Mittelstand Die Tricks und Fallen beim Unternehmensverkauf

Jeder zweite deutsche Mittelständler erwägt früher oder später den Verkauf seines Unternehmens. Doch die meisten unterschätzen die komplizierte Materie – und die Fallstricke bei den Verhandlungen mit den ausgebufften Vertretern von Konzernen und Finanzinvestoren.

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Norbert Britz: Der Aubema-Eigentümer verhandelte ein Jahr lang mit hartgesottenen Schweden Quelle: Matthias Jung für WirtschaftsWoche

Alles schien in trockenen Tüchern. Die Verhandlungen waren fast ohne die üblichen Spielchen gelaufen: kein Geschrei, kein theatralisches Verlassen des Verhandlungstisches, kein Poker um die Bewertung. Doch dann kam kurz vor Schluss ein dürres Schreiben vom Kaufinteressenten, einem großen australischen Mischkonzern. Die Absender bedankten sich für die Bereitschaft zu Verhandlungen, nahmen aber vom Kauf des kleinen Bautechnikherstellers aus dem Ruhrpott Abstand.

Die Eigentümer des 20-Personen-Unternehmens, zwei Unternehmer aus Westfalen, waren sich sicher, dass die Australier mit der Absage nur den Preis weiter drücken wollten. „Wir haben denen sofort gesagt, dass uns bereits das Angebot eines Finanzinvestors vorläge, der zu unserem Wunschpreis kaufen wolle. Und dass wir nicht unter Verkaufszwang stünden, weil der Laden gute Gewinne abwerfe“, erinnert sich Robert Möller, einer der Ex-Eigentümer, der seinen wahren Namen nicht in der Presse lesen will. Drei Tage später war der Verkauf an die Australier notariell abgewickelt. Sie hatten, ohne noch einmal zu zucken, den bis dahin vereinbarten einstelligen Millionenbetrag überwiesen.

So oder noch viel aufregender geht es meist zu, wenn sich Unternehmer von ihren Firmen trennen wollen. Verkaufswillige Mittelständler müssen meist bis zur letzten Minute vor der Unterschrift mit Überraschungen rechnen. Tricks, Zockereien, der Bruch mündlicher Vereinbarungen, immer neue Vorschläge – alles ist möglich. Dazu kommt die zeitliche Belastung neben dem Tagesgeschäft.

Schlaflose Nächte bis zur Vertragsunterzeichnung

„Ich war heilfroh, als es vorbei war und ich den Preis bekam, mit dem ich in die Verhandlungen hineingegangen war“, sagt Jörgen Rasmussen, 70. Der einstige geschäftsführende Gesellschafter des Autozulieferers Norma aus Maintal hat vor drei Jahren das vom Vater 1949 gegründete Unternehmen aus Altersgründen an den Finanzinvestor 3i verkauft. Heute schaut der Enkel des DKW-Gründers Joergen Skafte Rasmussen zufrieden auf den Norma-Verkauf und schraubt in seiner nunmehr reichlichen Freizeit an den historischen Kraftwagen seiner DKW-Sammlung herum.

Andere Mittelständler haben noch nach der Vertragsunterzeichnung schlaflose Nächte: Wenn die Anwälte bei der Vertragsformulierung nicht aufpassen, können über Gewährleistungen oder Altlasten auch Jahre später noch Forderungen auf die Firmenpatriarchen zukommen.

So wird der Verkauf häufig zum Vabanquespiel. „Viele Unternehmer machen sich Illusionen über den realistischen Preis“, sagt Wilhelm von Haller, Mitglied der Geschäftsleitung Firmenkunden Deutschland der Deutschen Bank. Häufig seien sie perplex, wenn sich herausstelle, dass die Firma weniger wert sei als erwartet oder nach Abzug von Altlasten, Steuern, Schulden oder Garantien gar einen Negativwert habe.

Vor allem bei Unternehmen in Schwierigkeiten gebe es Überraschungen. „Mancher gestandene Unternehmer ist als vermeintlicher Multimillionär in den Verkaufsprozess hineingegangen und muss feststellen, dass nach dem Verkauf nicht mehr so viel übrig ist“, sagt von Haller.

Fast jeder zweite Mittelständler muss nach einer Untersuchung des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) mit dem Verkauf seines Unternehmens rechnen, weil Nachkommen aus Unternehmerfamilien immer seltener bereit sind, ihr Erbe anzutreten. 2008 blieben nur 43,8 Prozent der 71 000 Gesellschaften in Deutschland mit einem Umsatz über 50 000 Euro in Familienbesitz.

