Betriebliche Altersvorsorge Mittelständlern fehlen 100 Milliarden Euro

Seite 3/4

Probleme um Bilanzierung und Rückstellung

Wann Arbeitgeber bestehende Betriebsrenten-Zusagen kürzen dürfen.
von Anke Henrich

Wirtschaftsprüfer warnen seit Jahren davor, dass auch die Einführung des Bilanzrechtmodernisierungsgesetzes, kurz BilMoG, im Jahr 2009 nicht alle Probleme rund um Bilanzierung und Rückstellungen im HGB gelöst hat. So dürfen Altverpflichtungen, die vor 1986 getroffen wurden oder deren Erfüllung über externe Versorgungsträger wie Unterstützungskassen erfolgt, weiterhin in der Bilanz unberücksichtigt bleiben.

Immerhin werden seit 2009 unter anderem zukünftige Gehalts- und Rentensteigerungen in der Bilanz realistischer angesetzt. Und der Rechnungszins wird seitdem von der Bundesbank als Durchschnittswert auf Basis der vergangenen sieben Jahre ermittelt.

Derzeit liegt dieser Bundesbank-Referenzzins bei 4,9 Prozent. Allein die Lücke zu den bislang meist angesetzten sechs Prozent kostet die Unternehmen Millionen. Denn je niedriger der Referenzzins liegt, desto mehr Geld müssen sie zurückstellen. Große börsennotierte Unternehmen, die nach dem internationalen Standard IFRS bilanzieren, dürfen heute sogar nur einen Rechnungszins von 3,5 Prozent verwenden.

Prof. Dr. Klaus-Peter Naumann, Sprecher des Vorstands des Düsseldorfer Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW), geht davon aus, dass „schon eine Veränderung des Zinssatzes um einen Prozentpunkt zu Lücken von 10 bis 20 Prozent bei den Rückstellungen führt“.

Naumanns Institut moniert aber auch, dass die aktuellen Vorschriften zu einer ungewollten Substanzbesteuerung führen können: Sind die Zinsannahmen zu hoch, stellen die Unternehmen weniger für Pensionen zurück, als sie müssten, und versteuern so Gewinne, die bei realistischen Rückstellungen gar nicht anfallen würden.

Dennoch sind bei den Koalitionsgesprächen in Berlin die Probleme mit der betrieblichen Altersvorsorge kein Thema.

Entwicklung der Deckungsmittel der betrieblichen Altersvorsorge nach Durchführungswegen

Dabei können Pensionslücken die Unternehmen noch an drei anderen Stellen entscheidend schwächen. „Bei der Kreditvergabe und den eigenen Ratings schauen die Banken immer genauer auf die Pensionszusagen“, warnt Marco Keßler, Prokurist bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Saarbrücken. „Sehen sie Gefahr, verlangen sie höhere Kreditzinsen oder sagen ganz ab.“ Bei der Nachfolgesuche schreckten die schwer kalkulierbaren Zukunftslasten der Unternehmen selbst Familienmitglieder davon ab, in Vaters oder Mutters Fußstapfen zu treten. Ärger drohe auch bei einem Unternehmensverkauf, so Keßler: „Wenn die Rentenzusagen nicht ausgelagert sind, mindert das den Kaufpreis.“

Die Deckungslücken werden sich auf breiter Front in den Geldbeuteln der Beschäftigten bemerkbar machen. Schon die unangenehme Tatsache, dass auf Betriebsrenten-Auszahlungen Steuern und Krankenversicherungsbeiträge fällig sind, verdrängen viele. Es kommt aber noch schlimmer.

So haben viele Arbeitgeber das Kapitalmarktrisiko – die Frage, wie sich die Rendite der Einzahlungen über Jahrzehnte entwickelt – längst auf ihre Mitarbeiter abgewälzt. Sie sagen ihnen nur die Einzahlung, aber nicht mehr die feste Auszahlung zu – siehe Lufthansa.

Wer zudem glaubt, in langen Jahren erdiente Pensionsanwartschaften könnten nicht einkassiert werden, irrt. Selbst Abstriche bei längst laufenden Renten sind zulässig.

Sicherungsfälle und Schadensvolumen des Pensionssicherungsvereins

Betriebsrenten sind auch bei einer Insolvenz des Arbeitgebers nicht immer geschützt. Grundsätzlich gilt zwar: Bei einer Pleite sind Direktzusagen und -versicherungen, Pensionsfonds und Unterstützungskassen über den Kölner Pensionssicherungsverein (PSV) gesichert. 2012 waren die abgesicherten Zusagen bereits auf gut 300 Milliarden Euro angeschwollen. 93.000 Unternehmen sind Zwangsmitglied im PSV.

Aber auch deren Mitarbeiter können Ärger beim PSV in der eigenen Geldbörse spüren, nämlich wenn in kurzer Zeit mehrere große Unternehmen pleitegehen und der PSV die Betriebsrenten der betroffenen Mitarbeiter zahlen muss. Dann schießen die Mitgliedsbeiträge in die Höhe. Als etwa 2009 der Handelsriese Arcandor Insolvenz anmeldete, erhöhte der PSV den Beitragssatz von 1,8 auf 14,2 Promille der versicherten Zusagen. Das schmerzt vor allem kleinere Unternehmen. Im schlimmsten Fall können sie aus dem Grund die Renten und Rentenzusagen ihrer Mitarbeiter kürzen, was bereits vorgekommen ist.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%