Mischkonzern Sistema Ron Sommers russisches Comeback

Ron Sommer feiert ein Comeback in Russland. Der Exchef der Telekom arbeitet für Sistema, einem Mischkonzern mit Expansionsgelüsten. Schlägt Sommer bald wieder in Deutschland auf?

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Ron Sommer Quelle: Fedor Savintsev für WirtschaftsWoche

Das Blitzlichtgewitter ist ihm unangenehm: Ron Sommer reißt die Augenbrauen hoch und verzieht die Mundwinkel, als der Fotograf ihn um eine weitere Einstellung bittet. Genervt blickt er drein, der frühere Chef der Deutschen Telekom. Er ist es nicht mehr gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen. Dabei schaut der 60-Jährige so fotogen aus wie eh und je: das leicht gewellte Haar sauber zurückgekämmt, das Gesicht so braungebrannt, als komme er gerade aus der Karibik.

Sommer ist nicht im Palmenparadies, sondern im kalten Moskau gestrandet. Er sitzt in einem karg eingerichteten Büro eines klassizistischen Prachtbaus direkt dem Kreml gegenüber. Der Mann ist nicht mehr der Turbolader, der einst den Kurs der T-Aktie vom Emissionspreis in Höhe von 15 auf über 100 Euro hochjagte, ehe sie auf 10 Euro abstürzte. Sommer wirkt nachdenklich, ruhig und gesetzt.

Der russische Oligarch Wladimir Jewtuschenkow hat ihn vor einem Dreivierteljahr als Vizepräsident und Macher im Hintergrund bei AFK Sistema, Russlands größtem Mischkonzern, eingestellt. Das Firmengeflecht, an dem Jewtuschenkow 62 Prozent hält, machte im Jahr 2008 einen Umsatz in Höhe von 16,7 Milliarden Dollar (siehe Grafik auf der nächsten Seite).

Das Flaggschiff auf Kurs bringen

Sommer managt die Telekomsparte und soll das Flaggschiff des Konzerns auf Kurs bringen: Mobile Telesystems (MTS), Russlands größtes Mobilfunkunternehmen. Denn in den lukrativen GUS-Märkten verliert der Mobilfunkriese seit einiger Zeit Boden an den Wettbewerber Vimpelcom und dessen Marke Beeline. Nun will der im israelischen Haifa geborene Österreicher das tun, womit er im Spätherbst seiner Zeit bei der Telekom gescheitert war: wachsen.

Das ist keine leichte Aufgabe. Mit knapp 98 Millionen Kunden in Russland, Armenien, Weißrussland, Turkmenistan, Usbekistan und der Ukraine ist MTS zwar mit Abstand größter Mobilfunker im GUS-Raum. Doch der Markt ist zunehmend verteilt. Sommers Gegenspieler beim Wettbewerber Vimpelcom, der aus Bosnien stammende Österreicher Boris Nemsic, ist mit der Marke Beeline global präsenter, er wächst schneller: Vimpelcom legte im Krisenjahr 2009 bei Abonnentenzahlen zweistellig zu, Sommers MTS nur um 7,1 Prozent. Zudem trug zum Zuwachs von MTS bei, dass die Russen im vorigen Jahr einen großen Mobilfunker in Indien übernommen haben.

Potenzial in Russland

Strahlemann Sommer lässt Kritik am schwächeren Wachstum nicht gelten. Das Potenzial in Russland sei „immer noch sehr vernünftig“, sagt er und hakelt sogleich in Richtung seines ehemaligen Arbeitgebers in Bonn: „Ein deutscher Manager kann von solchen Zuwachsraten nur träumen.“

Der Magenta-Konzern stünde heute besser da, besäße er noch seine Anteile an MTS. Den russischen Mobilfunker, das Herzstück von Sommers Imperium, hatte die Telekom-Tochter T-Mobile 1993 zusammen mit dem Münchner Siemens-Konzern und Sistema gegründet – viele Jahre, bevor die Russen überhaupt wussten, was ein Handy ist. Unter Sommer, der von 1995 bis 2002 Konzernchef der Deutschen Telekom war, stieg MTS zum Platzhirschen im russischen Mobilfunkgeschäft auf. Doch wegen Sommers Akquisitionen wurden die Schulden zur drückenden Last; also verkaufte die Telekom zwischen 2002 und 2004 ihren 40-prozentigen Anteil am Joint Venture.

Tochterfirmen Sistema

„MTS war damals schon ein beispielhaftes Unternehmen, der Abgang der Telekom hat für Stirnrunzeln gesorgt“, räumt Sommer heute ein. Er habe sich dem Druck der Aktionäre beugen müssen, die auf der Reduzierung der Schulden bestanden. Also traf er selbst die Entscheidung, die Beteiligung von 41 auf 25 Prozent zu reduzieren. „Warum die Telekom schließlich komplett raus ist, habe ich nie verstanden.“ Nach dem Ausstieg der Telekom hat sich die Zahl der Kunden bis heute mehr als verdoppelt, MTS ist zur Cashcow des Sistema-Konzerns geworden.

