Alfred Koegel redet in ein Mikrofon, damit ihn die Zuhörer überhaupt verstehen. Das Grohe-Werk im sauerländischen Hemer ist ein höllenlauter Ort. Koegel zeigt bei der Werksführung Metall-Rohlinge von Armaturen, die in Hunderter-Kästen zwischenlagern. Mehr als zwei Millionen Wasserhähne spuckt die Fabrik jährlich aus. Bis zum fertigen Produkt ist es ein langer Weg. Der Schmelzofen verbindet bei mehr als 1000 Grad Kupfer und Zink zu Messing. Das rinnt in eine Form, umschließt gepressten Sand, der die Hohlräume im Innern schafft, durch die später das Wasser fließt. Nach dem Abkühlen schüttelt ein Roboter den Rohling so lange durch, bis der Sand verschwunden ist.
Kräftig geschüttelt wird auch die Grohe-Welt – und das nicht zum ersten Mal. Die aktuellen Eigentümer, der US-Finanzinvestor Texas Pacific Group (TPG) und die Credit Swiss First Boston Private Equity, die Beteiligungsgesellschaft der Credit Suisse, verkaufen das Unternehmen an den japanischen Konzern Lixil. Mit einem Kaufpreis von knapp drei Milliarden Euro ist es der bislang größte japanische Zukauf in Deutschland. Durch die Transaktion entsteht der weltweit größte Armaturenhersteller mit einem Jahresumsatz von etwa vier Milliarden Euro. Grohe bleibt unter den neuen Herren als selbstständiges Unternehmen erhalten.
Der Verkauf setzt nach neun Jahren den Schlussakkord unter eine Debatte ums Auspressen und Durchrütteln. Auslöser war Franz Müntefering mit einem Interview im April 2005: „Manche Finanzinvestoren bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter“, sagte der damalige SPD-Vorsitzende. Gemeint war Grohe, jenes Unternehmen, dessen Zentrale in Münteferings Nachbarwahlkreis liegt. Damit war das Wort in der Welt, das seitdem als Synonym für Geldgeber gilt, die Unternehmen kaufen, um sie nach tiefen Einschnitten später teurer zu verkaufen.
Bei Grohe beginnt dieser Prozess 1999, als die britische Beteiligungsgesellschaft BC Partners den Sanitärhersteller von den Familieneignern erwirbt, die Kasse machen wollen. Ende 2004 übernehmen TPG und Credit Suisse die Macht in der Firmenzentrale – in einer Weise, die Müntefering zu seinem Heuschrecken-Vergleich provozierte. Sie finanzieren den Kauf über Kredite, die sie anschließend dem Unternehmen aufladen. Das muss Darlehen und Zinsen aus der Firmenkasse bezahlen.
Die Geschichte von Grohe
Friedrich Grohe, der Sohn des Armaturenherstellers Hans Grohe (dessen Unternehmen Hansgrohe in Schiltach im Schwarzwald bis heute existiert und nicht mit Grohe zu verwechseln ist), erwirbt das Unternehmen Berkenhoff und Paschedag im sauerländischen Hemer. Er konzentriert die Fertigung auf Sanitärarmaturen und benennt den Betrieb 1948 in Friedrich Grohe Armaturenfabrik um.
Gründer Grohe verkauft die Hälfte der Firma an den US-Mischkonzern ITT.
Friedrich Grohe stirbt, seine Erben kaufen den ITT-Anteil zurück.
Umwandlung in eine AG.
Die Familie verkauft das Unternehmen für 900 Millionen Euro an den Finanzinvestor BC Partners, der Grohe von der Börse nimmt.
BC Partners reicht Grohe für 1,5 Milliarden Euro weiter an die Finanzinvestoren Texas Pacific Group (TPG) und CSFB Private Equity, eine Tochter der Credit Suisse. Die neuen Eigentümer bauen Personal ab und bürden Grohe hohe Schulden auf.
Der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering, der seinen Wahlkreis im Nachbarort des Grohe-Sitzes hat, bezeichnet die Finanzinvestoren als „Heuschrecken“.
TPG und CSFB wollen Grohe verkaufen oder an die Börse bringen.
