Kurtzke steht bei Meissen für den Kulturbruch total. Der 44-Jährige hat Elektrotechnik und Betriebswirtschaftslehre studiert und danach im Management unterschiedlicher Unternehmen gearbeitet: bei Siemens, der Unternehmensberatung Boston Consulting und dem Küchenhersteller Rieber in Reutlingen südöstlich von Stuttgart, um nur einige zu nennen. Gleich nach seinem Amtsantritt gründete er die Tochterfirma Meissen Italia, unter deren Dach er seitdem alles Neue bündelt. 2011 legte er die erste Schmucklinie auf, es folgten Möbel und Accessoires. Absoluter Höhepunkt soll nun die Modekollektion von Chefdesignerin Weyer werden.
Der Wandel vom Label für reiche Omas zur Luxusmarke ist aus der Not geboren. Seit Jahren kämpfen die Porzellanhersteller gegen schwindenden Absatz. Billiganbieter wie Ikea machen den traditionellen Anbietern Konkurrenz. Kaum jemand ist noch bereit, mehrere Tausend Euro für ein Service zu bezahlen, das es auch für knapp 100 Euro zu kaufen gibt. Die Berliner Königliche Porzellan-Manufaktur, im Jahr 1763 von Friedrich dem Großen gegründet, stand 2006 kurz vor der Pleite und überlebte nur aufgrund der Porzellanaffinität des Berliner Bankiers Jörg Woltmann, der das Unternehmen kaufte. Drei Jahre später meldete Rosenthal aus dem oberpfälzischen Selb Insolvenz an, Arzberg aus dem benachbarten Schirnding kämpft aktuell gegen den Konkurs.
Handbemalte Kissen und der Brilli am Finger, wenn er die Kaffeetasse umfasst, das mag noch irgendwie zur Wohnkultur à la Meissen passen. Mit der Mode betritt Manufakturchef Kurtzke aber völliges Neuland. "Bei mir zu Hause wurde das Meissener Service nur für ganz besondere Anlässe aus der Vitrine geholt", sagt Designerin Weyer. Wie die stoffgewordene Interpretation des Porzellans letztendlich aussehen wird, mögen Weyer und Kurtzke noch nicht verraten. Sicher ist nur, die beiden teilen den gleichen Geschmack: Die Abend- und Brautmode von Meissen soll feminin, blumig und opulent sein.
Die Käuferschaft für den neuen Pomp, wohne eher in Hollywood als in Hattingen, deutet das Duo an, Schauspielerinnen wie Diane Krüger oder die Oscar-Gewinnerin Jennifer Lawrence wären die Traumkundinnen. Auf Geld jedenfalls soll es nicht ankommen. "Ich habe keine Budgetvorgabe, muss nicht bei den Stoffen geizen oder daran denken, ob es tragbar ist oder nicht", sagt Modeschöpferin Weyer. Dafür sollen die Käuferinnen tief in die Tasche greifen, bis zu 100.000 Euro kann ein Stück von Meissen Couture kosten.
Kurtzke liebt schönes Design, zeitweise kümmerte er sich persönlich um die Neuschöpfungen der Manufaktur, und das als Elektrotechniker und Betriebswirt. Fast neun Monate lang musste der gebürtige Berliner Intelligenz-, Persönlichkeits- und psychologische Tests über sich ergehen lassen, um endlich zum Chef des weißen Goldes gekürt zu werden. Er stellte einer Jury seine Unternehmensstrategie für die nächsten zehn Jahre vor. Das Gremium unter Leitung des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf war von der Radikalität der Ideen begeistert.