Facharbeitermangel Auf Facebook Azubis finden

Qualifizierte Arbeitskräfte werden knapp. Mit welchen pfiffigen Ideen Mittelständler im In- und Ausland um gute Leute werben.

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Die spanischen Fachkräfte Campo (links) und Balcells im Akustikraum ihres Arbeitgebers IMST Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Sein Deutsch ist brüchig. Die Fachausdrücke sitzen zwar, aber Matthias Geissler versteht nicht, was Jordi Balcells da gerade erklärt. Der Spanier gestikuliert wild mit beiden Händen. Dann lächelt Geissler, der beim Ingenieurbüro IMST aus dem nordrhein-westfälischen Kamp-Linfort die Entwicklung von High-Tech-Antennen verantwortet. Er hat jetzt verstanden, wie sein Mitarbeiter die Messung an den Antennen durchführen möchte. Die Zusammenarbeit mit dem Ingenieur aus Spanien muss sich erst noch einspielen. Aber das wird, ist sich Geissler sicher.

Der 33-jährige Balcells ist ein Glücksfall für das Ingenieurbüro, das sich auf Funktechnik und Mikroelektronik spezialisiert hat. Balcells hat ein Ingenieurdiplom der Polytechnischen Universität Barcelona, einen Doktortitel, spricht bereits etwas Deutsch – und war bereit, seine Heimat zu verlassen.

Die Hoffnung kommt aus dem Ausland

Seit mehr als zehn Jahren wirbt IMST (14 Millionen Euro Umsatz, rund 160 Mitarbeiter) um Hochschulabsolventen aus dem europäischen Ausland. Es geht um eines der wichtigsten Themen in der deutschen Wirtschaft, das von manchen Mittelständlern gerne verdrängt wird: Den Betrieben stehen künftig immer weniger und im Durchschnitt deutlich ältere Arbeitnehmer zur Verfügung als heute, warnt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg. Bereits 2025 sollen demnach drei Millionen Arbeitskräfte fehlen. Absolventen der Studiengänge Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gelten bereits heute als Mangelware.

Drei von vier kleinen und mittleren Unternehmen haben aktuell Probleme, Stellen zu besetzen, ermittelte das RKW Kompetenzzentrum – eine gemeinnützige Forschungseinrichtung, die solche Betriebe unterstützt. Weil Stellen nicht besetzt werden können, rechnen kleine und mittlere Unternehmen mit Umsatzeinbußen von jährlich 33 Milliarden Euro, zeigt eine Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young.

So sind deutsche Unternehmen immer stärker auf ausländische Zuwanderer wie Balcells angewiesen. Die Chancen, sie aus ihrer Heimat loseisen zu können, sind momentan günstig: Aufgrund der Wirtschaftskrise sind in Spanien, Griechenland und Portugal Hunderttausende ohne Job. Und seit Anfang Mai können Fachkräfte aus acht osteuropäischen Ländern ohne Einschränkungen in Deutschland arbeiten.

In der Schule auf Azubifang

Doch allein damit werden Mittelständler den Mangel nicht beheben können. „Sie müssen auch das inländische Potenzial besser abschöpfen“, sagt Peter Kranzusch vom Bonner Institut für Mittelstandsforschung. Um mit den oft als attraktivere Arbeitgeber geltenden Großunternehmen konkurrieren zu können und sich bekannt zu machen, ist Kreativität gefragt. Die kann reichen von der pfiffigen Nutzung sozialer Netze wie Facebook bis zur ganz frühen Kontaktaufnahme mit potenziellen künftigen Kollegen über Schulen in der Region.

Derzeit lohnt der Blick über die Grenzen: Fast jeder zweite Spanier unter 25 Jahren ist arbeitslos. Wer einen Job hat, ist oft nicht zufrieden: Viele sind überqualifiziert für ihre Stelle und arbeiten mit Zeitverträgen. „Wir haben in Spanien so viele Doktoren und nutzen sie nicht. In Deutschland werden sie gebraucht“, sagt Balcells.

