Cannabis Warum das Hanfgeschäft am deutschen Mittelstand vorbeigeht

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„An Cannabis ist noch keiner gestorben“

Bionorica stellt Medikamente vor allem aus Naturprodukten her. Das habe ihn schon immer fasziniert, sagt Popp. Dronabinol aus den Wiener Cannabispflanzen bereitet er seit Jahren zu, die Abgabe erfolgt unter strengen Auflagen. Das Schmerzmittel gibt es nur in chemisch aufbereiteter Reinform, als flüssiges Medikament. Ein Rausch ist damit ausgeschlossen. Hanfblüten zum Rauchen, im Prinzip auch für Kiffer attraktiv, will er nicht anbieten. Popp sagt, er finde es aus Prinzip falsch, zu rauchen, auch nicht aus medizinischen Gründen.

Bionoricas Mitbewerber teilen diese Bedenken nicht, sie setzen vor allem auf Hanfblüten, die Patienten bisher nur mit einer Sondergenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aus Holland beziehen konnten. Pierre Debs etwa hat sich mit einer Handvoll Mitarbeitern in einem Gewerbegebiet in St. Leon-Rot bei Heidelberg eingerichtet, zwischen einem Reifenhandel und einem Hersteller von CNC-Präzisionsmaschinen. Im Büro der von Debs gegründeten Spektrum Cannabis fehlt von Kifferatmosphäre jede Spur. Zwei Angestellte diskutieren über so triste Themen wie Retouren und Sendungsverfolgung.

Nur ein Exemplar von „Brave New Weed“ auf dem Sideboard, einem Kompendium der Cannabisgeschichte, gibt einen Hinweis auf den Geschäftszweck.

„An Cannabis ist noch keiner gestorben“, legt Debs gleich los, „auch Alkohol und Schokolade sind schädlich.“ Der Amerikaner, seit 1999 in Deutschland, stieß vor Jahren auf die Heilwirkung von Cannabis; ein naher Verwandter litt damals nach einer Operation unter starken Schmerzen. Am Uniklinikum Frankfurt, wo der Stammzellbiologe arbeitete, wollte jedoch niemand etwas von Medizinalhanf wissen. Debs blieb dran, gründete eine Firma und baute einen Vertrieb für Hanfblüten auf. Seine Chancen, auf eine Lizenz stehen gut – vor einigen Monaten wurde seine Spektrum Cannabis vom börsennotierten kanadischen Hanfspezialisten Canopy Growth übernommen.

Canopy zahlte einen attraktiven Preis, die Kanadier bringen rund eine Milliarde Dollar Börsenwert auf die Waage. „Vor einigen Jahren wollten Investoren noch nichts von uns wissen“, sagt Debs, „jetzt interessieren sie sich für uns.“

Dirk Rehahn hat seine Bewerbung noch nicht abgegeben. Der Berliner, früher Sozialarbeiter und Mitgründer des Deutschen Hanfverbands, der die Legalisierung von Cannabis fordert, handelt mit allem, was es für den Anbau von Pflanzen, inklusive Cannabis, braucht. Über seinen Großhandel, den er aus einem Altbau in Friedrichshain aus betreibt, können Händler und gewerbliche Anwender Meß- und Regeltechnik und Beleuchtung beziehen. Expertise kann Rehahn niemand absprechen. In seinem Büro züchtet er aber nur Avocados und Thymian.

Rehahn verhandelt mit einem ausländischen Anbauer und einem deutschen Naturarzneiproduzenten. Die Finanzierung steht noch nicht. Allein die Bewerbung dürfte eine sechsstellige Summe kosten, für Schriftsätze, Gutachten, Schulungen, sagt Rehahn. Bewerber müssen etwa nachweisen, dass ihr Personal qualifiziert und die Cannabisplantagen vor klauenden Kiffern sicher sind.

Ein Risiko ist zudem, dass längst nicht alle Ärzte an den medizinischen Segen von Cannabis glauben, auch manche Krankenkasse sperrt sich. Und doch, sagt Rehahn, lohnt sich der Einsatz: „Erst ist es Planwirtschaft, dann wird sich der Markt dynamisch entwickeln.“ Wer davon profitiert, muss sich aber noch zeigen.

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