Solides Wachstum, musterhaft bei der Lehrlingsausbildung und vorn bei der Zahl der Patentanmeldungen – der Dübel- und Schraubenhersteller Fischer wird immer wieder in höchsten Tönen gepriesen. Altbundespräsident Horst Köhler begeisterte sich noch im März für „die vorbildliche Verantwortung“, mit der das Unternehmen geführt werde. Und der amerikanische Publizist und Deutschland-Experte Peter Ross Range nannte Fischer einen typischen Vertreter der deutschen „Geheimwaffe Mittelstand“.
Tatsächlich ist Fischer in vieler Hinsicht typisch für einen mittelständischen deutschen Weltmarktführer: Das schwäbische Unternehmen ist zu 100 Prozent in Familienhand und hat seinen Sitz wie so viele der sogenannten Hidden Champions in der tiefsten Provinz. In vielen Familien rund um das Stammwerk in der Schwarzwaldgemeinde Waldachtal arbeiten gleich mehrere Angehörige „beim Fischer“. Heile deutsche Mittelstandswelt also.
Fischers Generationskrieg
Nicht ganz. Denn hinter der anheimelnden Fassade knirscht es im Gebälk, bei Fischer tobte ein Generationenkrieg. Wie tief das Zerwürfnis war, zeigte sich im April, als Jörg Klaus Fischer, 36, Chef in dritter Generation, „wegen gravierend unterschiedlichen Auffassungen“ sich mit seinem Vater Klaus Fischer, 61, zerstritt und von heute auf morgen das Unternehmen verließ. Dabei hatte Gründersohn Klaus seinen Filius erst Anfang 2011 in aller Heimlichkeit zum Nachfolger gemacht – bis die Öffentlichkeit davon erfuhr, verging ein halbes Jahr.
Doch nicht nur das Nachfolgeproblem macht dem Unternehmen zu schaffen. In der Führungsebene herrscht seit Jahren ein Kommen und Gehen. Die Liste der Ex-Manager und Degradierten ist lang. So verließen in den vergangenen vier Jahren Michael Belschak, Wolfgang Rolle, Klaus Winkler und Klaus Schilling die Geschäftsführung. Andere Manager wie Normen Krob oder Harald Wolf verloren ihre Zeichnungsberechtigung.
Fischer Dübel auf einen Blick
Auf das Konto des Firmengründers Artur Fischer geht die Entwicklung des Polyamid-Dübels 1958. In der Medizin kommt der „Knochendübel“ zur Fixierung von Brüchen zum Einsatz. Bereits 1949 erfand Fischer ein Blitzlichtgerät für Fotoapparate mit synchroner Auslösung. 1950 erteilte Agfa einen Großauftrag für das Gerät. Die Fischertechnik-Konstruktionsbaukästen kamen 1964 dazu. Mittlerweile gibt es 41 Baukästen und Ergänzungssets.
Nach Firmenangaben von 2009 kommen jährlich mehr als 14 Patentanmeldungen pro 1000 Mitarbeiter. Der Industrieschnitt liege laut Fischer bei 0,57.
2011 hat Fischer seinen Umsatz um vier Prozent auf 606 Millionen steigern. In diesem Jahr wird das gute Vorjahresergebnis wahrscheinlich nicht erreicht. "Es könnte knapp werden", kündigte das Unternehmen zum Jahresbeginn an. Zu den Erlösen macht Fischer traditionell keine Angaben. Bekannt ist, dass der Geschäftszweig Befestigungssysteme mit 80 Prozent den größten Teil des Gewinns abwirft.
Derzeit arbeiten rund 3900 Menschen für den Mittelständler.