Integration erleichtern

Welche Branchen unter Fachkräftemangel leiden

Sein Arbeitgeber IMST wirbt auf Fachmessen in Spanien um neues Personal und hat gute Kontakte zu den Hochschulen des Landes. So kam auch Martha Campo vor gut zwei Jahren zu IMST. Ihr Professor hatte sie empfohlen. Nach einem Einjahresvertrag hat die 25-Jährige nun eine Festanstellung in der Tasche. Sie fühle sich wohl bei ihrem deutschen Arbeitgeber, sagt die Spanierin. IMST hilft ausländischen Mitarbeitern bei der Wohnungssuche; eine Handvoll Spanier arbeitet bereits bei IMST und erleichtert so Neuankömmlingen die Integration. Neu-Kollege Balcells, seit Anfang März in Deutschland, spielt inzwischen in einer Basketballmannschaft in Kamp-Lintfort.

Lockruf aus Deutschland

Viele Landsleute könnten ihm nachfolgen: 14.000 Spanier hätten „ernsthaftes Interesse“ an einer Arbeit in Deutschland, so die Zentrale Arbeits- und Fachvermittlung bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Deutschkurse an den Goethe-Instituten in Barcelona und Madrid sind ausgebucht, seit Kanzlerin Angela Merkel im Februar verkündete, Deutschland lade junge Spanier zur Arbeit ein. In 90 Prozent der Fälle scheitere eine Vermittlung allerdings an fehlenden Sprachkenntnissen, heißt es bei der Deutschen Botschaft in Madrid.

Der Haken bei ausländischen Fachkräften: Die Suchzeiten sind lang, oft fehlt es Mittelständlern auch an Expertise für das Recruiting im Ausland.

So tat sich das sächsische Technologieunternehmen ACTech schwer mit der Anwerbung rumänischer Fachkräfte. Der Freiberger Hersteller von Gussteilen für den Automobilbau mit 361 Beschäftigten und 22 Millionen Euro Umsatz sondierte mithilfe von Personaldienstleistern den Markt. „In Rumänien ist die Suche nach Fachkräften genauso schwierig wie hier“, sagt die kaufmännische Leiterin Cornelia Bahr. Der Markt sei leergefischt, die Gehaltsvorstellungen unterschieden sich kaum von denen deutscher Fachkräfte. Nun will ACTech lieber Auszubildende in Tschechien rekrutieren. „Gerade Mittelständler müssen die Initiative ergreifen, wenn sie Fachkräfte aus dem Ausland wollen. Von alleine klopft keiner an die Tür“, sagt Bahr.

Attraktiver sein für Mütter und Ältere

Daran hat auch die neue Freizügigkeit wenig geändert: Seit Mai können Arbeitnehmer aus acht europäischen Ländern ohne Einschränkungen in Deutschland und anderen EU-Ländern arbeiten. Doch in den ersten drei Monaten kamen gerade mal 41.000 Zuwanderer über die Grenzen, der Zustrom ebbt sogar schon wieder ab. Die 800.000 osteuropäischen Arbeitskräfte, mit denen das Institut der deutschen Wirtschaft für 2011 und 2012 gerechnet hatte, liegen in weiter Ferne. Deutschland ist zu spät dran: Viele qualifizierte Osteuropäer sind bereits nach England oder Skandinavien gezogen. Dort können sie schon seit Mai 2004 ohne Einschränkungen arbeiten.

Ausländische Fachkräfte können den Mangel in Deutschland zumindest kurzfristig ohnehin nicht beheben. „Sie sind eine Ressource, ich sehe darin aber nicht die Hauptquelle“, sagt Mittelstandsexperte Kranzusch. Personalsuchenden Mittelständlern rät er, im Inland besser auf sich aufmerksam zu machen – etwa durch flexiblere Arbeitsbedingungen für Mütter, Väter und ältere Erwerbstätige oder, insbesondere in strukturschwachen Regionen, durch höhere Löhne.

Imagefilm auf Facebook

Der Auszubildende von Elling kennt seinen Arbeitgeber, den Maschinenbauer Röders, noch aus Schulzeiten Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

Die meisten Mittelständler gehen noch klassische Wege, um sich die Fachkräfte von morgen zu sichern. Dazu gehört vor allem die Ausbildung. Mehr als die Hälfte der Unternehmen richtet die Zahl der Lehrstellen an ihrem zukünftigen Fachkräftebedarf aus, ergab eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Zudem werben sie um Schulabgänger und Universitätsabsolventen, kooperieren mit Hochschulen und fördern Diplomarbeiten. Doch bei der Zusammenarbeit mit den Unis kommen Mittelständler oft schwerer zum Zuge als Großunternehmen.