Strippenzieher im Konzern

Für Sommer persönlich war die MTS-Beteiligung der Deutschen Telekom ein Glücksfall. So lernte er 1993 den ein Jahr älteren Chemiker Wladimir Jewtuschenkow kennen, dessen Schwester zwei Jahre zuvor den mächtigen Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow geheiratet hatte. In dessen Windschatten schmiedete Jewtuschenkow die Sistema-Gruppe, einen der mächtigsten Konzerne des Landes. Den Oligarchen, dessen Privatvermögen die Zeitschrift „Finans“ auf 6,5 Milliarden Dollar schätzt, bezeichnet Sommer heute als Freund. Er war es, der den Telekom-Chef nach dem Rücktritt in den Sistema-Aufsichtsrat holte und im vergangenen Jahr zum Vizepräsidenten machte.

Als Chef des Mobilfunks und Vertrauter des Eigentümers ist Sommer einer der wichtigsten Strippenzieher im Konzern. Mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes stammt aus seiner Sparte. Er unterstützt die expansive Strategie der Holding, die Zukaufsabsichten im Westen einschließt. „Wladimir Jewtuschenkow interessiert sich sehr für Deutschland“, sagt er, bittet aber im gleichen Atemzug, nicht falsch verstanden zu werden: Konkrete Kaufabsichten hege der Konzern nicht. Sistema sei aufgeschlossen gegenüber deutsch-russischen Gemeinschaftsprojekten quer durch alle Geschäftsbereiche.

Reflexe des kalten Krieges

Deutlicher wird Sommer, wenn es ums Grundsätzliche geht. „Ich habe den Eindruck, dass viele deutsche Manager und Politiker die Reflexe des Kalten Kriegs immer noch nicht abgelegt haben“, tönt er und bricht wie Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Lanze für intensivere deutsch-russische Zusammenarbeit: „Die russischen Unternehmen stellen sich globaler auf. Dabei würde ich es gerne sehen, wenn Russland ein fester Bestandteil Europas würde statt Teil einer Triade mit China und Indien.“ Sein Chef Jewtuschenkow sehe das ähnlich, sagt Sommer, „sonst wäre ich nicht hier“.

Doch die Nähe Jewtuschenkows zu Deutschland wurde in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Probe gestellt. 2006 wollte er dem Bund die Telekom-Anteile abkaufen und den deutschen Konzern wieder an MTS beteiligen. „Ich fand, das war ein sehr charmantes Konzept“, urteilt Sommer. Als bekannt wurde, dass Telekom-Manager an Abwehrplänen arbeiteten, zog sich Jewtuschenkow irritiert zurück.

Reinraum bei Infineon in Quelle: dpa

Sistema wollte auch beim Chiphersteller Infineon einsteigen. Doch als US-Finanzinvestor Apollo im August einer Kapitalerhöhung zustimmte und danach der Aktienpreis in die Höhe schoss, wurde die Beteiligung für die Russen schlicht zu teuer. Immerhin sitzt Sistema auf langfristigen Krediten über mehr als elf Milliarden Dollar und muss bei Einkaufstouren kürzer treten. Mittelfristig will aber auch Sommer den Einstieg bei Infineon nicht ausschließen: „Wir denken jede Woche über neue Beteiligungen nach.“

Sommer weiß nur zu gut, dass Sistema Partner braucht. Infineon würde perfekt ins Konzept passen. Sistema-Techniktochter Sitronics, derzeit das größte Sorgenkind im Mischkonzern, fehlt es an Ressourcen zur Entwicklung von Chips für das russische Satelliten-Navigationssystem Glonass, das im Hause Sistema entwickelt wird. Dank massiver staatlicher Subventionen sind Satelliten bereits im Orbit, ab dem Jahr 2012 werden Geheimdienst, Militär und Ministerien das System nutzen können.

Sistema buhlt um Infineon

Damit Sommers Mobilfunksparte mithilfe von Glonass aber Handynavigation anbieten kann, sind kompakte Endgeräte mit Mikrochips nötig. Deren Entwicklung ist der Sistema-Tochter Sitronics bislang nicht gelungen. Infineon hätte Know-how und Kapazitäten, um solch ein Projekt zu stemmen. Also verhandelt Sistema hinter verschlossenen Türen weiter. Zuletzt gab CEO Leonid Melamed im Dezember zu, dass man weiter an Infineon interessiert sei.

Jenseits des Blitzlichtgewitters

Sommer hat sich eingerichtet jenseits des Blitzlichtgewitters. Er genießt das Leben in Russlands pulsierender Hauptstadt. Freitags pendelt er ins Wochenende nach Meerbusch-Büderich, wo er seine kürzlich fertiggestellte Villa einrichtet. Die hektischen Jahre bei der Deutschen Telekom, sagt er, „waren für meinen Geschmack zu öffentlich“, sagt er heute.

Wer weiß, vielleicht kehrt Sommer doch noch nach Deutschland zurück – mit Sistema als Anteilseigner eines deutschen Konzerns.

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