Birkenstock Vom zerstrittenen Familienunternehmen zum Global Player

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Neues Sortiment mit Lederstiefeln

Die Belegschaften der Standorte in Rheinland-Pfalz und Hessen schauten lange mit Argwohn auf das wachsende ostdeutsche Werk in Görlitz. Eingenebelt von warmem Ammoniak-Gestank, backen Arbeiterinnen und Arbeiter dort im Drei-Schicht-Betrieb Fußbetten auch für die anderen Werke. Rund 60 Prozent der schon 1200 Mitarbeiter des grenznahen Werks kommen aus Polen. Betriebsrätin Falk-Wagner in St. Katharinen aber hat „angesichts der Investitionen nicht mehr die Sorge, dass die hier das Licht ausmachen wollen“: Rund 45 Millionen Euro flossen seit 2014 nach Unternehmensangaben in die westdeutschen Standorte, 36 Millionen in den Ausbau der sächsischen Werke.

Neu ist auch das Hauptquartier. Reichert, der von München aus anreist, verordnete einen Umzug vom Westerwald-Standort Vettelschoß ins nahe Neustadt/Wied in einen lichten Bau mit Glaspyramide als Entrée, der Modernität ausstrahlt.

Die spiegelt sich auch im Produktportfolio wider. Birkenstock bietet heute weit mehr als Gesundheitslatschen. Längst gibt es Modelle in Leopardenoptik und mit Kunstfell in Prinzessinnen-Rosa. Zu den neuen Kollektionen gehören geschlossene Schuhe und Lederstiefel. Reichert selbst trägt hellgraue hauseigene Sneaker. Gemeinsam ist all dem Schuhwerk das Birkenstock-eigene Fußbett in den Varianten schmal oder breit und den Größen 24 bis 50. Rund 50.000 Produktvarianten gibt es – neuerdings auch Plastik-Sandalen und -Clogs, dazu auch Socken und Ledertaschen.

Betten und Hautcremes von Birkenstock

Reichert ist davon überzeugt, dass aus der Marke noch viel mehr herauszuholen ist. Auf der Kölner Möbelmesse im Januar will er erstmals Birkenstock-Betten samt Matratze und Lattenrost vorstellen. Mitte Februar, auf der Naturkosmetik-Messe Vivaness in Nürnberg, folgt eine Naturkosmetiklinie. Die Hautpflegecremes – zunächst nur für die USA und Märkte in Asien – enthalten Substanzen aus der Rinde der Korkeiche. Korkgranulat aus Portugal ist neben Naturlatex Hauptbestandteil der Birkenstock-Fußbetten. Auch über Birkenstock-Büromöbel wird im Westerwald schon nachgedacht. Was das mit Schuhen zu tun hat? Für Reichert ist die thematische Klammer bei der Ausdehnung der Marke ganz klar: Ergonomie und Gesundheit.

