Arbeitgeber-Image Wie Mittelständler Talente in die Provinz locken

Kleine Unternehmen haben oft große Probleme bei der Personalsuche. Wie Mittelständler auch ohne Millionenbudget Talente in die Provinz locken.

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Die beliebtesten Arbeitgeber der Wirtschaftswissenschaftler
Platz 20: Hugo Boss5,5 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich Hugo Boss als Arbeitgeber. Quelle: dpa
Platz 19: Boston Consulting Group5,6 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich die Boston Consulting Group als Arbeitgeber. Quelle: Presse
Platz 18: EZB6,0 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich die Europäische Zentralbank als Arbeitgeber. Quelle: dpa
Platz 17: L'Oreal6,1 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich L'Oreal als Arbeitgeber. Quelle: REUTERS
Platz 16: Deutsche Bank6,2 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich die Deutsche Bank als Arbeitgeber. Quelle: dpa
Platz 15: PwC6,3 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich PwC als Arbeitgeber. Quelle: dapd
Platz 14: Unilever6,4 Prozent der befragten Wirtschaftswissenschaftler wünschen sich Unilever als Arbeitgeber. Quelle: dpa

Zwei Mitarbeiter der Deutschen-Bahn-Logistik-Tochter Schenker verstauen behutsam ein altes Gemälde in einer Holztruhe. „Rembrandt, Botticelli und Co. beim Umzug helfen“, sagt eine Stimme aus dem Off. Dann sieht man ein Pärchen, das sich am Bahnhof umarmt. „Mehr Menschen zusammenbringen als jede Partnerbörse“, heißt es nun. Schließlich ein Schweißer, der an einem neuen ICE arbeitet – helle Funken sprühen. Der Kommentar: „Heavy Metal zum Beruf machen“.

Der Spot „Kein Job wie jeder andere“ lief 2012 wochenlang im TV, wurde begleitet durch bundesweit geklebte Plakate und war Teil einer großen Imagekampagne der Deutschen Bahn. Eigenmarketing für Millionen – teuer, aber überlebenswichtig: Bis zu 7000 Stellen muss die Deutsche Bahn jährlich neu besetzen – eine Mammutaufgabe, auch wegen des angestaubten Images des Ex-Staatskonzerns.

Die Aktion schlug an: In den ersten zwölf Monaten nach Ausstrahlung der Spots stieg die Zahl der Bewerbungen um 30 Prozent auf rund 200 000, 3,6 Millionen Menschen besuchten die Karriere-Web-Seite der Bahn, 1,3 Millionen schauten sich die Stellenbörse an.

Das Beispiel zeigt, was Unternehmen mit einer gut positionierten Arbeitgebermarke erreichen können – auch und gerade in Zeiten von Fachkräftemangel und einer alternden Gesellschaft.

Erfolgreich, aber unbekannt

Doch nicht alle Unternehmen können so aufwendig um neue Mitarbeiter buhlen – gerade kleinere Firmen in der Provinz, die zwar wirtschaftlich erfolgreich, aber unbekannt sind: Selbst wenn sie in ihrer Nische zu den Weltmarktführern gehören, gelingt es ihnen oft nicht, sich ausreichend Gehör im Wettbewerb um Talente zu verschaffen.

Die Gründe: Anders als Konzernen wie der Bahn oder McDonald’s fehlt ihnen das Millionenbudget für aufwendige Kampagnen. Und anders als etwa die Automobil- oder die Unterhaltungselektronikindustrie, Investmentbanken oder Beratungsunternehmen können viele dieser Hidden Champions neue Mitarbeiter weder mit bekannten Produkten, Spitzengehältern oder coolen Büros in hippen Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München locken.

„Aber gerade die jungen Talente zieht es aus der Provinz in die Städte“, sagt Armin Trost, Professor für Employer Branding an der Business School der Hochschule Furtwangen. Die Folgen der Landflucht: Mehr als 70 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen haben nach eigenen Angaben große Probleme, gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden.