Einen für Mittelständler neuen Weg geht das Ingenieurdienstleistungsunternehmen TZM aus Göppingen bei Stuttgart. Der Mittelständler ist seit Kurzem bei Facebook aktiv und erfreut sich dort bereits einer wachsenden Fangemeinde. Auch die aktuellen Jobangebote des Göppinger Mittelständlers mit einem Jahresumsatz von sieben Millionen Euro lassen sich über das Online-Netzwerk aufrufen.

Attraktive Nische für Mittelständler

Durch einen Imagefilm und Fotos von Arbeitsalltag und Betriebsausflügen auf Facebook gewährt TZM Bewerbern Einblicke in die Unternehmenskultur und das Arbeitsumfeld des Unternehmens. Die Online-Strategie scheint sich bezahlt zu machen: Immer mehr Bewerber geben an, über das Internet auf den Mittelständler aufmerksam geworden zu sein.

„Social Media ist gerade für Mittelständler eine attraktive Nische, um neues Personal zu rekrutieren, da wollen wir vorne mit dabei sein“, sagt die verantwortliche Managerin Sandra Welter. Auch andere Angebote wie das Businessnetzwerk Xing bieten eine Chance für kleinere Unternehmen, Bewerber auf sich aufmerksam zu machen.

„Unternehmen, die hier einen kompetenten Eindruck machen, können potenzielle Bewerber von sich überzeugen“, sagt Stephan Pfisterer, Bereichsleiter Bildung und Personal beim IT-Branchenverband Bitkom.

Doch viele Mittelständler haben solche Anwerbungsmechanismen noch nicht verinnerlicht. Aus einer Studie der Universitäten Bamberg und Frankfurt am Main in Kooperation mit der Internet-Stellenbörse Monster geht hervor, dass bisher kaum ein Mittelständler seine offenen Stellen über Facebook, Xing oder Twitter publiziert.

Soziale Netzwerke stärker nutzen

Im Fokus immer mehr Unternehmen: soziale Netzwerke wie FaceBook oder Xing. Quelle: dapd

Nur jedes zehnte Unternehmen sucht in sozialen Netzwerken. Künftig will sogar jeder vierte befragte Mittelständler so an Nachwuchs kommen. Bisher schaffen es die meisten noch nicht mal, ihre Profile aktuell zu halten. Während große Unternehmen eigene Social-Media-Beauftragte haben, müssen bei Mittelständlern oft Geschäftsführer, Personaler oder die Sekretärin die sozialen Kanäle pflegen.

Experimente mit Solarzellen

Maschinenbauer Röders aus dem niedersächsischen Soltau setzt bei der Personalsuche noch früher an als TZM – bei den Schülern. Der Hersteller von Werkzeugmaschinen mit einem Jahresumsatz von rund 50 Millionen Euro und 300 Beschäftigten gründete gemeinsam mit dem örtlichen Gymnasium Soltau einen Erfinderklub. Einmal die Woche trifft sich ein Röders-Ingenieur mit einer Gruppe von 10 bis 15 Schülern. Für Mittel- und Oberstufe gibt es unterschiedliche Gruppen, die Teilnahme ist freiwillig. Die Schüler lernen durch praktische Übungen technische Themen kennen; eine Gruppe experimentiert etwa mit Solarzellen oder Elektrofahrzeugen.

Die Klub-Idee hatte Geschäftsführer Jürgen Röders: „Damit wollen wir etwas gegen den Mangel an Ingenieuren tun und Schüler früh für technische Berufe begeistern.“ Einige der Schüler nahmen bereits am Daniel-Düsentrieb-Wettbewerb der Hamburger Schulen teil und entwarfen dafür einen programmierbaren Roboter. Unter ihnen war auch Marc von Elling, der mittlerweile sein duales Studium der Informations- und Elektrotechnik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg begonnen hat. Zugleich arbeitet er als Auszubildender bei Röders. Die Firma übernimmt seine Studiengebühren.

„Die interessanten Projekte im Erfinderklub haben mir entscheidend bei der Auswahl des Studiengangs geholfen“, sagt der 22-Jährige. Geschäftsführer Röders freut das. Neben Marc hat sich inzwischen noch ein zweiter ehemaliger Erfinder für ein duales Studium entschieden.

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