Ganzes. Für deren Bewältigung ist die Organisationsentwicklung zuständig. Von der Organisationsentwicklung profitieren alle Mitarbeitenden. Die Zuständigkeit für die Bewältigung dieser Aufgaben ist in vielen Organisationen unklar.

HRM in Wissensökonomie wichtiger

Die offensichtlichste Folge für das HRM ist sein Bedeutungsgewinn. In einer immateriellen Wissensökonomie sind die Mitarbeitenden das wichtigste Kapital eines jeden Unternehmens. Dies ist seit Jahren eine Binsenwahrheit. Viele Unternehmen haben sie erkannt, erst wenige handeln danach.

Die Arbeit nimmt im Leben eines Wissensarbeiters eine andere Rolle ein. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit werden fließend, der größte Teil der Arbeit kann an einem beliebigen Ort über das Internet abgewickelt werden. Arbeit ist auch Identitätsarbeit. Organisationen treten in ein gesellschaftliches Vakuum, das durch den Bedeutungsverlust von Kirche, Staat und Familie entstanden ist. Als Arbeitgeber bieten Organisationen nicht nur Arbeit an. Sie stiften Identität, Sinn und Zukunftsorientierung. Sie erhalten, ob sie dies wollen oder nicht, einen quasireligiösen Charakter.

Ausblick

Arbeit hat das Potenzial selbstbestimmter, individueller und sinnvoller zu werden. Unternehmen stehen in einer stärkeren Verantwortung für die Gestaltung der Arbeitsumwelt, weil die Arbeit im Leben des modernen Menschen eine zentrale Rolle einnimmt. Nicht alle haben jedoch dieselbe Teilhabe an der Wissensgesellschaft. An der Transformation der Arbeitswelt sollten sich Unternehmensführung, HRM, Mitarbeitende und Gewerkschaften beteiligen.

Bei aller Zukunftsorientierung gilt es nicht zu vergessen, dass sich viele Arbeiten auch in den nächsten zwanzig Jahren nicht verändern. Auch in Zukunft werden Toiletten gereinigt und Fließbänder besetzt.

Die Gastautoren:

Dr. Joël Luc Cachelin , Inhaber von wissensfabrik.ch, St. Gallen

Hans Oswald , Geschäftsführer von Oswald Human Resources, St. Gallen

Prof. Dr. Peter Maas , Vize-Direktor, Institut für Versicherungswirtschaft, Universität St. Gallen

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