Mexico City Gepanzerte Limousinen: Das Geschäft mit der Angst

Nirgends fühlen sich Politiker und Geschäftsleute so bedroht wie in Mexiko City. Deshalb ist die größte Stadt der Welt zur Hochburg der Panzerlimousinen geworden. Die Autoindustrie reagiert darauf und produziert vor Ort.

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Gepanzerte Limousine: Wegen der hohen Nachfrage produzieren immer mehr Anbieter direkt vor Ort Quelle: Daimler

Gustavo Eduardo Ininguez hat Angst. Wann immer der Finanzmanager sein gut gesichertes Haus in Mexiko City verlässt, muss er um Leib und Leben fürchten. Denn über 1300 Straßenbanden und geschätzte 9000 Entführungen im Jahr machen die mexikanische Hauptstadt zu einem der gefährlichsten Pflaster der Welt. „Wenn ich mich darauf bewegen muss, dann nur in einem gepanzerten Fahrzeug“, sagt der Mittfünfziger, der seinen echten Namen selbst in den deutschen Medien nicht preisgeben will. So wie Ininguez geht es immer mehr Menschen in dem unscheinbaren Land zwischen dem reichen Nord- und dem armen Südamerika, das es in der Hitliste des weltweiten Wohlstands selbst überraschend weit gebracht hat und mit dem Konzernherren Carlos Slim nicht umsonst den laut Forbes reichsten Mann der der Welt stellt.

Alltäglicher Terror

Szenen, wie man sie Deutschland allenfalls aus dem Terrorherbst der RAF und aktuell aus der cineastischen Aufbereitung der Baader-Meinhof-Zeit im Film von Bernd Eichinger kennt, sind in Mexiko alltäglich: „An jeder Ampel kann jemand mit einer Pistole ans Fenster klopfen. Und wenn Du Glück hast, will er nur deine Uhr“, sagt Ininguez. Wo man zum Geldautomaten nur unter Bewachung geht und den Weg vom Büro nach Hause vom Sicherheitsberater checken lässt, schützen sich die Mexikaner so gut sie können: Ihre Häuser sind aufgerüstet wie Trutzburgen, in den Villenvierteln patrouilliert eine halbstaatliche Polizeitruppe, und auf die Straße trauen sie sich nur mit Begleitschutz und in besonders gesicherten Fahrzeugen.

„Nirgends auf der Welt werden deshalb mehr gepanzerte Autos verkauft als in Mexiko“, sagt ein Industrieller, der selbst nur knapp einer Entführung entronnen ist und daraufhin den Sicherheitsdienst Pegaso gegründet hat. Der Mittsechziger ohne zitierfähigen Namen schätzt, dass allein in der Hauptstadt über 30.000 gepanzerte Limousinen und Geländewagen unterwegs sind und jedes Jahr rund 2000 neue Panzerfahrzeuge verkauft werden. Gemessen an insgesamt rund 1,1 Millionen Neuzulassungen ist das natürlich verschwindend gering. Doch liegt die Quote etwa in Deutschland deutlich darunter, sagen Experten. Und auch die USA oder Russland kommen da nicht mit. Außerdem konzentriert sich das Geschäft laut Pegaso auf das Zentrum, den Badeort Accapulco und ein, zwei weitere Städte. In manchen Vierteln der Millionen-Metropole seien die dunkeln Limousinen mit den armdicken Scheiben deshalb so selbstverständlich wie bei uns eine silberne Mercedes C-Klasse.