Im April erhielt der japanische Baustoffkonzern Lixil den Zuschlag und übernahm Grohe für einen Betrag von 3,1 Milliarden Euro. Noch am gleichen Tag erfuhren die Käufer von einer Bank, dass die chinesische Grohe-Tochter Joyou einen Kredit nicht mehr bedienen könne. Ein Prüfung ergab, dass die Buchführung in den Bereichen Umsatz, Schulden und Barmitteln erheblich von der Realität abwich. Wenige Wochen später meldet die deutsche Joyou AG Insolvenz an. Zuvor hatte Joyou noch als Ertragsperle von Grohe gegolten.
Synonym für Heuschrecken-Fälle
Dann langen TPG und Credit Suisse zu: Gut zwei Jahre vor Ausbruch der Finanzkrise trifft Wall Street auf Wertarbeit, Zockertum auf Realwirtschaft. Die neuen Grohe-Eigner beschließen Werksverlagerungen und den Abbau Tausender Stellen. Das zuvor gesunde Unternehmen wirkt wie ein Sanierungsfall. Selbst Charles Grohe, der kommod auf einem Schweizer Schloss residierende Familiennachfahre, empört sich über den „Termiteneinfall“.
Grohe ist überall
Finanzinvestoren haben zwischen 2005 und 2007 in Deutschland größere Unternehmen übernommen als Grohe. Sie haben Hugo Boss, ProSiebenSat.1 und Kion gekauft, umgemodelt, zum Teil wieder abgestoßen. Doch der Armaturenhersteller wird zum Synonym für alle Heuschrecken-Fälle. Der Private-Equity-Lobbyverband BVK belegt mit einer Grohe-Fallstudie den Nutzen von Private Equity, die Hans-Böckler-Stiftung zeigt Gewerkschaftern mit dem gleichen Beispiel die Gefahren der Heuschrecken. Nur Müntefering will sich heute nicht mehr äußern und verweist auf Anfrage an die SPD-Bundestagsfraktion.
Das Thema ist nicht erledigt: Nachdem das Private-Equity-Geschäftsmodell durch die Krise 2008 abgestürzt war, hat es sich berappelt. Das zeigen die Übernahmen der Parfüm-Holding Douglas durch Advent Ende 2012 und des Springer-Fachverlags durch BC Partners im Juni. Banker berichten, dass die Finanzierungsbedingungen ähnlich gut sind wie in der Vorkrisenzeit. Geldgeber gibt es genug. Wegen der Niedrigzinsen soll Private Equity für ein paar Renditepunkte mehr sorgen. Geht das gut, wer gewinnt, wer verliert? Grohe ist überall, im Guten wie im Bösen.
Stephen Peel hat Grohe nicht aus den Augen verloren, obwohl er 2009 von London nach Hongkong gezogen ist, um für seinen Arbeitgeber TPG nach Übernahmekandidaten in China Ausschau zu halten. Peel hat in Cambridge studiert und ist als Olympiaruderer an den Start gegangen. Er hat bei der US-Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet und trägt das Haar länger, er sieht aus wie ein Geldkreativer, nicht wie ein Bieder-Banker.
Zwei Banker wuppen den Grohe-Deal
Das Jahr 2004 neigt sich zu Ende, als Peel gemeinsam mit seinem Kollegen bei der Credit Suisse, dem Harvard-Absolventen Colin Taylor, Großes wagt. Die beiden wuppen den Grohe-Deal. Das heute 77 Jahre alte Unternehmen ist für sie mehrfach attraktiv: Es ist profitabel, die Marke bekannt, die Einnahmen sind stabil. Peel und Taylor vermuten außerdem stille Reserven. BC Partners hatte in den Jahren zuvor bei den Sauerländern eher an der Oberfläche gekratzt. Peel und Taylor sind sicher, dass da noch was geht, wenn sie tiefer ins operative Geschäft schneiden. Mehr Effizienz, mehr Profitabilität, mehr Absatz in Asien: Für diese Perspektive zahlen sie rund 1,5 Milliarden Euro, 600 Millionen mehr als der Vorbesitzer.