Laut EY Mittelstandsbarometer sind branchenübergreifend momentan rund 326.000 Stellen unbesetzt. Sechs Monate und länger dauert es, offene Stellen zu besetzen. Pro Jahr beträgt der Schaden durch so entgangene Aufträge mindestens 22 Milliarden Euro, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Familiäres Umfeld, flache Hierarchien

Dabei können sich knapp 70 Prozent der Studenten und Berufsanfänger vorstellen, bei einem Hidden Champion zu arbeiten, so das Ergebnis einer Studie der Agentur Serviceplan, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt. Die befragten Absolventen und Jobeinsteiger vermuten gar konkrete Vorteile gegenüber Konzernen, wie familiäres Umfeld, flache Hierarchien und gute Aufstiegschancen.

„Eine attraktive Arbeitgebermarke ist in Zeiten des Fachkräftemangels sehr wichtig“, sagt Personalmarketing-Professor Trost, „Aber die Hidden Champions stellen ihr Licht oft unter den Scheffel und reden nicht genug über die tollen Sachen, die sie machen.“

Damit sich das ändert, ruft die WirtschaftsWoche zum großen Arbeitgeber-Award auf. Gemeinsam mit dem Prüf- und Zertifizierungsunternehmen Dekra suchen wir Unternehmen aller Branchen, die sich vorbildhaft auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter einstellen und das auch glaubhaft kommunizieren.

Die ersten Mutmacher im Mittelstand stellen wir Ihnen auf einer kleinen Deutschlandreise vor.

Prothesen aus Duderstadt

Es war dieses eine Foto, das Sathis Nageswaran vor zwei Jahren bei einem Besuch in London faszinierte: Ein ehemaliger Studienkollege hatte es auf Facebook gepostet. Zu sehen: der Freund, Arm in Arm mit einem Athleten, aufgenommen während der Paralympics, die damals in der britischen Hauptstadt stattfanden.

Was Nageswaran sofort auffiel: die futuristische Beinprothese des Sportlers. „Ich war total beeindruckt“, sagt der 27-jährige Grafikdesigner, der bis vor einem Jahr selbst noch im deutschen Leistungskader Karate trainiert hatte. „Die Prothesen geben den Menschen ihre Beweglichkeit zurück und somit auch ihr Selbstvertrauen.“

Die 10 schlechtesten Arbeitgeber für Praktikanten
Platz 10: Salzgitter AGDer Stahlproduzent aus der gleichnamigen Stadt in Niedersachen macht den Anfang in diesem Negativ-Ranking. Die befragten Praktikanten wählen ihn auf Platz 10. Quelle: dpa
Platz 9: Stadtwerke MünchenMünchen gilt als attraktive Stadt, auch die Infrastruktur ist dafür verantwortlich. Der öffentliche Personennahverkehr trägt dazu bei. Das Mutterunternehmen der Münchner Verkehrsgesellschaft ist für Praktikanten allerdings wenig attraktiv. Quelle: Presse
Platz 8: BoschBosch gehört überraschenderweise auch zu den Praktikanten-Schrecks. Der Automobilzulieferer entspricht damit nicht dem Trend, die Branche schneidet bei den Praktikanten insgesamt gut ab. Quelle: dpa
Platz 7: BMWAls einziges Unternehmen aus der Automobilbranche platziert sich BMW auf Rang sieben. Die Automobilindustrie schneidet bei den Praktikanten insgesamt wesentlich besser ab. Quelle: dpa
Platz 6: ServiceplanEine der größten Werbeagenturen Europas, die Serviceplan Gruppe für innovative Kommunkation ist unter Praktikanten nicht allzu beliebt. Quelle: Presse
Platz 5: Capgemini ConsultingDie größte Unternehmensberatung europäischen Ursprungs ist für Praktikanten keine gute Adresse. Auch der massive deutsche Hauptsitz am Potsdamer Platz in Berlin kann darüber nicht hinwegtäuschen. Quelle: Presse
Platz 4: AXA"Die Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital eines Unternehmens", sagt der Versicherer aus Köln. Doch bei der Bewertung durch die befragten Praktikanten schneidet das Unternehmen trotzdem nicht gut ab. Quelle: dpa

Zu Hause in Hamburg beginnt Nageswaran, sich über Behindertensport zu informieren. Und stößt dabei schnell auf den Ausrüster der Spiele: Otto Bock, weltweiter Marktführer für Prothesen – aus Duderstadt. „Otto wer? Duder was?“, beschreibt Nageswaran seine erste Reaktion. „Duderstadt war für mich eigentlich keine Option.“

Da er aber sowieso auf Jobsuche ist, schickt er eine Initiativbewerbung an die Zentrale des Unternehmens in dem 22.000-Seelen-Städtchen rund 30 Kilometer östlich von Göttingen. Er wird zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen – und kehrt mit einem Vertrag in der Tasche zurück. „Mir war schon in der futuristischen Eingangshalle klar“, sagt Nageswaran, „dass ich ein Ottobocker werden will.“

Solche Geschichten hört Sönke Rössing oft. „Viele Bewerber werden erst durch unser Engagement bei den Paralympischen Spielen auf uns aufmerksam“, sagt der Leiter für Strategie und Personal in Duderstadt. Der Medizintechnikhersteller sponsert die Spiele seit 1988.

