Messebranche Dom und Dildo

Jenseits der Großmessen blüht eine Szene von Ausstellungen zu teilweise skurrilen Themen. Ein Streifzug über die Nischenmessen von Sex bis Karneval.

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Interkarneval: Nischenmesse verkürzt Narren die karnevalsfreien Sommermonate

Sie trägt einen roten Lacküberzug, nur Augen, Mund und Nase sowie das üppige Dekolleté sind unbedeckt. „Liebe Lack- und Lederfreunde, erleben Sie die ganze Welt des Fetischs auf unserem Stand!“, steht auf der Einladung, die Latexdame Helga den Vorübergehenden zusteckt. Nebenan geben zwei asiatische Pornotänzerinnen Autogramme, über ihnen zeigt ein Riesenbildschirm ihr Können. Und einige Stände weiter wirbt ein muskulöser Martin im Ringerhemdchen für „Gay-Sexfilme“. Selbst der Bauhandwerker in kurzen Hosen, versehen mit Schutzhelm, Sicherheitsschuhen und Zimmermannshammer, gehört nicht etwa zum technischen Messeteam, sondern verkauft Zubehör für echte Kerle.

Willkommen auf der Venus! Die Berliner Erotikfachmesse ist mit mehr als 6000 Fachbesuchern und an den Besuchertagen 28.000 Konsumenten sowie einer Ausstellungsfläche von 30.000 Quadratmetern die größte Sexfachmesse weltweit. Die Schau gilt unter Messeleuten wegen ihres Themas zwar als Nischenveranstaltung. Doch Besucher und Aussteller der Venus geben anlässlich der jährlich stattfindenden Messe immerhin acht Millionen Euro aus. „Wir sind ein Wirtschaftsfaktor“, sagt Venus-Macher Peter Bübel selbstbewusst. „Auf die Steuern und Arbeitsplätze, die die Venus der Stadt bringt, will hier keiner verzichten.“

Bübel hält seine Lustveranstaltung denn auch in den heiligen Hallen der Messe Berlin ab, dort, wo sonst die Internationale Funkausstellung oder die Grüne Woche stattfinden. Die Zeiten, als Sittenwächter sich noch über die Pornos und Dildos auf der Sexmesse aufregten, sind längst vorbei. Tatsächlich haben Messen zu Nischen- und Sonderthemen ihren festen Platz in der Messewelt. „Auf einem Markt, auf dem die Hauptthemen abgegrast sind, spielen Messen zu außergewöhnlichen Themen eine zunehmend wichtige Rolle“, sagt der Veranstalter der Münchner Luxusmesse Millionaire Fair, Klaas Simon Obma.

Kaum noch unentdeckte Messe-Themen

Inzwischen gibt es kaum noch unentdeckte Themen. Messen für Polizei- und Altersheimbedarf sind im Angebot, für Liebhaber französischer Autoklassiker, für die Schädlingsbekämpfungs- und Pokerindustrie. Auch für Kunden und Lieferer von Kirmesgerät und Trachtenmode, Ultraleichtflugzeugbau, Westernreiten oder Taxibedarf gibt es Schauen. Zweistellig fällt die Zahl der Ausstellungen aus, die in Deutschland zu den Themen Hochzeitskleidung, Piercing oder Esoterik geboten werden.

Sonderschauen trotzen den wirtschaftlichen Krisen oft besser als die Gigaveranstaltungen. Denn zum einen handelt es sich häufig um Themen, die sich auf stabile Märkte beziehen wie zum Beispiel Landvermessung, Hochzeitskleidung und Bestattungsdienstleistungen. Oder es handelt sich um Themen für Freaks, die auf ihre Leidenschaften wie Ultraleichtflug oder Teddybärensammeln nicht verzichten wollen. Und manchmal lässt die Branche es einfach nicht zu, dass ein Thema ohne Messe bleibt – wie jüngst im Falle der Kirchenmesse Ecclesia.

Es riecht nach Weihrauch und Kerzen. Ein Priester im römischen Kragen verhandelt an einem Stand voller Heiligenfiguren und Steinkreuze mit einem Steinmetz. Nebenan erläutert ein Glockengießer einer Nonne seine Kunst, blendet eine akustische Kostprobe ein. Für einen Moment vereinigen sich Glockenklang, Orgelmusik sowie ein vierchöriges Magnificat, dessen Klänge vom Stand eines Anbieters liturgischer Klangkunst herüberwehen, zu einem klerophonen Crescendo.

Keine Frage, wir wandeln trotz des geschäftigen Charakters der Messe auf heiligem Grund – zumindest während der Messetage. Hier, auf der „Messe der Messen“ wie kirchennahe Kreise die Ausstellung getauft haben, decken sich – vornehmlich Protestanten und Katholiken – mit Kirchenbänken und Kerzen ein, mit Messwein und Hostien, Bibeln oder Software für die Gemeindeverwaltung. Kerzen gibt es hier schon zu einem Cent pro Stück; die teuersten Exponate dürften – abgesehen von den Angeboten der Bau- und Immobilienunternehmen – die Kirchenorgeln sein, die mehrere Hunderttausend Euro kosten.

„Manche Hersteller haben dort 90 Prozent ihres Jahresumsatzes reingeholt“, sagt ein Kenner der Ecclesia, „für die Beschaffungsstellen von Landeskirchen und Bistümern war die Ecclesia schlichtweg ein Muss.“ Dennoch verkündete der Veranstalter, die Messe Köln, im Oktober vergangenen Jahres ohne Vorwarnung das Aus. Die Ecclesia sei zu klein für den Großveranstalter koelnmesse.

Evangelische wie katholische Kirchenmanager waren von der Ankündigung erst einmal wie vor den Kopf geschlagen, stellten dann aber mit einem neuen Partner alsbald eine Nachfolgeveranstaltung auf die Beine. Schon vier Wochen nach der Absage zur Ecclesia 2009 folgte die Bekanntmachung, dass im März dieses Jahres die neue Kirchenbedarfs-Messe in den Hallen der Messe Dortmund unter dem Namen Pro Communio stattfinden werde. „Die Kirchen und ihre Zulieferer brauchen einfach diese Messe“, sagt Peter Nowak, Geschäftsführer von Interim2000, dem neuen Veranstalter der Pro Communio, „und als kleinerer Veranstalter können wir sie auch wirtschaftlich betreiben.“

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