Damit ihre Pläne klappen, durchleuchten die beiden das Unternehmen bis in die hinterste Ecke. Für die neuen Eigentümer zählen Zahlen, keine Sentimentalitäten. Alles kommt auf den Prüfstand. Zusammen mit Peel und Taylor kommen ein neuer Chef und eine Schar von Beratern. Die probiert an Grohe aus, was an Managementmoden gerade so en vogue ist, von „Best in Class“ bis „Global Sourcing“. Der gute Rat ist teuer: Noch 2011 bezahlt Grohe für Beratungen 25 Millionen Euro.
TPG und Credit Suisse tragen geschätzt nur etwa 30 Prozent des Kaufpreises von 1,5 Milliarden Euro selbst, den Rest leihen sie sich bei Banken. Die Kredite übertragen sie auf Grohe: Das ist das gängige Geschäftsmodell von Private Equity und treibt die Verschuldung der übernommenen Unternehmen drastisch in die Höhe.
Drückende Schulden
Neun Jahre später offenbaren die Bücher, welch tiefe Spuren Peel und Taylor in den Finanzen von Grohe hinterlassen haben. Die Kapitaldecke ist immer noch dünn. 1998, vor dem Einstieg von BC Partners, lag die Eigenkapitalquote von Grohe bei über 50 Prozent, heute sind es zwölf Prozent. Das ist deutlich unter dem aktuellen Durchschnitt aller deutscher Unternehmen von 22 Prozent.
Gleichzeitig drücken Grohe hohe Schulden. Ende 2011 hat die Holding Verbindlichkeiten von 1,4 Milliarden Euro. Die Höhe ist seit der Übernahme etwa gleich geblieben. Die Eigentümer haben nichts getilgt, sondern – gelernt ist gelernt – die ursprünglichen Kredite durch Anleihen ersetzt, um sich die Finanzierung langfristig und von Banken unabhängig zu sichern.
Hohe Schulden
Kürzlich haben sie umgeschuldet, nun laufen alle drei aktuellen Anleihen über insgesamt 1,1 Milliarden Euro bis 2017. Die Zinszahlungen sind dadurch zwar etwas günstiger, mit Kupons ab vier Prozentpunkten über dem Leitzins im aktuellen Umfeld aber dennoch hoch. Wegen der hohen Schulden bewertet die Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit der Grohe-Holding bloß mit der Note B-, das heißt hoch spekulativ. Peel und Taylor reden die Schulden dagegen klein. Schließlich könne Grohe die Zinsen voll aus den laufenden Mittelzuflüssen zahlen.
Wahr ist allerdings auch, dass die Eigentümer in den vergangenen Jahren auf die ganz harte Tour verzichteten, die andere Heuschrecken abgezogen haben. Sie haben sich die ganze Zeit keine Sonderdividende gezahlt, sondern in das Unternehmen investiert. Bis heute gibt Grohe kontinuierlich drei bis vier Prozent vom Umsatz für Forschung aus. Das Unternehmen besitzt eine neue Designabteilung, ein SAP-System, das nach der Übernahme angeschafft wurde, sorgt für die Datenverarbeitung. Und die Mehrheit am einstigen chinesischen Konkurrenten Joyou, die die neuen Eigentümer Grohe bescherten, hat das Unternehmen globaler gemacht. Das Nachsehen hat allerdings der deutsche Fiskus: Die Grohe-Gruppe machte 2012 einen Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen von 273 Millionen Euro, überwies aber dank der Zinszahlungen und einer verschachtelten Eigentümerstruktur nur 3,5 Millionen Euro ans Finanzamt.
Hoffen auf Milliarden Euro
Peel und Taylor wären Grohe gerne früher losgeworden. Drei bis fünf Jahre gelten für sie als optimale Haltedauer, doch die Finanzkrise kam ihnen dazwischen. Ihre Investoren – Pensionsfonds, Versicherungen und reiche Privatanleger – hatten ihnen das Geld wie üblich zehn Jahre anvertraut und wollen, dass nun Zahltag ist.