Das sind Europas größte Modekonzerne
Platz 10: CalzedoniaDie Fachzeitschrift „TextilWirtschaft“ untersucht jedes Jahr die Umsätze der größten europäischen Bekleidungshersteller. Die Analyse zeigt: Der Markt steht vor großen Herausforderungen. Zwar konnten die meisten Konzerne wie zum Beispiel Calzedonia wachsen, doch die Krise in Russland und der Ukraine dürfte sich früher oder später in den Bilanzen niederschlagen.Umsatz 2013: 1,60 Milliarden EuroUmsatz 2014: 1,85 Milliarden EuroVeränderung: + 15,4 Prozent Quelle: imago images
Platz 9: Georgio Armani1975 gründete Georgio Armani das Modelabel Armani. Mittlerweile gehört der Konzern zu den Größten der Modebranche. Für Armani arbeiten rund 6500 Menschen. Neben Kleidungsstücken vertreibt Armani außerdem Home-Artikel und Parfüms. Seit 2002 verkauft der Konzern auch Konfiserie-Artikel sowie verschiedene Honig- und Marmeladensorten. Acht Jahre später entstand im Burj Khalifa in Dubai das erste Hotel im Armani-Stil.Umsatz 2013: 1,75 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,00 Milliarden EuroVeränderung: + 14,2 Prozent Quelle: REUTERS
Platz 8: EspritEhemals etablierte Marken sind zu teuren Restrukturierungen gezwungen. So muss sich Esprit auf die Ansprüche der Kunden im digitalen Zeitalter einstellen, heißt es in der Studie von „TextilWirtschaft“. Auch Gerry Weber ist davon betroffen. Darüber hinaus leiden die Modekonzerne auch unter dem starken Dollar, der die Beschaffung verteuert. Esprit trifft es besonders hart. Bei keinem anderen Modekonzern in den Top-20 ist der Umsatz derart stark geschmolzen.Umsatz 2013: 2,35 Milliarden Euro *Umsatz 2014: 2,10 Milliarden Euro**Veränderung: - 10,7 Prozent*Geschäftsjahr 2013/14**Geschäftsjahr 2014/2015 Quelle: REUTERS
Platz 7: KeringDas französisch-italienische Modeunternehmen Kering dürften nur den Wenigsten bekannt sein. Doch mit Labels wie Puma oder Gucci erreicht der Konzern ansehnlich Umsätze. 2014 konnte Kering seinen Umsatz um knapp zwölf Prozent erhöhen.Umsatz 2013: 2,13 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,38 Milliarden EuroVeränderung: + 11,6 Prozent Quelle: REUTERS
Platz 6: Hugo BossDie Edelmarke Hugo Boss ist das zweitgrößte Modeunternehmen Deutschlands. Gegründet wurde es 1924 in Metzingen durch Hugo Ferdinand Boss. Ursprünglich stellte Hugo Boss Berufskleidung her. Unrühmlich ist die Vergangenheit des Konzerns. Im Zweiten Weltkrieg stellte der Konzern die Uniformen für SA, SS und die Wehrmacht her. Dafür wurden unter anderem Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa eingesetzt. Erst nach dem Krieg und dem Tod des Gründers 1948 wurde Hugo Boss zum Modekonzern. Unter der Leitung von Hugo Ferdinand Boss' Schwiegersohn Eugen Holy begann das Unternehmen damit, Herrenanzüge herzustellen.Umsatz 2013: 2,43 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,57 Milliarden EuroVeränderung: + 5,8 Prozent Quelle: dpa
Platz 5: Tommy HilfigerModedesigner Tommy Hilfiger rief 1984 in New York sein eigenes Modelabel ins Leben. Dass der Konzern im Ranking europäischer Modekonzerne gelistet ist, hat er seinem Firmensitz zu verdanken. Tommy Hilfiger sitzt seit 1997 in Amsterdam. 13 Jahre später wurde das Unternehmen durch den US-Konzern Phillips-Van Heusen übernommen.Umsatz 2013: 2,56 Milliarden Euro*Umsatz 2014: 2,70 Milliarden Euro*Veränderung: + 5,3 Prozent*Geschäftsjahr 2013/14**Geschäftsjahr 2014/15 Quelle: dpa Picture-Alliance
Platz 4: Christian DiorDirekt nach dem Krieg gegründet, trug Christian Dior maßgeblich dazu bei, dass sich Paris als Modehauptstadt der Welt etablieren konnte. Insgesamt beschäftigt das Unternehmenskonglomerat über 100.000 Mitarbeiter. Für die Modesparte von Dior arbeiten knapp 3600 Menschen.Umsatz 2013: 2,26 Milliarden EuroUmsatz 2014: 2,70 Milliarden EuroVeränderung: + 19,6 Prozent Quelle: dpa

Die Birkenstock-Brüder als Gesellschafter tragen den gewagten Expansionsplan offenbar mit. Nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Eigentümer hätten sich verändert, beteuert Manager Bensberg. Die Firmeninhaber selbst meiden das Rampenlicht. Und widmen sich zwischen den vierteljährlichen Besprechungen mit Reichert und Bensberg anderen Geschäften: Alex Birkenstock etwa hat 2012 ein Penthouse in einem Luxuswohnturm in Miami Beach für 25 Millionen Dollar verkauft. Erstanden hatte er es für nicht einmal zehn Millionen.

Auch wenn die Birkenstocks mit dem Abschied vom Management ihrem Unternehmen einen wertvollen Dienst erwiesen haben – einen Riecher für gute Geschäfte haben sie offenbar schon.

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