Club Mate in der Oberpfalz Wie ein Mittelständler IT-Experten in die Provinz lockt

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Von Berlin nach Bietigheim-Bissingen

Doch das ist alles erst der Anfang. Peter Englisch, der bei der Beratung EY den Bereich Familienunternehmen leitet, kennt die Unbedarftheit mancher seiner Klienten. „Vielen Mittelständlern ist noch immer nicht bewusst, welche Auswirkung die Digitalisierung auf ihr Geschäft hat“, sagt Englisch: „Sie merken erst, wie wichtig IT-Spezialisten sind, wenn sie ohne digitalisierte Produktionsabläufe, Lagerwirtschaft oder einen wirksamen Schutz vor Cyberattacken nicht mehr wettbewerbsfähig sind.“

Doch das Beispiel des Versandhändlers Witt zeigt: Es kann funktionieren. Patrick Götz etwa wollte während seines Informatikstudiums seine Programmierkenntnisse in einem Unternehmen anwenden. Doch was seine Kommilitonen von Praktika bei Großkonzernen berichteten, war ernüchternd. Der eine hatte nichts zu tun, der andere fühlte sich schlecht betreut. Auf so etwas hatte Götz keine Lust.

Eines Tages stieß er auf eine Ausschreibung, die anders klang: eigene Projekte, neueste IT-Technik, wöchentliche Feedbackgespräche, flexible Arbeitszeiten. Götz bewarb sich und durfte wenige Wochen später als Witt-Praktikant loslegen. Keine studentische Aushilfskraft, die unliebsame Aufgaben erledigt, sondern eine potenzielle Führungskraft von morgen: „Wir sehen in Praktika die größte Chance, die Leute zu uns zu holen und an uns zu binden“, sagt Susanne Risse, Leiterin des Recruitings. Die IT-Abteilung wirkt daher wie ein Start-up: MacBooks auf den Schreibtischen, Kickertisch und Spielkonsole im Pausenraum, Post-its und Mindmaps an den Wänden.

Die Nerd-Flüsterin: Susanne Risse weiß, was IT-Experten suchen: Bodenständigkeit und Hackathons. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche

Außerdem bekommen Praktikanten sofort Verantwortung für eigene Projekte. Götz zum Beispiel sollte gleich in der ersten Woche mit Kollegen eine Datenbank in eine neue Software überführen. Daneben erhalten auch die jungen Mitarbeiter auf Zeit ein Rundum-sorglos-Paket. Witt vermittelt WG-Zimmer, veranstaltet Pizzaabende und organisiert Ausflüge in die Umgebung.

Klingt nach Urlaub, ist aber der erste Schritt ins Arbeitsleben – zumindest wenn es nach Witt geht. Denn sobald das Praktikum endet, beginnt für Risse die eigentliche Arbeit. Wer einen guten Eindruck hinterlassen hat, kommt in Risses Talente-Pool. Alle sechs Monate schreibt sie die ehemaligen Praktikanten an und lädt sie zu einem Wochenende nach Weiden. Dort gibt es Workshops mit IT-Experten oder einen Ausflug zur Sommerrodelbahn. „Wir begleiten unsere Praktikanten weiter“, sagt Risse, „optimalerweise bis zur Abschlussarbeit, die sie dann bei uns schreiben können.“

Experten zufolge ist das der einzige Weg. „Die Kandidatensuche muss auch bei Mittelständlern strategisch geplant sein“, sagt Matthias Baum, Professor für Entrepreneurship an der TU Kaiserslautern. Wie beim Produktmarketing reiche es nicht mehr aus, einen einzigen Kontaktpunkt herzustellen. „Die Unternehmen müssen ihre Botschaften über Jahre hinweg immer wieder an die Zielgruppe herantragen.“

Patrick Götz hat sie gehört, verstanden und als Einladung begriffen. Er kehrte direkt in den folgenden Semesterferien als Werkstudent nach Weiden zurück. Nach seinem Bachelorstudium unterschrieb er den Arbeitsvertrag – ohne sich woanders zu bewerben. Heute arbeitet er in der Big-Data-Abteilung des Unternehmens. Sein Team ermittelt, wann die Hochsaison für Kittelschürzen ist und in welcher Region zum Beispiel Pailletten besonders angesagt sind. „Ich wusste, dass die Arbeit innovativ und spannend ist“, sagt Götz, „das Unternehmensimage war für mich völlig irrelevant.“

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