Produktion in Mittelamerika

Autohersteller und Umrüster haben längst auf die gewaltige Nachfrage reagiert. Sie haben nicht nur Angebot entsprechend ausgebaut, sondern zum Teil auch die Fertigungskapazitäten nach Mittelamerika verlegt. So entwickelt sich Mexiko zusehends zu einer internationalen Drehscheibe für Sonderschutzfahrzeuge, über die auch besorgte Kunden im Rest der Welt beliefert werden. Nirgendwo wird das deutlicher als bei BMW. Denn die Bayern bauen alle ihre so genannten Leichtpanzer jenseits des Atlantiks. Der Siebener in der Schutzklasse B6/B7, die Berühmtheiten wie Kanzlerin Angela Merkel, Staatspräsident Nelson Mandela oder BMW-Vorstandschef Norbert Reithofer nicht nur vor Faustfeuerwaffen und Straßenräubern, sondern auch vor terroristischer Gewalt bewahrt, wird zwar in Dingolfing aufgerüstet. Doch die gepanzerte Version des Fünfers und die gerade vorgestellte Neuauflage des X5 „Security“ kommen aus Toluca im Grüngürtel der mexikanischen Hauptstadt – egal ob sie später durch Miami, München, Moskau oder eben durch Mexiko City fahren.

Mexiko City: Die hohe Kriminalitätsrate in der größten Stadt der Welt lässt die Nachfrage nach gepanzerten Fahrzeugen ansteigen Quelle: Hector Fernandez - Fotolia.com

Dafür nutzt BMW ein ehemaliges Montagewerk, das als Vorläufer des US-Standorts Spartanburg gebaut und als Hebel gegen die horrenden Importzölle auf dem aufstrebenden mexikanischen Markt gedacht war. Die so genannte CKD-Fertigung von Fahrzeugen der Fünfer- und Dreier-Baureihe haben sie dort längst eingestellt, nachdem das Land die Zollgrenzen gelockert und BMW die Fabrik in den USA eröffnet hat. Doch die mexikanischen Werksleiter Carlos Wieda und Ulrich Gut haben noch immer reichlich zu tun. Denn vom ersten Tag an wurden in Toluca auch gepanzerte Fahrzeuge aufgebaut. Und heute machen ihre etwa 40 Monteure, die vor einigen Jahren im Zuge der vertraglich abgesicherten Nachbarschaftshilfe sogar mal gut hundert Porsche 911 gegen Beschuss und Begehrlichkeit gewappnet haben, tagein tagaus nichts anderes mehr: „Unsere Kapazität reicht für bis zu 700 Fahrzeuge im Jahr“, sagt Gut. Und wer in seine voll gestellte Werkshalle schaut, sieht schnell, dass nach oben nicht mehr viel Luft ist.

Scheiben dicker als ein Taschenbuch

In einem Prozess von rund 250 Arbeitsstunden werden die beinahe komplett montierten Neuwagen aus Deutschland und den USA in Toluca vollkommen entkernt und dann weitgehend von Hand mit Spezialstahl, Kevlar- oder Aramid-Fasern und Panzerglas wieder aufgebaut. Über 200 maßgeschneiderte Einzelteile liegen in den Gitterboxen und auf den Rollwagen um die beinahe wieder rohen Karossen, die passend dimensioniert und vor allem richtig montiert, die Kugeln stoppen sollen. Die Türen sind dann zwar zentnerschwer, und die Scheiben dicker als ein Taschenbuch. „Aber so halten diese Autos dem Beschuss mit fast allen Pistolen, Revolvern und Gewehren zum Teil bis hin zur Kalaschnikov Stand“, sagt BMW-Manager Gut und zeigt auf einen pockennarbigen Dreier im Ausstellungsraum des Werkes. Der silberne Wagen sieht nach der amtlichen Beschussprobe von außen aus wie ein Schweizer Käse. Aber der Innenraum hat den Kugelhagel unbeschadet überstanden.

Dem Vorbild von BMW wollen offenbar auch andere Hersteller folgen. Zumindest bei den Umrüstern hört man deshalb in diesem Sommer immer wieder Gerüchte, wonach unter anderem Chrysler und VW nach geeigneten Partnern für eine Panzermontage in Mexiko suchen. Und auch Mercedes– die Stuttgarter feiern in diesen Tagen mit einem gepanzerten S 600 Pulmann „80 Jahre Sonderschutz ab Werk“ – denkt angeblich über eine Neuordnung der Guard-Produktion nach und hat dabei Mexiko für die Produktion von B4-Modellen ganz oben auf der Liste stehen. In Stuttgart allerdings gilt das noch als Gerücht, das Guard-Produktmanager Rainer Gärtner nicht kommentieren will.

