25 Jahre Mauerfall Drei Unternehmen, die dem Osten Mut machen

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Zwei Mal stand Quendt vor dem Nichts

Als die Mauer fiel, fiel der damals 48-jährige Lebensmittelingenieur Quendt in Dresden erst einmal ins Nichts. Das Ende der DDR machte ihn plötzlich zum Arbeitslosen, ein Schicksal, das er sich bis dahin nicht vorstellen konnte. Bei seinem bisherigen Brötchengeber, dem VEB Dauerbackwaren, wie der Betrieb in sozialistischer Nomenklatur hieß, waren die Öfen ausgegangen.

Für Quendt war der Mauerfall „ein Signal, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen“, erinnert er sich. Geistesgegenwärtig rettete er eine von ihm entwickelte Spezialmaschine zur Herstellung von Russisch Brot vor der Verschrottung. Gesandte des hannoverschen Keksgiganten Bahlsen waren in Dresden angerückt, um zu inspizieren, welche Produktionsanlagen des VEB sich weiterhin nutzen ließen. Für Quendts Unikat hatten die „Wessis“ keine Verwendung.

Der „Ossi“ aber reagiert schnell, packt die sperrige Maschine kurzerhand auf einen Lkw und bunkert sie in einer Garage. Das gerettete Relikt, das er mit viel Herzblut entwickelt hatte, wird zum Grundstein eines privaten Backunternehmens, dem er seinen Namen verleiht. Dafür nimmt er 1991 einen Bankkredit von umgerechnet gut 750.000 Euro auf.

