Erfolgsfaktoren Der Mittelstand ist Deutschlands Geheimwaffe

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Alnatura

Die Biodiscountkette macht mit günstiger gesunder Ware klassischen Ökoläden das Leben schwer.

Wenn Götz Rehn von seinem Unternehmen spricht, klingt das, als ginge es um einen mildtätigen Verein. Lohnkosten bezeichnet er als Mitarbeitereinkommen, Fragen nach „seiner“ korrigiert er konsequent in „unsere“ Firma. Und wirtschaftliches Handeln ist für ihn ein Akt der Solidarität: „Man muss erkennen, dass Arbeitsteilung auch bedeutet, für andere tätig zu sein. Das ist tatsächlich selbstlos; dann ist Wirtschaft eigentlich zutiefst altruistisch.“

So abgehoben das Prinzip wirkt, so erfolgreich ist es bei der Biodiscountkette Alnatura: mehr als eine halbe Milliarde Euro Jahresumsatz, Wachstumsraten von zehn Prozent im Lebensmittelmarkt, zehn neue Filialen allein 2014, Expansion in die Schweiz. So liest sich die wirtschaftliche Bilanz von Alnaturas Selbstlosigkeit. Details zum Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr nennt Alnatura-Frontmann Rehn nicht. Nur so viel: „Unsere Marge ist auskömmlich, das reicht.“

Händler und Hersteller

Damit das so bleibt, setzt Alnatura auf einen Ansatz, der sich sonst eher bei Textilketten wie Hennes & Mauritz (H&M) oder Zara besichtigen lässt. Ähnlich wie die Modeunternehmen ist Alnatura Händler und Hersteller zugleich. Die Hausmarke Alnatura gilt als wichtigstes Label in Bioläden.

Bei der Vermarktung seines Vorzeigelabels geht Alnatura-Gründer und -Chef Rehn noch weiter. Er verkauft Alnatura-Produkte nicht nur in eigenen Läden, sondern auch in denen von Partnern wie der Drogeriekette dm. Das macht die Marke bekannter und mindert das Absatzrisiko.

Alnatura

Schwieriges Filialgeschäft

Alnatura beliefert 3600 Verkaufsstellen in 14 Ländern. Filialgeschäft und Produkthandel tragen je die Hälfte zum Umsatz bei. Dieser lag im Geschäftsjahr 2012/13 bei rund 593 Millionen Euro, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Für das abgeschlossene Geschäftsjahr geht Rehn erneut von zweistelligem Wachstum aus.

Gegründet hat er das Unternehmen vor 30 Jahren. „Hätte ich gewusst, wie schwierig es ist, ein Filialgeschäft aufzubauen, hätte ich es wohl gelassen“, erzählt Rehn. Unterstützung kam vom damaligen dm-Chef Götz Werner. „Er sagte ganz klar: Wenn, dann jetzt“, so Rehn. „Ich war schließlich schon 35 Jahre alt.“ Werner zeigte Rehn, worauf es im Filialgeschäft ankommt, und nahm die Alnatura-Produkte ins dm-Sortiment auf. Bis heute ist dm Rehns wichtigster Vertriebspartner. Daneben werden Alnatura-Produkte auch von Lokalmatadoren wie der in Osthessen und Thüringen vertretenen Supermarktkette Tegut oder von der in Hamburg aktiven Drogeriekette Budnikowsky verkauft.

„Alnatura kennt die Anforderungen des Lebensmitteleinzelhandels genau“, sagt Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und liefert damit eine Erklärung für den Erfolg.

Keine Marktforscher

Ein weiterer Faktor ist die Kundennähe. Direktkontakte sind für Rehn essenziell. So veranstaltet er regelmäßige Frage-Antwort-Runden mit Kunden. Im Gegenzug arbeitet Alnatura weder mit Marktforschern zusammen, noch gibt es teure Produkttests. Rehn: „Manche würden sagen: Wir sind vollkommen unprofessionell aufgestellt.“

Rehns Konsumentenforschung scheint aber aufzugehen: Alnatura führt circa 80 neue Produkte pro Jahr ein, davon floppen nach eigenen Angaben nur zehn Prozent. Für die Branche ein Spitzenwert. Nach Angaben des Nürnberger Marktforschers GfK fallen im Handel mehr als 60 Prozent aller Produktneueinführungen durch.

Gutes Gefühl für den Markt

Während Wettbewerber auf Zahlen setzten, bekommt Alnatura laut Rehn durch direkten Kontakt mit den Konsumenten ein gutes Gefühl für den Markt. Handelsexperte Roeb sieht den Erfolg schlicht darin, dass Alnatura einen kleineren Markt bedient: „Rewe oder Edeka könnten diesen Ansatz nicht übernehmen, weil sie eine größere und differenziertere Kundschaft haben.“

Allen Aussagen über Kundennähe und Altruismus zum Trotz: Kleine Bioläden klagen, sie könnten mit den niedrigen Preisen von Alnatura nicht mithalten. Zudem musste sich das Unternehmen vor einigen Jahren rechtfertigen, warum es teilweise unter Tariflohn zahlte, etwa in Berlin.

Kundenorientierung

Damals sagte Rehn, er wolle deutschlandweit die gleiche Bezahlung für gleiche Stellen – und nicht nach Standort verschiedene Löhne. Außerdem gebe es für die Belegschaft zusätzliche kostenlose Leistungen wie Kunst- und Sportkurse. Die Presse höhnte daraufhin „Yoga statt Lohn“ oder „Ein Ökokapitalist sahnt ab“. Der öffentliche Druck war groß, Alnatura passte die Gehälter an.

In der Zentrale im südhessischen Bickenbach erinnern hohe Schiefertafeln an die Grundsätze des Unternehmens: ganzheitlich denken, kundenorientiert handeln, selbstverantwortlich sein. „Der Unterschied von Alnatura liegt in der Haltung unserer Mitarbeiter: Die haben Interesse an den Dingen, die wir machen, und wollen mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten“, so Rehn.

Dies werde vor allem in schwierigen Situationen deutlich. Kürzlich stellte Alnatura seine komplette Software um. Rehn: „Das war eine Riesenleistung. Andere Unternehmen werden durch so etwas tagelang stillgelegt.“

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