Christian Wulff entschuldigte sich gleich zu Beginn. „Die 15 Minuten Redezeit werde ich wohl nicht einhalten“, sagte der frühere Bundespräsident. Keine Überraschung. Der Niedersachse hat für seinen Besuch in Schwäbisch-Hall eine Zehn-Punkte-Liste mitgebracht, wie 2016 alles besser wird und nicht schlechter.
Erstens: „2016 wird ein Schicksalsjahr. Das muss aber nicht schlimmes sein.“ 60 Millionen Menschen auf der Flucht, Umbrüche in der arabisch-islamischen Welt, einseitige Grenzverschiebungen, mangelndes Vertrauen in die Weltwirtschaft – die Ereignisse der vergangenen Monate können Angst machen. Wulff will dennoch hoffnungsvoll bleiben: „Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht.“ Wenn wir Deutsche die Flüchtlingskrise nutzen, um uns unserer eigenen Identität bewusster zu werden, gehen wir gestärkt daraus hervor, ist Wulff überzeugt.
Zweitens: Die Politik brauche die Wirtschaft und Unternehmer in der Krise mehr denn je. „Viele halten dieses Europa für selbstverständlich. Das ist es aber nicht.“ Der frühere Ministerpräsident von Niedersachsen appellierte an die Weltmarktführer bei ihrem Gipfeltreffen in Schwäbisch Hall, gemeinsam mit der Politik die Errungenschaften Europas zu verteidigen.
Eine der wichtigsten Aufgaben aus Wulffs Sicht und zugleich dessen dritter Punkt: „Wir müssen den Krieg in Syrien endlich beenden.“ Dafür brauche es alle Parteien an einem Tisch – darunter Russen, Iraner, Amerikaner, Saudis und eben die Europäer. Des Weiteren müsse die EU, viertens, gemeinsam mit den nordafrikanischen Staaten die Fluchtursachen bekämpfen. Anders als viele aktive Bundespolitiker hält Wulff aber nichts davon, die altbekannte Entwicklungshilfe weiter zu erhöhen. Vielmehr sollten wir in die Bildungssysteme vor Ort und Unternehmensgründungen investieren. „Wir Europäer dürfen Afrika nicht länger alleine lassen.“ Dass drei Millionen Flüchtlinge einen Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern überfordert, leuchtet Wulff nicht ein.
Das fünfte Thema trieb Wulff bereits intensiv in seinen Jahren als Bundespräsident zwischen 2010 und 2012 voran. Damals sagte er: „Der Islam gehört mittlerweile auch zu Deutschland“, was ihm in der türkischen Gemeinschaft in Deutschland und in der Türkei großen Respekt einbrachte. Die Annäherung Deutschlands und Europas an die Türkei müsse nun weitergehen. Die Europäische Union müsse aktiv mit der Türkei über innen- und rechtspolitische Fragen sprechen. „Als Demokratie muss die Türkei glücken“, sagte Wulff.
Abdullah Gül, früherer Staatspräsident der Türkei, hatte Wulff nach Schwäbisch-Hall zum Gipfel der Weltmarktführer begleitet. Er versicherte: Die Regierung seines Landes wolle eine Verfassung verabschieden, mit der die Türkei näher an Europa heranrückt – wirtschaftlich und politisch. „Die türkisch-deutschen Beziehungen werden wichtiger denn je sein“, sagte Gül.
Mehr Optimismus
Nicht nur die Türkei treibt Wulff um. Wir Europäer brauchen, sechstens, ein „neues Verhältnis zu Russland“. Der niedrige Ölpreis werde zu dramatischen Veränderungen in Russland führen. Das Land könnte schon bald Hilfe brauchen, die sollte Deutschland und Europa ihm im Notfall nicht verwehren – das war die Botschaft Wulffs.
Mit seinem Thema Nummer sieben wusste Wulff die Unternehmer hinter sich. „Wir brauchen Freihandel.“ Das transatlantische Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, kurz TTIP, ist für Wulff Pflicht. Angst vor den dortigen Präsidentschaftswahlen hat er nicht. „In Amerika werden keine Chaoten gewinnen“, sagte er mit Blick auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump – ohne dessen Namen zu nennen.
Die Top 10 der Weltmarktführer im deutschen Mittelstand
Peri
Branche: Schalungen / Gerüste
Marken-Performance*: 54,9
Unternehmens-Performance*: 68,2
Gesamt-Performance²: 123,1
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Kaeser
Branche: Kompressoren
Marken-Performance*: 61,9
Unternehmens-Performance*: 63,1
Gesamt-Performance²:124,9
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Duravit
Branche: Badausstattung
Marken-Performance*: 65,0
Unternehmens-Performance*: 61,9
Gesamt-Performance²: 126,9
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Haver & Boecker
Branche: Drahtweberei / Maschinenbau
Marken-Performance*: 68,7
Unternehmens-Performance*: 60,6
Gesamt-Performance²: 129,3
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Grimme Landmaschinenfabrik
Branche: Landmaschinen
Marken-Performance*: 66,6
Unternehmens-Performance*: 64,6
Gesamt-Performance²:131,2
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Windmöller & Hölscher
Branche: Verpackungsmaschinen
Marken-Performance*: 72,7
Unternehmens-Performance*: 61,3
Gesamt-Performance²:134,0
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Delo
Branche: Industrieklebstoffe
Marken-Performance*: 69,2
Unternehmens-Performance*: 68,6
Gesamt-Performance²: 137,7
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Lürssen Maritime Beteiligungen
Branche: Schiffbau
Marken-Performance*: 74,7
Unternehmens-Performance*: 64,2
Gesamt-Performance²: 138,9
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Otto Bock
Branche: Prothesen
Marken-Performance*: 70,7
Unternehmens-Performance*: 73,1
Gesamt-Performance²: 143,8
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Herrenknecht
Branche: Tunnelbohrmaschinen
Marken-Performance*: 72,8
Unternehmens-Performance*: 76,6
Gesamt-Performance²: 149,4
* maximal 100 Punkte; ² maximal 200 Punkte; Quelle: Biesalski & Company
Achtens: „Auf Schuldzuweisungen verzichten.“ Das Atomabkommen mit dem Iran habe gezeigt, dass die Staatengemeinschaft zu Kooperationen und Kompromissen fähig ist, wenn es darauf ankommt. Auch das Minsker Abkommen zur Befriedung des Krieges in der Ost-Ukraine habe weitestgehend funktioniert.
In seinem vorletzten Punkt nahm sich Wulff die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank vor. „Wir sollten aufhören, Geld zu drucken“, warnte er eindringlich. Für ihn ist die Finanzkrise, die im Jahr 2007 begann, noch nicht überstanden. Wulff fürchtet sich gar vor einem neuen „Tsunami“, der sich im Zuge der Niedrigzinsphase aufbaue.
Abschließend forderte der frühere Bundespräsident die Teilnehmer des Gipfeltreffens zu „mehr Optimismus“ auf. In Deutschland sei die Zahl der Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren um zwölf Prozent gestiegen. Wenn 2016 tatsächlich ein Schicksalsjahr werde, sollten sich alle überlegen, wie das Jahr womöglich in die Geschichtsbücher eingehen könnte. Als ein Jahr der Ängstlichen? Ein Jahr der Schuldzuweisungen? Oder ein Jahr der Einsichtigen? Eine Prognose wollte Wulff zwar nicht wagen, aber einen Rat mitgeben: „Fragen Sie sich nicht, was Ihnen nutzt. Fragen Sie, was dem Frieden nutzt.“