Medienwirksamer Wettkampf

Was als privates Engagement von vier Otto-Bock-Technikern begann, die den Athleten umsonst ihre Reparaturdienste anboten, gipfelte 2012 in dem medienwirksamsten Wettkampf im Behindertensport. 6000 Journalisten waren für die Berichterstattung vor Ort, und fast 2,5 Millionen Zuschauer verfolgten das Spektakel. Ausrüster Otto Bock war mit 13 Werkstätten und 80 Technikern vertreten – und ständig im TV präsent.

„Das gestiegene Interesse an den Paralympics macht nicht nur unsere Marke wertvoller, es bringt auch neue Mitarbeiter“, sagt Christin Gunkel, Marketingchefin des Unternehmens. Denn mittlerweile ist das Unternehmen nicht mehr nur für Medizintechniker oder Sportfans ein attraktiver Arbeitgeber. „Die Zahl der Initiativbewerbungen nimmt seit fünf Jahren stetig zu“, sagt Personalchef Rössing. „Gerade die Generation Y sucht nach einer Tätigkeit, die auch einen Sinn hat – und da passen wir mit unseren Produkten natürlich gut rein.“

Die schlimmsten Stellenausschreibungen
Stellenanzeige von BRAAS - Alles Quelle: Screenshot
Das Deutsche Rote Kreuz sucht Menschen, die zupacken können. Dieser Herr macht auch vor Baumstämmen nicht halt. Quelle: Screenshot
Bevor der Kopf zu rauchen beginnt, spendiert "hansgrohe" eine kalte Dusche. Quelle: Screenshot
Bei der Parfümerie-Kette Douglas liebt man "jedes einzelne" Gesicht der Schönheit. Quelle: Screenshot
Die TriFinance GmbH scheint ein einziges brennendes Inferno zu sein. Sieht eher nach Höllentrip als Selbstverwirklichung aus. Quelle: Screenshot
Bei Fressnapf erwartet den künftigen Manager offenbar eine hautnahe Zusammenarbeit mit Tieren. Quelle: Screenshot
Der Ausbildungsplatz bei der Kreissparkasse Birkenfeld scheint eher für Anstreicher gedacht zu sein. Quelle: Screenshot

Hirschvogel in Denklingen

Zwei Kirchen, zwei Sportplätze, ein Schützenverein – das war es: Hier, im beschaulichen Denklingen, rund 80 Kilometer südwestlich von München, hat der Automobilzulieferer Hirschvogel seinen Sitz. Das Unternehmen wächst kontinuierlich – der Umsatz verfünffachte sich annähernd in den Jahren 2001 bis 2013 auf 811 Millionen Euro.

Wachstum, das sich auch im Personalbedarf spiegelt: Pro Jahr sucht der Mittelständler alleine für seine Zentrale rund 200 neue Mitarbeiter. „Wir sitzen hier zwar nicht in der Münchner City, aber hier in der Region genießen wir einen guten Ruf“, sagt Annika Völlmecke, Leiterin Recruiting und Personalmarketing des Unternehmens.

Fachkräfte mit Berufserfahrung sind rar gesät

Hirschvogel kooperiert mit nahe gelegen Schulen und Hochschulen, zum Beispiel in Kempen, präsentiert sich auf Karriere-Messen und gründete eine Stiftung, die Stipendien und Auszeichnungen vergibt – etwa für die besten Schulabschlüsse an den drei deutschen Unternehmensstandorten in Denklingen, Schongau in Oberbayern und Eisenach in Thüringen. Oder baut ein neues Klettergerüst für den Ort.