Rund 20 Spezialfirmen rund um Mexiko City

Zwar gelten die schusssicheren Limousinen aus Deutschland bei der mexikanischen Oberschicht als erste Wahl, so dass die Importeure durchweg gute Geschäfte melden können: „Wir verkaufen hin Mexiko im Jahr deshalb über 100 gepanzerte Fünfer, X5 und Siebener und kommen so in den einzelnen Modellreihen auf einen Security-Anteil von mehr als 20 Prozent“, sagt Erik Suarez, der für BMW den Verkauf der Sonderschutzfahrzeuge in Südamerika leitet. Mercedes meldet pro Jahr etwa 80 E-, 25 S-Guard sowie eine handvoll gepanzerter Maybachs. Und allein in den ersten sechs Monaten hat Audi vom A6 über 20 Sicherheitsmodelle zugelassen.

Doch kann und will nicht jeder Besserverdiener ein gepanzertes Auto aus Deutschland fahren. Deshalb gibt es rund um die Hauptstadt etwa 20 Spezialunternehmen, die auch andere Fahrzeuge auf Nummer sicher trimmen. Eines ihrer besten Argumente ist der Preis: „Während man bei uns für einen Security-BMW mit rund 60.000 Dollar Aufschlag kalkulieren muss, gibt es den Schutz dort schon für 35 bis 45 000 Dollar“, muss BMW-Manager Wieda einräumen: „Allerdings hat die Sache einen Haken: Die Qualität ist längst nicht so gut, und anders als bei den Werkspanzerungen schaut dort in der Regel keiner nach Fahrwerk, Bremsen und Regelsystemen. Bei 200 bis 400 Kilo Mehrgewicht kann das schon mal Probleme machen.“

Innenleben einer gepanzerten Limousine: Zentimeterdicke Glas- und Panzerplatten rundherum Quelle: Daimler AG

Aber der Preis ist nicht das einzige Vorteil von Umrüstern wie Arturo Delgado vom Spezialisten Delta Pavesi, der seine Autos bisweilen sogar nach Deutschland liefert: „Wir sind flexibler und schneller“. Während die BMW Security-Modelle in Mexiko gerade komplett ausverkauft sind, hat er nur Lieferfristen von sechs bis zwölf Wochen. Und vor allem baut er mit seinen rund 60 Mitarbeitern fast alles um, was ihm die Kunden auf den Hof stellen. Die meisten seiner 50 bis 70 Autos im Jahr sind zwar große Geländewagen wie der Chevrolet Suburban, der Jeep Cherokee oder der Toyota Land Cruiser. Doch immer mal wieder panzert er auch einen Chrysler 300 C und oft genug sogar VW Bora und Passat oder Audi A3. „Denn je unscheinbarer die Autos, desto kleiner ist das Risiko.“

Das ist auch ein Grund dafür, warum die Panzerwagen in Mexiko so bescheiden auftreten. Während solche Limousinen in Moskau oft mit Blaulicht und Rammschutz ausgestattet sind und von einem ganzen Schwarm von Einsatzfahrzeugen begleitetet werden, „gibt man sich bei uns am besten gar nicht zu erkennen“, sagt Delgado. „Je unauffälliger du bist, desto geringer ist die Gefahr. Das beginnt beim Auto, das du fährst und endet bei der Uhr, die du trägst“, sagt einer der bedrohten Kunden und zeigt auf sein leeres Handgelenk. Aber nicht alle Mexikaner sind so dezent, freut sich Delgado. Deshalb panzert er gelegentlich auch Porsche Cayenne und 911 und hatte sogar schon Ferraris und einen Bentley Continental GT in der Halle stehen. Für 350.000 Dollar hat er auch das britische Coupé zum Tresor auf Rädern umgebaut.