Zehn Tage, die die Welt veränderten
3. Oktober 1990: Deutsche Einheit 62 Abgeordnete stimmten dagegen, die überwältigende Mehrheit dafür: 294 Abgeordnete sprachen sich in der Nacht auf den 23. August 1990 dafür aus , dass „die Volkskammer den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (…) mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990“ erklärt. Elf Monate nach dem Fall der Berliner Mauer war Deutschland damit wieder vereint. „Es wächst zusammen, was zusammen gehört“, kommentierte Ex-Kanzler Willy Brandt 1989. Quelle: dpa/dpaweb
8. Januar 1992: China führt die Marktwirtschaft ein„Das war eine Revolution, nur war sie nicht gewalttätig“, erinnert sich ein ehemaliger Botschafter Chinas an das Jahr 1992. Am 8. Januar trat damals Deng Xiaoping, der faktische Machthaber in China, eine Reise durch den Süden des Landes an. Nach langem Gerangel um die wirtschaftspolitische Stoßrichtung wollte Deng nun die Parteifunktionäre und die Bevölkerung hinter seinen Reformkurs scharen. Denn noch gab es viele Zweifler. 1989 hatten Parteirezensoren seinen Aufruf zur „Kombination von Wirtschaftsplanung und Marktwirtschaft“ zu „Wirtschaftsplanung und Marktregulierung“ umgeschrieben. Dengs Reden 1992 in südchinesischen Städten wie Shenzhen und Shanghai sollten letzte Widerständler verstummen lassen und die ideologische Grundlage des künftigen Reformkurses darstellen. Mit der seitdem stets zunehmenden Privatwirtschaft ist China vom Entwicklungsland zur Weltwirtschaftsmacht auf Augenhöhe mit den USA aufgestiegen, die das weltweit zweitgrößte BIP aufweist. Quelle: REUTERS
9. Juli 1995: Massaker von SrebrenicaDie bosnisch-serbische Armee und Paramliltärs ermordeten im Juli 1995 rund um die Ortschaft Srebrenica 8.000 Menschen. Das Massaker im Bosnienkrieg, einem der vier Jugoslawienkriege zwischen 1991 und 1999, zeigt, dass grausame Krieg auf europäischem Boden trotz aller Lippenbekenntnisse und europäischen Einigungsmaßnahmen seit dem Zweiten Weltkrieg immer noch möglich sind. Quelle: AP
Januar 1999: Euro-EinführungBis zum 1. Januar 1999 fehlte der Europäischen Union ein wichtiges Stück auf dem Weg zum gemeinsamen Markt: Um den freien  Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen zu ermöglichen, brauchte es eine gemeinsame Währung. Zu Beginn des Jahres 1999 beseitigte die EU diesen Mangel und richtete die Europäische Zentralbank ein. Vom 1. Januar an war der Euro gesetzliche Buchungswährung , seit dem 28. Februar 2002 ist er ausschließliches Zahlungsmittel in den zunächst zwölf Euro-Staaten. Heute zahlen Menschen in 18 Staaten mit der gemeinsamen Währung.  Zur wirtschaftlichen Bedeutung kommt die Symbolkraft des Euros hinzu. Er bindet die Menschen über die Grenzen hinweg aneinander und an das Projekt Europa. Quelle: REUTERS
11. September 2001: Terroranschläge in den USAEin Terrorkommando von Al Qaida greift am 11. September 2001 die USA an. Die Islamisten entführen vier Flugzeuge und setzen sie als Waffen eing. Zwei Jets flegen in die Türme des World Trade Centers, ein Flugzeug ins Pentagon, eins stürzt ab. Etwa 3.000 Menschen sterben. Die USA und ihre Alliierten starten wenige Wochen später den Krieg gegen den Terrorismus. Quelle: dapd
20. März 2003: IrakkriegWeder war Iraks Diktator Saddam Hussein in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt, noch arbeitete der Intim-Feind der Bush-Familie arbeitete nicht an Massenvernichtungswaffen. Dennoch zogen die USA am 20. März 2003 gegen den Irak in den Krieg. Der Feldzug dauerte keine vier Wochen, dann war die irakische Armee besiegt. Frieden im Land sollte aber noch lange nicht herrschen. Schiiten und Sunniten kämpften um die Macht im neuen Staat. Al Qaida nutzte die Gunst und scharte islamistische Extremisten um sich und überzog das Land mit Terroranschlägen. Das Land blieb instabil. Die Terroristen des „Islamischen Staats“ nutzten das Chaos, überzogen Teile des Landes 2014 mit Terror, verleibten sich Ölfelder und Waffenlager ein und entwickelten sich zu einer der größten Bedrohungen des Weltfriedens. Quelle: AP
15. September 2008: Lehman-PleiteErst platzte die Immobilienblase, dann wankten die Banken, schließlich brach die Realwirtschaft ein: Die Welt- und Finanzkrise 2008, die Folge eine weltweiten kreditfinanzierten Massenspekulation, vernichtete Vermögen in Billionenhöhe. Am 15. September 2008 meldete die US-Investmentbank Lehman Brothers Konkurs an. Weltweit gerieten Banken ins Wanken. Dee Staatengemeinschaft musste mit Milliarden den Bankensektor stützen. Glaub man Joaquín Almunia, Vizepräsident der EU-Kommission, erhielten die Banken Europas seit dem Ausbruch der Finanzkrise bis zum März 2010 rund vier Billionen Euro an Staatshilfen. Der Großteil entfällt auf staatlichen Garantien, effektiv nahmen die Banken Staatsgarantien in Höhe von 994 Milliarden Euro in Anspruch. In den Sog der Finanzkrise wurde mit wenigen Monaten Verzögerung auch die Realwirtschaft hineingezogen, zunächst in den USA, später auch in Europa und Asien. Laut Eurostat ging die Industrieproduktion in der Eurozone von ihrem Höhepunkt im Frühjahr 2008 bis zum Frühjahr 2009 um mehr als 20 Prozent zurück. Ähnlich dramatische Werte gab es zuvor nur während der Weltwirtschaftskrise 1929/1930. Die Länder versuchten die Wirtschaft mit massiven Konjunkturprogrammen zu stützen. In den USA wurden Konjunkturprogramme mit einem Volumen von über 1,5 Billionen US-Dollar aufgelegt. Die Bundesregierung baute die Möglichkeiten zur Kurzarbeit massiv aus und nahm für in die Konjunkturpakete I und II rund 65 Milliarden Euro in die Hand. Die Schuldenberge der westlichen Länder wuchsen dramatisch an, auf die Finanzkrise folgte die Schuldenkrise. Quelle: dapd

Zum zweiten Mal vor dem Nichts fühlte sich Quendt, als seine Maschine zwar gewohnt zuverlässig lief, er seine Backwaren jedoch ohne Kenntnisse in Marketing und Vertrieb plötzlich auf dem Markt losschlagen musste. Da ihm wie fast allen frischgebackenen Ostunternehmern Kontakte zu den Einkäufern großer Supermarktketten fehlen, setzt er sich persönlich hinter das Steuer eines Transporters und beliefert nach Gutdünken Bäcker, Metzger und kleine Lebensmittelläden der Umgebung mit Russisch Brot in verkaufsfertigen Tüten. Guerillamarketing würde man heute dazu sagen.

Harte Wende

Es war eine harte Zeit für den gelernten DDR-Bürger. Erst Mitte der Neunzigerjahre kam für das Unternehmen der Durchbruch, als Einzelhändler und Verbraucher gezielt nach Traditionswaren made in Ostdeutschland fragten. Quendts Sohn Matthias erkannte das Marketingpotenzial von Dresdener Christstollen, deren Produktion 1994 aufgenommen wurde. Bei der Errichtung der neuen Produktlinie und der Herstellung des Weihnachtsgebäcks halfen neue Mitarbeiter von einem weiteren Dresdner Backkombinat, das schließen musste. Heute ist der Dresdener Christstollen Paradeprodukt des Unternehmens.

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