Außerdem setzt das Unternehmen auf interne Weiterbildung: Jedes Jahr durchlaufen vielversprechende Talente vom Betriebswirt über den Ingenieur bis zum Meister ein berufsbegleitendes Programm für angehende Führungskräfte. Auf dem Lehrplan stehen etwa interkulturelle Trainings für den Umgang mit Kunden aus aller Welt.

„Wir haben trotzdem Schwierigkeiten, IT- und Finanz-Spezialisten zu bekommen, auch Fachkräfte mit Berufserfahrung sind rar gesät“, sagt Personalerin Völlmecke. „Da dauert es manchmal Monate, bis wir einen geeigneten Kandidaten gefunden haben.“

Deshalb setzt Hirschvogel zusätzlich aufs Geld – in Augen der Generation Y trotz all der weichen Faktoren immer noch wesentlich für die Attraktivität eines Arbeitgebers: Neben einem konkurrenzfähigen Gehalt zahlt der Automobilzulieferer Zuschüsse zu Fahrkosten und der privaten Altersvorsorge, außerdem schließt das Unternehmen bei Vertragsunterzeichnung neuer Mitarbeiter eine Unfallversicherung ab.

Seit ein paar Jahren können die Angestellten sich sogar am Unternehmen beteiligen. Ein schlauer Zug, denn eine Studie der Beratung hkp, die unter anderem in Zusammenarbeit mit Siemens, SAP und der Uni Göttingen erhoben wurde, hat festgestellt, dass Mitarbeiter, die finanziell an ihrem Arbeitgeber beteiligt sind, sich mehr mit dem Unternehmen identifizieren und sich im Job stärker engagieren. „Außerdem erzählen unsere Mitarbeiter das weiter“, sagt Völlmecke. „Das wird natürlich auch von neuen potenziellen Arbeitnehmern positiv wahrgenommen.“

Softwareentwicklung in Muflingen

An manchen Tagen sitzt Olga Wejt bereits um fünf Uhr morgens an ihrem Schreibtisch. Optimiert Software für die Fertigung oder bereitet eine Schulung für eine Fachabteilung vor. „Ich stehe dann zwar schon um vier Uhr auf“, sagt Wejt, „aber dafür bin ich wieder zu Hause, wenn andere erst in die Mittagspause gehen.“ Sie hat dann Zeit für ihren sechsjährigen Sohn, etwa wenn der Kindergarten mal früher schließen muss.

Wejt, als Mathematikerin mit Schwerpunkt Softwareentwicklung eine begehrte Fachkraft, kann bei Ebm-Papst kommen und gehen, wann sie will. Seit Anfang 2014 gilt Vertrauensarbeitszeit für rund 1000 der insgesamt 3000 Angestellten am Hauptsitz in Mulfingen, einem Dorf 40 Kilometer westlich von Rothenburg ob der Tauber.

Für Wejt ein zentraler Grund, beim Weltmarktführer für Ventilatorentechnik anzuheuern. Denn ohne diese Freiheit könnte Wejt Kind und Job nicht vereinbaren – Wejts Partner arbeitet im Schichtdienst bei der Bundespolizei. „Ich schätze das Vertrauen, das mir das Unternehmen entgegenbringt“, sagt die 27-Jährige. „Bei einem Konzern wäre das sicher komplizierter.“

Wo Absolventen nach Jobs suchen und was Berufseinsteiger überzeugt

Auf die Vertrauensarbeitszeit war Wejt während eines Praktikums bei Ebm-Papst aufmerksam geworden. Für die junge Mutter war bald klar: „Hier will ich bleiben. Für mich kam nur ein familienfreundlicher Arbeitgeber infrage.“ Neben den flexiblen Arbeitszeiten bietet der Mittelständler seinen Mitarbeitern auch Betreuungsangebote, etwa ein Sommer-Camp für Schulkinder in den großen Ferien.

„Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter Familie und Beruf vereinbaren können, und geben ihnen deshalb Freiheiten“, sagt Ralf Sturm, Personalchef des Unternehmens. „Gerade wenn es darum geht, hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten, ist Work-Life-Balance ein wichtiges Argument.“

Individualisierte Angebote

Mit dem sich auch gut werben lässt: etwa im firmeneigenen Magazin „Mag“, das an alle Kunden verteilt wird. Personaler Sturm versucht auch, sich auf die jeweiligen Lebensumstände seiner Bewerber einzustellen: Für den Single aus Duisburg hat Sturm andere Argumente parat als für die Familie aus Würzburg oder den Facharbeiter aus Spanien.