Weltweit steigt die Nachfrage

Mexiko ist zwar ein großer und wichtiger Markt für diese Fahrzeuge. Aber er isrt nicht der einzige. „Nicht nur in Mittel- oder Südamerika, in politisch labilen Krisenregionen oder in Mafiahochburgen, auch im vermeintlich zivilen Mitteleuropa fährt die Angst immer öfter mit“, sagt BMW-Verkäufer Suarez: „Die Kriminalität nimmt weltweit zu. Ethische, soziologische und politische Konflikte erhöhen die Gewaltbereitschaft, die zunehmend auch auf der Straße eskaliert.“ Vor diesem Hintergrund registriert die Industrie eine wachsende Nachfrage. Zu den jährlich rund 2000 Hochsicherheitsfahrzeugen für Regierungschefs, Diplomaten und Vorstandsbossen kommen deshalb nach Schätzungen aus dem Mercedes-Marketing noch einmal rund 18.000 Autos in der leichteren Schutzklasse B4, von denen allerdings viele nur eine nachträglich eingebaute leichte Panzerung haben.

Mit der Angst machen die Autohersteller stattliche Umsätze. Denn der große Aufwand hat seinen Preis: Für den X5 Security verlangt BMW einen stolzen Aufschlag von 49.000 Euro, die Guard-Version der S-Klasse kostet in der höchsten Schutzstufe etwa 250.000 Euro mehr als das Serienmodell, und für den neuen Mercedes Pullman, eine auf über sechs Meter gestreckte und ebenfalls in der maximalen Stärke gepanzerte XXL-Version der S-Klasse werde „ein hoher sechsstelliger Betrag“ fällig, heißt es in Stuttgart vornehm zurückhaltend.

Panzerung ab Werk

Mercedes reklamiert mit dem Dienstwagen für den japanischen Kaiser von 1930 nicht nur den ersten gepanzerten Wagen der zivilen Auto-Geschichte. Die Schwaben feiern sich auch als Marktführer in diesem kleinen aber feinen Segment. Schließlich waren sie die ersten 50 Jahre zumindest aus deutscher Sicht allein auf weiter Flur. Denn bei BMW gingen die ersten Panzerwagen kurz nach den Terroranschlägen der RAF vor in der Siebener-Reihe in Serie, und Audi spielt mit den gepanzerten Versionen von A6 und A8 erst seit wenigen Jahren in dieser Liga mit.

Vor allem die drei deutschen Premiumhersteller bieten eine Panzerung ab Werk an. Zwar kann man auf einigen Märkten auch VW Phaeton und Tuareg, Jaguar XJ und den Range Rover, den Toyota Land Cruiser oder den Volvo XC90, große US-Limousinen und Geländewagen von Cadillac, Chevrolet, Jeep oder Ford sowie die Flaggschiffe von Bentley und Rolls Royce mit Panzerung kaufen. Doch sind das in der Regel Auftragsarbeiten von externen Spezialisten, die allenfalls den Segen der Fahrzeughersteller haben. Solche Spezialisten gibt es freilich nicht nur in Mexiko. Auch in Italien, Spanien und vor allem in Deutschland hat sich eine Reihe von Karosseriebauern auf die harte Schale für die Oberklasse spezialisiert. Neben Firmenfuhrparks und Privatiers beliefern sie insbesondere die Justiz- und die Polizeibehörden, für die bisweilen auch weniger luxuriöse Sonderserien aufgelegt werden. Schließlich muss die öffentliche Hand bei aller Sicherheit sparen. Panzerplatten ja, Ledersitze nein, heißt dann das Credo.

Zwar steigt der Bedarf an nach solchen Fahrzeugen in den letzten Jahren kontinuierlich, hat BMW-Verkäufer Suarez registriert. Doch schwankt die Nachfrage mit der Nachrichtenlage: „Ist es mal ein paar Wochen ruhig, geht das Geschäft nur schleppend.“ Doch kaum melden die Zeitungen wieder ein prominentes Opfer, geht bei den Reichen die Angst um, und Suarez Telefon steht nicht mehr still.

So wie vor ein paar Wochen, als in Mexiko der Industriellensohn Fernando Marti ermordet wurde. Die Meldung lief am Montag über den Ticker. Zwei Tage später hatte Suarez sieben Autos verkauft.

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