Ursprünglich galt Grohe als Kandidat für einen Börsengang, bis zum Schluss haben TPG und Credit Suisse die Option weiter verfolgt. Für sie hat der Verkauf den Vorteil, dass sie ihre Beteiligung auf einen Schlag los sind. Über die Börse wären sie erst mal nur einen Teil losgeworden. Den Wert ihrer Beteiligung hatten sie zuerst mit bis zu vier Milliarden Euro taxiert. Aber auch mit den jetzt erzielten drei Milliarden haben sie bei einem Kaufpreis von etwa 1,5 Milliarden einen guten Schnitt gemacht.
Fast doppelt so rentabel
David Haines trägt lila Hosenträger, das weiße Hemd spannt leicht über dem Bauch, der Humidor an der Wand zeigt, dass sich hier ein Manager dem Mineralwasser- und Nichtraucher-Terror seiner Zunft widersetzt. Der Grohe-Chef sitzt in einem schicken Glasbüro in der hellen Zentrale in Düsseldorf-Oberkassel. Die Investoren haben diese kurz nach der Übernahme 2009 eröffnet, weil die Fahrt in die sauerländische Provinz den anzuwerbenden internationalen Starmanagern nicht zumutbar erschien.
200 Grohe-Kräfte arbeiten heute in dem feinen Düsseldorfer Stadtteil. Haines wirkt entspannt, dabei hat er derzeit noch mehr zu tun als sonst, sein Arbeitstag geht von 7 bis 22 Uhr, neben Kundenterminen überall auf der Welt macht er Szenarioplanung mit den Eigentümern. Der Engländer spricht akzentfrei Deutsch, vor seinem Wechsel zu Grohe hat er bei Mars, Coca-Cola und Vodafone gearbeitet und dort viel über Markenpflege, allerdings nichts über Badezimmer-Armaturen gelernt.
Heuschrecken-Entrüstung traf Haines unvorbereitet
Haines blättert durch Charts und Grafiken. Der Heuschrecken-Entrüstungssturm kurz nach seinem Amtsantritt traf ihn unvorbereitet. Und zu Unrecht, wie er heute meint. Um das zu unterstreichen, präsentiert er eine, nein, seine Erfolgsgeschichte, die, wie er meint, nur so möglich war: „Die Finanzinvestoren waren für Grohe existenziell.“ Sie hätten rational agiert und das Unternehmen mit einem umfassenden Ertüchtigungsprogramm besser gemacht. Dazu zählte auch der Abbau von Stellen.
„Die Schritte waren für die Betroffenen sicher schmerzhaft, aber notwendig“, sagt Haines. 2012 war für ihn ein besonders gutes Jahr. Selbst ohne die chinesische Tochter stieg der Umsatz um sechs Prozent auf 1,1 Milliarden Euro, der Vorsteuergewinn legte um fünf Prozent zu. Obwohl die wichtige Baubranche in vielen europäischen Ländern schwächelt.
Vorher lief es auch nicht schlecht
Andererseits: Vor dem Einstieg der Finanzinvestoren lief es bei Grohe auch nicht schlecht. Der Umsatz wuchs in den Jahren bis 1999 jährlich um etwa sieben Prozent auf zuletzt 770 Millionen Euro, die Auslandsexpansion war bereits im Gange. Wie es Grohe heute ohne die Heuschrecken ginge, weiß niemand.
Haines kennt diese Einwände. Die Fixkosten seien damals viel zu hoch gewesen, die Forschung zersplittert, „alle haben alles gemacht“. Heute ist die Forschung auf Hemer im Sauerland konzentriert, die Produktion auf drei Standorte verteilt. Armaturen kommen aus Hemer, Brausen aus Lahr im Schwarzwald, Spülsysteme aus Porta Westfalica bei Bielefeld. Bei seinem Amtsantritt habe Grohe zwei neue Produkte pro Fachmesse gebracht, heute seien es 150, wobei der Großteil Innovationen im Design sind. Die Herstellung eines Produkts habe früher mehr als 25 Tage gedauert, durch die Umstellung der Produktion seien es heute drei bis vier.
Gestiegene Rentabilität
Deutlich gestiegen ist vor allem die Rentabilität: Die Umsatzrendite lag 1999 bei zwölf Prozent, jetzt ist sie nahe 20 Prozent. Inklusive der Joyou-Produkte mache Grohe heute die Hälfte des Umsatzes in Schwellenländern. Und dennoch stehe das Unternehmen mit einer Fertigung von mehr als 50 Prozent in Deutschland für weltweit geschätzte Industriekompetenz. Vor dem Verkauf waren es noch gut 70 Prozent.
