Mehr Transparenz EU will Marktmacht der Wirtschaftsprüfer zerschlagen

Es brechen harte Zeiten an für Wirtschaftsprüfer: EU-Kommissar Michel Barnier will die Macht der großen Gesellschaften brechen und mehr Transparenz erzwingen. Setzt er sich wirklich durch, wird die Branche auf den Kopf gestellt. Darunter würden vor allem die großen Vier der Branche leiden.

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Ernst & Young: Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen macht im Jahr einen weltweiten Umsatz von rund 15 Milliarden Euro. Quelle: ap

BRÜSSEL. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier will Wirtschaftsprüfer an die kurze Leine nehmen. Im Visier hat er vor allem die großen vier der Branche: PwC, KPMG, Deloitte und Ernst & Young hätten bei der Bilanzprüfung von Aktiengesellschaften "in den meisten EU-Staaten einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent". Eine derartige Marktkonzentration berge "systemische Risiken", heißt es in einem Grünbuch, das der Kommissar heute vorstellen will und das dem Handelsblatt bereits vorliegt. Beim Grünbuch handelt es sich um die erste Stufe eines EU-Gesetzgebungsverfahrens. 2011 will Barnier eine EU-Richtlinie oder-Verordnung vorlegen.

Die Wirtschaftsprüfer müssen sich auf harte Zeiten einstellen. Denn Barnier hegt erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit der derzeit üblichen Bilanzprüfung. Dem EU-Kommissar missfällt insbesondere, dass Wirtschaftsprüfer von dem zu prüfenden Unternehmen engagiert und auch bezahlt werden. Darin sieht Barnier einen "Systemfehler". Deshalb sei zu überlegen, ob die "Berufung und Bezahlung" einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft "in die Verantwortung einer dritten Partei, vielleicht einer Aufsichtsbehörde", übertragen werden müsse. Im Klartext: Unternehmen sollen sich ihre Wirtschaftsprüfer nicht mehr selbst aussuchen, und das Honorar könnte staatlich festgelegt werden.

Finanzkrise legte die Probleme offen

Ein derart weitreichender staatlicher Eingriff in die Branche ist in der EU-Kommission selbst umstritten. Barniers deutscher Amtskollege Günther Oettinger legte bereits Protest ein. Barniers Vorstoß sei "übertrieben interventionistisch", heißt es im Umfeld des deutschen Kommissars. Die Freiheit des Berufsstandes sei bedroht.

Barnier verweist seinerseits darauf, dass die Finanzkrise große Schwächen der Wirtschaftsprüfer zutage gefördert habe. Sie hätten nicht rechtzeitig vor den in den Bankbilanzen schlummernden Risiken gewarnt. Daraus hätten manche EU-Staaten bereits Schlüsse gezogen und strikte Regeln für Wirtschaftsprüfer erlassen.

So müssen Unternehmen in Frankreich ihre Bilanz zwei Wirtschaftsprüfern vorlegen. Ein solche "doppelte Prüfung" könne überall in der EU nötig werden, heißt es in dem Grünbuch. Die Kommission will den Unternehmen zudem vorschreiben, ihre Wirtschaftsprüfer regelmäßig zu wechseln. Ein solches Rotationsprinzip gibt es in der EU-Gesetzgebung bereits für Ratingagenturen.

Barnier will auch tief in das Geschäftsmodell der Wirtschaftsprüfer eingreifen. Die Kommission werde untersuchen, ob ein Beratungsverbot parallel zur Prüfung möglich sei, heißt es in dem Papier. Das "mögliche Ergebnis" dieser Prüfung könne sein, dass es künftig "reine Abschlussprüfungsgesellschaften" gebe. Käme es zu einem Beratungsverbot für Buchprüfer, hätte das weitreichende Folgen. Weil die Preise für Prüfungsleistungen um bis zu 30 Prozent eingebrochen sind, bauen PwC und Co. das Beratungsgeschäft massiv aus. So machte PwC Deutschland 2009 zwar 680 Mio. Euro Umsatz mit Jahresabschlüssen, aber schon 310 Mio. Euro mit Consulting.