So gibt es für jede Zielgruppe eigene Broschüren, die über passende Freizeitangebote, den Wohnungsmarkt oder Sprachkurse informieren. Auch Stellenanzeigen, Jobbeschreibungen und Social-Media-Aktivitäten sind individualisiert. „Ingenieure locken wir mit modernen Arbeitsplätzen, innovativen Produkten und unserer Technologieführerschaft.“

Angehende Azubis und Studenten ködert Personaler Sturm über Facebook, wo er das Firmenmaskottchen Leon Green auf Weltreise schickt: Die zahlreichen Selfies des kleinen Drachens aus London, Botsuana oder Reykjavik auf der Timeline des Netzwerks bieten einen etwas anderen Einblick ins Unternehmen.

Um auch künftig die rund 100 offenen Stellen im Jahr besetzen zu können, will Ebm-Papst im Ausland für sich werben. Schon jetzt gibt es etwa auf dem unternehmenseigenen YouTube-Kanal viele englische Videos, auf Twitter wird ebenfalls häufiger auf Englisch gezwitschert. „Wollen wir uns weiter als Champion positionieren“, sagt Sturm, „müssen wir künftig auch international sichtbar sein.“

Anlagenbauer in Telgte

Am letzten Tag seines Praktikums in Paignton, einem Küstenstädtchen im Südwesten Englands, hielt Stefan Rüter ihn bereits in den Händen: seinen selbst entwickelten Klo-Reiniger. Von der ersten technischen Zeichnung über den Prototyp bis zur anschließenden Serienproduktion – der 21-jährige Azubi verantwortete die komplette Entstehungsgeschichte des neuen Produkts. Und das alles in einem fremden Unternehmen mit ihm bis dato fremden Warengruppen und Kollegen, mit denen er nur auf Englisch sprechen konnte, rund 1000 Kilometer von seinem Ausbildungsbetrieb Münstermann entfernt – in seinem ersten Lehrjahr zum technischen Zeichner. „Ich war schon aufgeregt“, sagt Rüter, „aber es war eine super Erfahrung.“

Beliebteste Arbeitgeber für Ingenieure
Platz 18: HochtiefVorjahr: 27 Prozent: 4,1 Quelle: dpa
Platz 18: Deutsche BahnVorjahr: 19 Prozent: 4,1 Quelle: dpa
Platz 18: BombardierVorjahr: 71 Prozent: 4,1 Quelle: AP
Platz 17: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)Vorjahr: 13 Prozent: 4,2 Quelle: Presse
Platz 16: ThyssenKruppVorjahr: 25 Prozent: 4,5 Quelle: dpa
Platz 15: BASFVorjahr: 15 Prozent: 4,9 Quelle: dpa
Platz 14: Max-Planck-GesellschaftVorjahr: 37 Prozent: 5,0 Quelle: Presse

Vier Wochen verbrachte der 21-Jährige im Rahmen seines dualen Studiums zum Technischen Produktzeichner und Maschinenbauingenieur in England, arbeitete Vollzeit und lebte in einer Gastfamilie. Eine Ausnahme? Nein – Standard bei Münstermann: Ein Auslandsaufenthalt ist Pflicht für alle Auszubildenden des Anlagenbauers aus dem 20.000-Einwohner-Städtchen Telgte, 15 Kilometer östlich von Münster. „Unsere Lehrlinge erfahren so mehr Selbstbewusstsein, lernen Eigenverantwortung und verbessern ihre Englisch-Kenntnisse“, sagt Magdalena Münstermann, die den Betrieb zusammen mit Mann und Sohn leitet.

„Diese Herausforderung war ein entscheidender Grund, mich für Münstermann zu entscheiden“, sagt Rüter. Auf das Angebot aufmerksam geworden war er durch ein Video auf der Web-Seite des Unternehmens. Dort erzählen mehrere Azubis aus ihrem Arbeitsalltag – und natürlich auch von ihren Erfahrungen während des Praktikums.

„Wer Job oder Lehrstelle sucht, kauft nicht mehr die Katze im Sack“, sagt Ronald Focken, Markenexperte und Geschäftsführer von Serviceplan. „Bewerber informieren sich vorher, wollen wissen, wo und wie man dort arbeitet.“ Er rät Unternehmen deshalb, in einen guten Internet-Auftritt zu investieren, der neben den fachlichen auch persönliche Einblicke ins Unternehmen liefert.