In den unteren Stockwerken des Grohe-Gebäudes in Düsseldorf ist Haines’ Wasserwunderwelt zu besichtigen. Dort bietet der „Grohe Store“ aktuelle Bad- und Kücheninnovationen. Etwa die Armatur, bei der durch eine simple Drehung sprudelndes oder kochendes Leitungswasser fließt und die gerade für die Düsseldorfer Vodafone-Zentrale angeschafft wurde. Das benachbarte „Design-Studio“ ist so geheim, dass die Tür immer verschlossen ist und draußen eigens eine Mauer hochgezogen wurde, um unerlaubte Blicke abzuhalten. 14 Kreative zeichnen und modellieren hier.
Zweitmarke als preisgünstige Alternative
Haines findet nicht, dass der Verkauf des Unternehmens seine Leute verunsichern sollte. „Wir können sehr selbstbewusst sein“, sagt er. Dass Grohe in der Wirtschaftskrise 2009 trotz eines zweistelligen Umsatzeinbruchs keinen Mitarbeiter entlassen musste, habe viel Vertrauen geschaffen.
Die weiteren Ziele sind klar gesteckt, die Zweitmarke Joyou soll weltweit als preisgünstige Alternative etabliert werden. Haines zieht Parallelen zu Volkswagen, sieht in Joyou eher Skoda-Modelle, während Grohe für Audi stehe. Vor allem in den USA ist Grohe bisher schwach vertreten, gerade erst konnte das Unternehmen mit der preisgünstigen Baureihe die Regale der Baumarktkette Home Depot entern. Haines wird auch künftig an Bord sein. Seinen Vertrag hat er um fünf Jahre verlängert. „Wir alle identifizieren uns mit dem Unternehmen, in unseren Adern fließt blaues Grohe-Blut“, sagt er pathetisch.
Bescheidene Wünsche
Peter Paulokats Arbeitsleben ist Grohe, seit er mit 15 Jahren im Werk in Hemer anfing. Das war 1971, der Betriebsratsvorsitzende hat viel erlebt, ruhig war es selten. Jetzt sitzt er in einem Besprechungsraum vor einer Wand voller Duschköpfe, sein oberster Hemdknopf ist offen.
Paulokat zieht seine eigene Bilanz, „Die Heuschrecken-Diskussion hat uns allen sehr geschadet. Wir wurden bedroht, beschimpft und von Konkurrenten schlecht gemacht“, klagt er. Wirklich gerecht seien die Vorwürfe nicht gewesen, die aktuellen Eigentümer hätten das Unternehmen „nicht ausbluten lassen“.
Entlassene Kollegen als Leiharbeiter
Dennoch will Paulokat nicht alles gutheißen, was die Finanzinvestoren bei Grohe unternommen haben. „Einige Einschnitte halte ich rückblickend immer noch für zu hart, aber grundsätzlich war die Richtung richtig“, sagt Paulokat. Dass deutlich gespart werden musste, stand auch in einem Gutachten, dass der Betriebsrat auf dem Höhepunkt der Heuschrecken-Diskussion 2005 in Auftrag gab.
Aktuell arbeiten jedoch nur noch 2300 der 9000 Beschäftigten in Deutschland, vor 2005 waren es fast doppelt so viele. In der Fabrik in Hemer ist die Zahl etwa gleich geblieben, einige entlassene Kollegen sind wieder da, allerdings als Leiharbeiter. Auch die Verlagerung der Zentrale und einiger Abteilungen ist für Paulokat nicht unproblematisch. Manche Bürokräfte in Düsseldorf hätten das Werk noch nie von innen gesehen. Und selbstverständlich sorge die Verkaufsdebatte für Verunsicherung.