Auch die Kundenstruktur der Wirtschaftsprüfer will Barnier verändern. Eine Gesellschaft solle sich von keinem Kunden zu stark abhängig machen. Deshalb müsse der "Anteil der Honorare eines einzelnen Kunden" an den Gesamteinnahmen begrenzt werden. Reformieren will Barnier zudem die Unternehmensführung der Prüfer. Sie sollen - ebenso wie bereits heute die Ratingagenturen - unabhängige Aufsichtsräte an die Spitze ihrer Unternehmen berufen.

Das Grünbuch stellt zudem infrage, ob die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften allein im Besitz von Partnern verbleiben könnten. Nach Prüfungsfehlern könnten hohe Schadensersatzforderungen entstehen, die die Partner nicht mehr decken können. Die großen Wirtschaftsprüfer müssten daher über "alternative Strukturen" nachdenken, "um Kapital aus anderen Quellen" zu beschaffen.

Für die staatliche Aufsicht der Wirtschaftsprüfer soll nach den Vorstellungen Brüssels eine EU-Behörde zuständig sein. Die nationale Aufsicht reiche nicht mehr aus, da Wirtschaftsprüfungsgesellschaften längst international tätig seien. Deshalb soll die European Group of Auditors? Oversight Bodies (EGAOB), in der nationale Aufseher zusammenarbeiten, zu einem EU-Aufsichtsgremium aufgewertet werden.

Prüfer wehren sich gegen die Pläne

Bei den großen Wirtschaftsprüfern stößt Barnier mit seinen Vorschlägen auf eine breite Front der Ablehnung. "Global und national ist eine riesige Lücke entstanden zwischen den ,big four? und den anderen Marktteilnehmern", sagte Martin Plendl, Vorstandssprecher von Deloitte Deutschland. "Wenn Brüssel den Prüfern die Beratung wegnehmen sollte, wird das zu noch größeren Abständen als bisher schon führen, denn kleinere Gesellschaften haben häufig hohe Beratungsanteile."

Kritik kommt auch von den mittelständischen Prüfern. "Ich bin gegen eine verpflichtende externe Rotation der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. In der Regel entstehen die meisten Haftungsfälle von Wirtschaftsprüfern unmittelbar nach einem Wechsel der Gesellschaft", sagte Marian Ellerich, Partner bei der Gesellschaft PKF Fasselt Schlage. Die Kampfansage Barniers an die großen vier überzeugt ihn nicht. "Ich habe Zweifel, dass regulatorische Eingriffe den mittelständischen Wirtschaftsprüfern zu mehr Marktmacht verhelfen."

Klaus-Günter Klein, Vorstandsvorsitzender bei Warth & Klein Grant Thornton, spricht sich gegen feste Honorare für Wirtschaftsprüfer aus: "Das wäre ein zu starker Eingriff in den Markt." Klein äußert sich auch "skeptisch, ob eine europäische Behörde, die die Aufträge zentral vergibt, tatsächlich zu mehr Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beitragen kann".

Ein wenig Lob kommt lediglich von Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW): "Dass die EU-Kommission nach der Krise untersucht, wie man den Nutzwert der Abschlussprüfung verbessern kann, ist an der Zeit und belegt die Bedeutung der Prüfung für das Funktionieren der Märkte."

Auch einige mittelständische Prüfungsfirmen, von denen es einige Dutzend in Deutschland gibt, finden Barniers Vorschläge teilweise gar nicht so schlecht. Sie hoffen auf die Zerschlagung des Kartells der "big four" - damit sie selbst besser ins Geschäft mit großen Firmen kommen. Das gilt vor allem für Deutschland. Hier teilten sich bis vor kurzem sogar nur zwei Prüfkonzerne, KPMG und PwC, fast alle Prestigemandate im deutschen Leitindex Dax. Joint Audits, also die Prüfung eines Unternehmens durch zwei Gesellschaften statt nur durch eine, wie es die Kommission will, sind hierzulande die Ausnahme. Nur die Deutsche Telekom (PwC und Ernst & Young) leistet sich noch ein Duo.