Grafik: Firmenverkäufe

Die Probleme haben die Altvorderen teilweise selbst verursacht. Häufig schieben die Patriarchen die Vorbereitungen zu lange vor sich her, weil sie sich nicht von der Macht verabschieden wollen. „Das gehört zu den klassischen Verdrängungsthemen mittelständischer Unternehmer“, sagt Nadine Schlömer, Expertin für Unternehmensübergabe beim IfM, „noch unangenehmer ist die Beschäftigung mit dem Verkauf.“

Die Folgen sind Zeitdruck, irrationale Reaktionen bei den Verhandlungen, überzogene Preisvorstellungen und manchmal auch die Ablehnung jeden Ratschlags von Freunden oder Experten. Dabei ist der mittelständische Verkäufer fast immer in der schwächeren Position. „Er hat in der Regel keine Erfahrung mit dem Unternehmensverkauf“, sagt Deutschbanker von Haller. Für die Käufer, oft Konzerne oder Finanzinvestoren, sind Kauf und Verkauf von Betrieben dagegen Alltagsgeschäft.

Norbert Britz, Unternehmer aus dem Oberbergischen östlich von Köln, der im vergangenen Jahr Aubema, einen Hersteller von Zerkleinerungsmaschinen für Kohle, an den schwedischen Maschinenbaukonzern Sandvik verkauft hat, erinnert sich noch genau an diverse Überraschungen: „Die Manager aus dem operativen Geschäft waren zunächst sehr interessiert an meinem Geschäft, weil unsere Maschinen genau in deren Lücke im Angebot passten.“ Für Britz schien alles in Butter: ein strategischer Investor, der Aubema kannte, damit verbunden die Aussicht auf einen guten Verkaufspreis und gute Perspektiven für seine Mitarbeiter. Der Preis schien für die Käufer nicht das zentrale Thema zu sein. Aubema mit einem Umsatz von 24 Millionen Euro war für den schwedischen Neun-Milliarden-Euro-Konzern bei aller strategischen Bedeutung ein Winzling.

Spielchen rund um die Unternehmensübernahme

Dann kamen die Akquisitionsprofis der Konzernentwicklung. Hatte es vorher geheißen, „Wir brauchen Ihren Laden“, schienen sich die Merger&Acquisition-Experten für die strategische Bedeutung der Firma wenig zu interessieren. Sie verhandelten zudem, als ginge es um einen 500-Millionen-Euro-Deal. Dann wieder stritten die Sandvik-Vertreter und der Aubema-Chef um 5000 Euro. „Da habe ich dann einfach nachgegeben, damit es bloß weiterging“, erinnert sich Britz.

Sieben Experten mit zum Teil jahrzehntelanger Erfahrung saßen ihm gegenüber. Doch auch Britz war nicht allein. Die Hannover Finanz, die 40 Prozent der Aubema hielt, saß mit einem Vertreter am Verhandlungstisch. Zudem hatte die Beteiligungsgesellschaft auf die Hilfe eines Beraters gedrängt. „Ohne den wäre ich baden gegangen“, sagt Britz heute.

Fünf-, sechsmal traf sich Britz mit den Sandvik-Leuten, in der Regel in einem Konferenzraum des Sheraton-Hotels am Frankfurter Flughafen, zwölf Monate lang. „Manchmal dachte ich, wir kommen nicht zu Potte“, sagt Britz. Dann tröstete ihn sein Berater Klaus Kurtkowiak, berichtete von anderen Fällen, die trotz Hin und Her glücklich ausgegangen waren.

„Die Konzerne bluffen einfach oft“

Kurtkowiak, Mitarbeiter der Kölner Unternehmensberatung SSC Consult, kennt diese Spielchen. Der ehemalige Sal.-Oppenheim-Banker ist seit fast 20 Jahren im Geschäft. Er weiß um die Schliche der Konzerne und Finanzinvestoren, weiß, wie sie gestandene Mittelständler verunsichern. „Die Konzerne bluffen einfach oft“, sagt Kurtkowiak. Sie versuchten, den Verkäufer mürbe zu machen, zum Beispiel indem sie immer wieder neue Informationen anforderten. „Da kommt dann jede Woche eine neue Frageliste.“

Aber Unternehmer wollen und können bestimmte Informationen nicht preisgeben, weil sie sonst womöglich in die Hände der Konkurrenz gelangen. Häufig arbeiten bis zu 40 Personen, Steuerberater, Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Gesellschafter und Transaktionsberater, an ihrem Fall – Vertraulichkeit ist erfahrungsgemäß selten.

Noch mehr Nervenkraft brauchen Unternehmer bei der detaillierten Prüfung der Bücher, im Merger&Acquisition-Jargon: Due Diligence. Die Käufer trachten hier nicht selten danach, das Lebenswerk des Unternehmers mieszumachen, entdecken hier eine Häufung von Risiken etwa durch die vermeintliche Abhängigkeit von wenigen Zulieferern, dort ein paar angeblich finanzschwache Kunden. Oder sie monieren die mangelhafte Langfristplanung.

Buchhaltung und -prüfung: Quelle: dpa-tmn

Auch andere Tricks nutzen die Käufer. Sie halten Fristen nicht ein, vergessen Abmachungen, über die längst Einigkeit bestand. Die Investoren-Profis wissen genau, dass ein mittelständischer Firmenchef die Trennung von seinem Lebenswerk emotional ohnehin nur mit Mühe durchsteht. Hinzu kommt, dass kleinere Firmen personell vielfach überfordert sind. „Da sind die Managementkapazitäten bei einem komplexen Verkaufsprozess schnell erschöpft“, weiß der Stuttgarter Rechtsanwalt Mark Binz, dessen Sozietät über 500 Unternehmensverkäufe begleitet hat.