„Das Salär bei Fischer ist Schmerzensgeld“, ätzt ein Ex-Manager. „Man lernt zwar viel über effektives Management, aber der Chef ist gewöhnungsbedürftig.“ Klaus Fischer gilt als Kontrollfreak, der – wie er der WirtschaftsWoche erzählte – seine Angestellten gelegentlich auffordert: „Darf ich einmal Ihre Schublade öffnen?“ Führungskräfte klagen, der Chef gehe ihnen wegen Bagatellen auf die Nerven. Nicht erwünscht sei es etwa, im Büroflur ohne Sakko herumzulaufen oder sich als Manager mit seinem Team zu duzen.
Auch Jörg Fischer hatte es mit dem Vater nicht leicht. Unvergessen ist Insidern die Betriebsfeier, bei der Klaus Fischer seinen Sohn vor der Mannschaft demontierte: Um mögliche Sorgen wegen des Nachfolgers zu zerstreuen, wies er vielsagend darauf hin, dass die Firma immer noch ihm gehöre, erzählt einer, der dabei war.
Mehr als nur Sohn und Erbe
Dabei hätte Klaus Fischer allen Grund gehabt, seinem Sohn als Nachfolger den Weg zu ebnen. Er selbst hatte, als er vor mehr als drei Jahrzehnten den Stab von seinem Vater Artur übernahm, unter dem Nimbus des ebenso legendären wie autoritären Gründers gelitten. Der Alte, heute 92, erfand nicht nur den Kunststoffdübel, sondern auch den synchronen Fotoblitz und Lernspielzeug wie die Fischer-Baukästen.
Quälender Generationswechsel
Der Generationenwechsel zog sich damals mehr als zehn quälend lange Jahre hin, weil der Gründer nicht loslassen mochte. Um sich gegenüber dem Gründervater zu profilieren, stürzte sich Klaus Fischer nach dem Amtsantritt 1980 auf das Automobilgeschäft. Als erstes Produkt der neuen Sparte brachte der Fan historischer Wagen 1981 eine Musikkassetten-Box für Autos auf den Markt. Heute produziert Fischer für die großen Autobauer Handschuhfächer oder Aschenbecher.
Längst braucht Fischer nicht mehr zu beweisen, dass er mehr ist als Sohn und Erbe. Er hat in seiner Zeit an der Spitze den Umsatz auf rund 600 Millionen Euro verachtfacht und die Internationalisierung vorangetrieben. Sein Herz hängt am Autogeschäft, das heute fast 18 Prozent der Umsätze erwirtschaftet. Doch rund 80 Prozent erzielt Fischer im Stammgeschäft Befestigungssysteme. Sohn Jörg wollte die Zuliefersparte herunterfahren. Weil die Autokonzerne die Preise drücken, sind die Margen dünn. „Da ging es oft laut her“, erinnert sich eine Führungskraft.
Zirkel der Vertrauten
Zweiter Zankapfel war die Personalpolitik des Juniors. Jörg Fischer hatte vor dem Eintritt in das Familienunternehmen 2005 in Cambridge Philosophie und Volkswirtschaft studiert und ursprünglich mit einer wissenschaftlichen Karriere geliebäugelt. Von kaufmännischer Praxis hatte er zunächst wenig Ahnung und war auf Ratgeber angewiesen. Da er im Umgang zurückhaltend ist, bevorzugte er Mitarbeiter, die er gut kannte. „Er hatte einen Zirkel von Vertrauten, hinter denen er sich verschanzte“, erzählt ein Insider. Personalleiter Marc-Sven Mengis gehört zum Freundeskreis von Jörg Fischer, Finanzchef Jürgen Wössner ist ein Nachbar, Produktionsleiter Markus Störzer war Trauzeuge. Alle drei schafften den Sprung in die Geschäftsführung.
Zum Kreis der Getreuen gehörte außerdem eine Reihe neu eingestellter oder frisch beförderter Vertriebsleute. Beliebt waren Manager, die bei Würth gearbeitet hatten, wie etwa der Vertriebschef für Befestigungssysteme Uwe Seeger, der 2009 ins Unternehmen geholt wurde. Der Künzelsauer Schraubenhändler war für Jörg Fischer das strategische Vorbild schlechthin. Dem Vater blieben die Personalpolitik des Sohnes und dessen Vertriebsideen suspekt. Er ließ den Filius aber zunächst gewähren, weil er sich zurückziehen wollte.
