Um das zu verhindern, will Modi die Verkehrs- und vor allem Versorgungswege deutlich verbessern. Noch haben mehr als 400 Millionen Inder keinen Strom, vor allem auf dem Land. Bei der Stromversorgung setzt die Regierung aber auf einen Klimakiller: Kohle. Indien fördert aktuell rund 550 Millionen Tonnen Kohle jährlich, 2019 soll es eine Milliarde Tonnen sein.
Indische Kohle ist billig, macht die Kraftwerke und den Strom erschwinglich. Das Problem der Versorgung kann zwar so gelöst werden, schaffen aber ein anderes: Bereits heute gelten Indiens Großstädte als diejenigen mit der schlechtesten Luftqualität. Ein Zustand, der sich mit dem Kohleboom kaum verbessern dürfte. Gegen diese Kritik wiegelt Indiens Energieminister Piyush Goyal aber ab: „Indiens Zwang zur Entwicklung kann nicht auf dem Altar eines eventuellen Klimawandels in ferner Zukunft geopfert werden.“
750 Milliarden Euro will die Regierung bis 2017 in die Infrastruktur stecken. „Der Großteil der Infrastruktur, der 2050 gebraucht wird, existiert heute noch nicht“, sagt Bazmi Husain, Chef der Indien-Tochter des Schweizer Mischkonzerns ABB. „Das ist eine große Chance für die Wirtschaft.“ Gerade in den Städten muss die Versorgung kräftig zulegen: Heute leben „nur“ 30 Prozent der 1,3 Milliarden Inder in Städten, 2030 werden es aber bereits 40 Prozent sein – Tendenz steigend. Dazu kommt der Nachholbedarf, denn in den vergangenen Jahrzehnten ist die Infrastruktur nicht im selben Tempo wie die Bevölkerung gewachsen. Die chaotisch verlegten Stromkabel an jeder Straßenecke sind nur ein Beispiel.
Champagner zu Bier-Preisen
Die Infrastrukturprojekte gehen zwar meist an internationale Großunternehmen wie Siemens, ABB oder Mitsubishi aus Japan, aber auch deutsche Mittelständler können davon profitieren – als Zulieferer. Denn Teile wie Schaltschränke, Steckverbindungen oder Klemmen werden weiterhin zugekauft. Und das am liebsten in der gewohnten internationalen Qualität.
Aus diesem Grund hat sich der Klemmen-Spezialist Phoenix Contact aus dem ostwestfälischen Blomberg bereits in den 1990er Jahren nach Indien aufgemacht. „Unsere Produkte werden in der Industrie oder der Infrastruktur eingesetzt“, sagt Geschäftsführer Frank Stührenberg. „Wo es viele Menschen gibt, muss irgendwann eine Industrie und Versorgungskette entstehen – um ausreichend Güter zu produzieren, damit die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Geräten versorgt wird.“
Seit über 20 Jahren fertigt Phoenix Contact vor den Toren von Delhi seine Produkte für den indischen Markt. In dieser Zeit haben sich, so Stührenberg, nicht nur die Rahmenbedingungen wie Infrastruktur und Korruptionsbekämpfung verbessert, sondern das Unternehmen hat auch die Eigenheiten des Landes kennen gelernt – und verstanden. „Heute wissen wir viel genauer, welche Ansprüche es an ein Produkt gibt und wie der Preis aussehen muss. Und in Indien wird sehr viel Wettbewerb über den Preis ausgetragen.“ Anders ausgedrückt: „Der Inder will oft Champagner zu Bier-Preisen.“
Wegen diesen Anforderungen betreibt das Blomberger Unternehmen seit einem Jahr eine eigene Entwicklungsabteilung. Da zahlreiche EU-Standards in Indien nicht gefordert sind, können diese Funktionen ohne Probleme weggelassen werden. Zudem sind oft nicht alle Werkstoffe verfügbar – und schon muss das Bauteil geändert oder von Grund auf umgeplant werden.
Trotz des schwierigen Umfelds ist es Phoenix Contact gelungen, sich als Premium-Anbieter auf dem preissensitiven Markt zu etablieren. Das offene Geheimnis: Kunden aus Europa kommen auch in Indien als Kunden infrage. „Ein nicht unerheblicher Teil unserer Kundenklientel in Indien rekrutiert sich aus multinational agierenden Unternehmen“, sagt Stührenberg. „Solche Konzerne orientieren sich an internationalen Standards und wollen die gewohnte Qualität auch in Indien beziehen. Das andere Extrem, der indische Installateur weitab der Metropolen, ist für uns nur sehr schwer erreichbar.“