Denn egal, wie ein Bewerber auf einen potenziellen Arbeitgeber aufmerksam wird: Irgendwann landet er auf der Unternehmens-Web-Site. Ist die schlecht gemacht, ist der Bewerber schnell wieder weg.

Das Telgter Modell

„Wir haben noch keine akuten Probleme, offene Stellen zu besetzen“, sagt Magdalena Münstermann. „Aber wir merken, dass es immer schwieriger wird.“ Um sich für die Zukunft zu wappnen, rief die Unternehmerin vor ein paar Jahren das Telgter Modell ins Leben.

Das Ziel: die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Unternehmen der Region zu stärken und dem Fachkräftemangel vorzubeugen. Mittlerweile sind 100 Arbeitgeber und alle Schulen im Ort miteinander verbunden. So hält Münstermanns Mann schon mal einen Vortrag über Globalisierung vor dem Sozialwissenschafts-Leistungskurs des Gymnasiums.

Immer wieder öffnet das Unternehmen die Türen für Schulklassen, etwa um ihnen zu zeigen, wie ein Magnet in der Praxis funktioniert. So hören schon Neunjährige das erste Mal den Namen Münstermann. Auch Stefan Rüter wird bald auf Englisch einen Vortrag über seinen Aufenthalt in Paignton halten. „So schaffen wir Vorbilder“, sagt Magdalena Münstermann.

Die beliebtesten Arbeitgeber der Naturwissenschaftler
Platz 20: Unilever5,0 Prozent der befragten Naturwissenschaftler wünschen sich Unilever als Arbeitgeber. Quelle: dpa
Platz 19: Fresenius Medical Care5,5 Prozent der befragten Naturwissenschaftler wünschen sich Fresenius Medical Care als Arbeitgeber. Quelle: Presse
Platz 18: Volkswagen5,6 Prozent der befragten Naturwissenschaftler wünschen sich VW als Arbeitgeber. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 17: Lufthansa Technik5,8 Prozent der befragten Naturwissenschaftler wünschen sich Lufthansa Technik als Arbeitgeber. Quelle: dpa
Platz 16: Bundeswehr6,0 Prozent der befragten Naturwissenschaftler wünschen sich die Bundeswehr als Arbeitgeber. Quelle: dpa
Platz 15: Nestlé6,0 Prozent der befragten Naturwissenschaftler wünschen sich Nestlé als Arbeitgeber. Quelle: AP
Platz 14: BMW6,1 Prozent der befragten Naturwissenschaftler wünschen sich BMW als Arbeitgeber. Quelle: dapd

Auslandspraktikum hin, Vertrauensarbeitszeit oder Mitarbeiterbeteiligung her – manchmal hilft im Kampf um die besten Talente nur ein radikaler Schritt weiter: Immer mehr Unternehmen siedeln einzelne Bereiche wie Marketing oder Forschung an einen attraktiveren Standort außerhalb der Zentrale aus.

Die Unternehmen suchen bewusst auch die räumliche Nähe zu den Hochschulen und anderen Arbeitgebern. In München etwa haben sich viele Unternehmen rund um den Autobauer BMW angesiedelt. Denn auch in Zeiten von digitalen Teams ist der direkte Austausch vor Ort manchmal unabdingbar.

Von Duderstadt nach Berlin

Auch Sathis Nageswaran hat bald wieder einen Umzug vor sich. Ein Teil der Otto- Bock-Belegschaft zieht bald von Duderstadt in die Mitte Berlins, nach Prenzlauer Berg. „Kreative Köpfe wünschen sich eben auch ein kreatives Umfeld“, sagt Sathis Nageswaran.

Spätestens 2016 sollen er und sein Team auf das Gelände der Bötzow-Brauerei ziehen, das Otto-Bock-Chef Hans Georg Näder vor vier Jahren aufkaufte.

Die neue Nachbarschaft ist attraktiv: Die Otto-Bock-Kreativfabrik wird zwischen dem neuen Restaurant des Sternekochs Tim Raue, einer hippen Cocktailbar und zahlreichen Ausstellungsräumen Quartier beziehen – alles vom Unternehmenschef Näder selbst orchestriert. Doch auch in der großen Stadt schwört Nageswaran: „Ich bleibe ein Ottobocker.“

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