Bilanzskandale: Gesellschaften geraten immer wieder in die Kritik

Bei den Kunden brummt längst wieder das Geschäft. Nur die Wirtschaftsprüfer kämpfen noch mit den Nachwirkungen des tiefsten Einbruchs der Nachkriegszeit. Und wenn es nach den Vorstellungen der EU-Kommission geht, wird nach der Krise nichts mehr so sein wie vor der Krise.

Die Branche wird für den Zusammenbruch der Banken mit verantwortlich gemacht. Für Bilanzskandale und Pleiten mussten die Buchprüfer ohnehin schon seit Jahren heftige Kritik einstecken.

Das jüngste Beispiel: Die britische Aufsichtsbehörde Financial Reporting Council (FRC) leitete im Juni eine formelle Untersuchung gegen Ernst & Young (E&Y) ein. Sie verdächtigt die Gesellschaft, bei der Prüfung der Pleitebank Lehman Brothers geschlampt zu haben. Die Briten reagieren damit auf einen Untersuchungsbericht aus den USA, wonach Lehman schon Monate vor der Insolvenz auf wackeligen Beinen stand. Nur Bilanztricks, mit denen das Management der Bank die wahre Verschuldung verschleierte, hielten das Institut am Leben. Der Sonderprüfer Anton Valukas wirft E&Y vor, Ungereimtheiten in den Lehman-Büchern zu lange ignoriert zu haben.

Vor kurzem eröffnete das FRC ein weiteres Verfahren gegen E&Y: Dabei geht es um die Frage, wie die Prüfer die Finanzaufsicht FSA über den Schutz von Kundengeldern bei Lehman informiert haben. Kommen die britischen Behörden zu dem Schluss, dass sich E&Y etwas zuschulden kommen ließ, drohen hohe Geldstrafen.

Schon vor Lehman gab es hinreichend Fälle von Prüferversagen, die Regulierungsbefürwortern in die Hände spielen. Kritik wird immer dann laut, wenn Unternehmen kurz nach Erteilung eines uneingeschränkten Testats unter dem Jahresabschluss Insolvenz anmelden müssen. Erst recht am Pranger stehen die Prüfer, wenn sie den Betrug durch Vorstände übersehen.

Spektakuläre Fälle erschüttern das Vertrauen in den Berufsstand

Erschüttert wird das Vertrauen in den Berufsstand, wenn besonders spektakuläre Fälle auftreten. Noch gut in Erinnerung sind Bilanzskandale wie Worldcom, Parmalat, Comroad oder Xerox.

Vor allem der Fall des amerikanischen Energiekonzerns Enron aus dem Jahr 2001 lässt Wirtschaftsprüfer heute noch zusammenzucken. Die wiederholten, aber nicht entdeckten Bilanzfälschungen führten dazu, dass sich die Prüfungsgesellschaft Arthur Andersen letztlich weltweit auflöste. In Deutschland fusionierte der größte Teil des Unternehmens mit E&Y.

Eine Nummer kleiner, aber nicht weniger spektakulär war der Fall der badischen Firma Flowtex. Auch hier blühte der Betrug lange im Verborgenen. Das Unternehmen verkaufte in den 90er-Jahren Bohrmaschinen zum Stückpreis von über einer Mio. D-Mark. Die meisten davon existierten nur auf dem Papier. Als die Luftbuchungen bemerkt wurden, hatte sich der Schaden bereits auf Milliardenbeträge summiert.

Im Jahr 2003 standen dann der italienische Lebensmittelkonzern Parmalat und seine Prüfer öffentlich am Pranger. Die Italiener haben etwa 14 Mrd. Euro an Schulden im Zahlenwerk verschleiert, der größte Bilanzskandal des Landes war perfekt. Parmalat-Gründer Calisto Tanzi sucht bis heute die Schuld bei den Banken - trotz einer Geld- und Haftstrafe.

In solchen Krisensituationen werden die Rufe nach einer stärkeren Regulierung der Wirtschaftsprüferbranche lauter. Das Grünbuch der EU-Kommission ist aber vor allem eine Diskussionsgrundlage. Abzuwarten bleibt, wie stark die Prüfer in ihrer Arbeit künftig tatsächlich beschränkt werden

Autoren: Ruth Berschens, Susanne Metzger, Katrin Terpitz, Dieter Fockenbrock, Michael Maisch

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