Kluge Mittelständler bauen vor. Um es erst gar nicht zu einem bedrohlichen Engpass kommen zu lassen, stockte zum Beispiel Rasmussen vor Beginn der Verhandlungen die Norma-Geschäftsführung um zwei Manager auf fünf Geschäftsführer auf. So demonstrierte er den Interessenten ein leistungsfähiges Management und dass die 1000-Mitarbeiter-Firma nicht allein auf ihn zugeschnitten war.

Gerade Finanzinvestoren, meist ohne Ahnung vom konkreten Geschäft, legen großen Wert darauf, mit der Firma ein funktionierendes Management zu übernehmen. Doch starke Manager an der Seite des Obermuftis hatten oft keine Chance, denn der kümmerte sich noch ums kleinste Detail.

Unternehmen müssen vom Chef erst einmal in einen verkaufsfähigen Zustand gebracht werden. Am schnellsten gehe noch, „den Hof vor dem Hauptgebäude zu pflastern und die Hallen streichen“, meint Berater Binz. Richtig Zeit vergeht, wenn das Unternehmen umgebaut oder entschlackt werden muss. „Häufig müssen wir vor dem Verkaufsprozess Firmenteile herauslösen, damit das Kernprofil des Unternehmens überhaupt als solches zu erkennen ist“, weiß der Kölner Berater Kurtkowiak.

Unbedingt vor dem Verkauf das Unternehmen bereinigen

Aufwendig ist es auch, sich von unrentablen Vermögenswerten wie mit Schwermetallen verschmutzte Flächen oder unrentablen Fabriken zu trennen oder sie zu sanieren. Und oft existieren Vermögensteile, die rasch gesondert veräußert werden sollten, wie brachliegende, aber wertvolle Grundstücke. Dort fließt Geld. Doch in Schwierigkeiten führen Unternehmensteile, die rote Zahlen schreiben. „Unbedingt bereinigen“, empfiehlt Binz, „sonst wird der Jahresverlust mit dem vereinbarten Bewertungsfaktor vom Kaufpreis abgezogen.“

Typisch ist der Fall eines norddeutschen Maschinenbauers mit rund 100 Beschäftigten, der eine Nebenaktivität mit einem jährlichen Verlust von 600 000 Euro vor Zinsen und Steuern (kurz: Ebit) betrieb. Da der Preis des Gesamtunternehmens auf das Sechsfache des Ebits von insgesamt 400 000 Euro festgesetzt wurde, hätte der Verlustbringer den Endbetrag für den kompletten Konzern von 6 auf 2,4 Millionen Euro vermindert. Der Unternehmer verkaufte den Minusmacher jedoch für den symbolischen Preis von einem Euro an einen Konzern, in dessen Portfolio der Verlustbringer optimal passte.

Vollends zur Kleinarbeit wird die Verkaufsvorbereitung, wenn Unternehmer jahrelang privates Vermögen wie Kunstgegenstände, Autos und Immobilien samt Jagdhütten oder Wochenendhäusern in der Firmenbilanz untergerührt haben. In der langen Vorbereitungszeit schwanken auch die Werte nicht börsennotierter Unternehmen je nach Wirtschaftsentwicklung. Tendierten die Firmenpreise noch vor zwei Jahren häufig zum Sechs- bis Siebenfachen des Gewinns vor Steuern und Zinsen (Ebit), erreichen sie heute meist nur das Fünffache.

Mittelständler brauchen einen langen Atem

Eine Umfrage der Unternehmensberatung Concentro Management unter Finanzinvestoren ergab, dass fast die Hälfte von ihnen für die kommenden Monate halbierte Unternehmenswerte im Vergleich zum Stand Anfang des Jahres erwartet. Zumal die Investoren wegen der Finanzkrise auch selbst immer schwerer an Kredite kommen. „Heute wäre der Verkauf deutlich schwieriger gewesen, und ich würde weniger Geld bekommen“, meint der Norma-Verkäufer Rasmussen.

Mittelständler brauchen derzeit einen langen Atem. Wer nicht zwei oder gar vier Jahre warten kann, muss damit rechnen, sein Lebenswerk zum Schleuderpreis loszuwerden. Umgekehrt können Jahre ins Land gehen, wenn die Verkäufer, wie viele Mittelständler, anspruchsvolle Bedingungen stellen: etwa, dass die Firma auf keinen Fall an einen Finanzinvestor oder an einen Wettbewerber gehen soll.

Doch die Zeit drängt. Fast zwei Drittel geben ihr Unternehmen aus Altersgründen bald ab. Mehr als die Hälfte von ihnen ist älter als 60 Jahre, jeder zehnte gar über 70. „Die Unternehmer schieben zu oft den Verkauf bis auf den letzten Drücker auf“, sagt IfM-Forscherin Schlömer, „und manche befassen sich mit dem Thema nur, weil ihre Frau sie dazu drängt.“

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