Wenig zu meckern
Über die Behandlung im Alltag gibt es für Paulokat dagegen wenig zu meckern. Es gibt Sonderzahlungen unter den Finanzinvestoren, der Arbeitsschutz hat sich sogar verbessert, die Qualität der Produkte, auf die die Grohe-Belegschaft immer besonders stolz war, habe nicht gelitten. Und so fällt Paulokats wesentlicher Wunsch an den Arbeitgeber bescheiden aus: „Mal wieder ein Betriebsfest.“
Es ist sechs Uhr morgens in Herzberg. Pendler ruckeln in ihren Autos über das Kopfsteinpflaster des schmucken Städtchens im südlichen Nirgendwo Brandenburgs. Früher fuhren nicht so viele weg, da gab es mehr zu tun am Ort. Das „Früher“ füllt sieben Aktenordner mit Zeitungsartikeln und Korrespondenz, die Bürgermeister Michael Oecknigk und Gabi Lang, Geschäftsführerin der örtlichen Wirtschaftsförderung, auf dem Schreibtisch im Rathaus ausgebreitet haben. Sieben Ordner Wut, Angst und Hoffnung.
"Aus dem Schlechten das Beste gemacht"
Mit 305 Beschäftigten war Grohe mit Abstand der größte Arbeitgeber der abgelegenen Kreisstadt, „ein Leuchtturm“, sagt Oecknigk. Wer hier einen Job ergatterte, konnte sich ein Häuschen leisten und sich sicher fühlen. Der Standort war rentabel, ab dem Jahr 2000 wurde hier „Grohe Art“ produziert, die Palette edler, ausgefallener Armaturen.
Anfang 2005 kommen Gerüchte auf, das Werk solle geschlossen werden. Bürgermeister Oecknigk fährt nach Hemer. Der Grohe-Vorstand beruhigt ihn, er halte am Standort fest. Die Einwohner jubeln, als der Bürgermeister die Nachricht auf einem Volksfest verkündet. Sechs Wochen später der Schock: Grohe macht Herzberg als einzigen der vier deutschen Standorte zum Jahresende dicht. Zu unrentabel, zu weit weg, die Zukunft liegt in Thailand. Die Beschäftigten schleppen, als Totengräber kostümiert, einen Sarg vors Rathaus. Grohe zahlt Abfindungen, spendiert eine Auffanggesellschaft, um die Entlassenen umzuschulen.
Investoren locken
Aber zu was? Vor Ort gibt es kaum Jobs. Wenige finden woanders etwas, einzelne heuern zeitweise wieder bei Grohe an, fliegen zum Sondereinsatz nach Thailand, bis dort die Qualität stimmt. Grohe beauftragt eine Immobilienfirma mit der Vermarktung des Standorts. Die stellt ein Schild auf, aber hier kommt niemand vorbei.
Darum nehmen die Betroffenen ihr Schicksal in die Hand. Mit Unterstützung von IG Metall, dem Land Brandenburg und dem gewerkschaftsnahen IMU Institut trifft sich die Arbeitsgruppe „Perspektiven für Herzberg“ wöchentlich im leeren Werk. Die Mitglieder schreiben Investoren an, prüfen Fördermöglichkeiten. Der frühere Betriebsratschef mäht den Rasen, sorgt dafür, dass das Gelände nicht verlottert. Investoren sollen die leeren Hallen gefallen.
Kein Gebäude leer
Schließlich wird über einen Kontakt des Bürgermeisters die Firma Siedle aus dem Schwarzwald auf das verlassene Gelände aufmerksam. 2007 übernimmt der Bauteilehersteller die Galvanik und stellt drei Beschäftigte ein. Zeitgleich folgt ein Autozulieferer, es folgen ein Metallbauer, ein Sandstrahlunternehmen. Immerhin 95 Menschen arbeiten heute wieder auf dem Grohe-Gelände, kein Gebäude steht leer, erst im Juni hat in der ehemaligen Kantine eine Cafeteria eröffnet. Nur noch ein Schriftzug an der Wand erinnert dort an die bewegte Vorgeschichte.
TPG, Credit Suisse und ihr Vollstrecker Haines haben seit 2004 aus Grohe ein globaleres, innovativeres, aber finanzschwächeres Unternehmen gemacht. Die Arbeitnehmer am Standort Hemer scheinen zufrieden. Und auch in Herzberg sind nicht nur Molltöne zu hören. „Wie haben aus dem Schlechten das Beste gemacht“, sagt Bürgermeister Oecknigk.