Großkunden vergrault
Die Vision des Juniors: Fischer sollte seine Dübel und Schrauben nicht nur an Handel und Handwerk liefern, sondern auch direkt an Endverbraucher, um so die Handelsmarge einzustreichen. Mit dem Direktvertrieb wurde Fischer jedoch zum Konkurrenten seiner Hauptabnehmer. Seine Offensive gegen die eigene Kundschaft startete Jörg Fischer ausgerechnet im Krisenjahr 2009. Daraufhin listeten etliche Großkunden, darunter Baumarktketten wie Bauhaus oder Hornbach, Fischer-Produkte kurzerhand aus. Erst als das Experiment auf Druck des Vaters zurückgefahren wurde, kehrte zwischen Fischer und den düpierten Kunden wieder Frieden ein.
Begleitet werden sollte die Direktvertriebsidee von frecher Reklame. Sogar Fernsehwerbung wollte der Junior machen. Mit der Entscheidung, sich auf den Handel mit dem Handel zu beschränken, waren die Werbepläne aber Makulatur.
Klaus Fischer macht reinen Tisch
Die aktuelle Kampagne, bei der unter anderem Handwerker sich in breitem Dialekt über ihre Erfahrungen mit Fischer-Dübeln und -Schrauben auslassen, läuft zwar auch in Radiosendern oder der „Bild“-Zeitung. Doch Fischer positioniert sich jetzt klar als reiner Hersteller und verweist auf seine Händlerliste im Internet. „Durch die Kampagne wird sichtbar, dass wir im Befestigungsbereich Partner des Handels sind“, betont Klaus Fischer.
Nach dem Ausscheiden des Sohnes machte der neue alte Fischer-Chef reinen Tisch. Etliche Vertriebsleute verließen das Unternehmen. Prominentester Abgang war der Vertriebsgeschäftsführer und Sprecher des Bereiches Befestigungssysteme Hans-Norbert Topp, der fast zeitgleich mit dem Sohn die Segel strich. Jörg Fischer hatte den ehemaligen Sixt-Manager erst im Sommer 2011 ins Haus geholt.
Damit scheint alles wieder beim Alten bei Fischer. Aber das täuscht: Das Nachfolgeproblem des Dübelbauers ist drängender denn je. Zwar hatte Sohn Jörg erklärt, er habe die schnelle Demission gewählt, um das Verhältnis zum Vater nicht zu belasten. Dass die beiden einen zweiten Versuch wagen, glaubt in Waldachtal aber niemand. Andere Familienmitglieder kommen nicht infrage: Jörgs jüngerer Bruder Frank Fischer hat vor Jahren klargestellt, dass er das Unternehmen nicht führen wird.
Fischer soll Familienbetrieb bleiben
Jetzt gewöhnt sich der Senior an den Gedanken, einen Fremdmanager zu bestellen, der ihn „nach und nach entlastet“. Leicht wird der es nicht haben: „Wir sind und bleiben ein Familienunternehmen“, stellt Fischer senior klar, „ich werde weiterhin im operativen Bereich die Verantwortung tragen.“ So wie der letzte Versuch der Amtsübergabe verlief, klingt das eher wie eine Drohung.
Auch die Probleme im Autogeschäft bleiben. Zwar soll ein Megaauftrag eines der großen Hersteller kurz vor dem Abschluss stehen. Aber das ändert nichts an den schwachen Margen. Klaus Fischer gibt zu: „Der Automotive-Bereich ist und bleibt schwierig.“ Jetzt soll das Know-how des Unternehmens auch für andere Plastikteile genutzt werden, etwa in Kühlschränken oder Waschmaschinen.
Die Grundprobleme aber bleiben. An der Spitze ein Patriarch, darunter eine verunsicherte Belegschaft und dazwischen ein Management, das häufig wechselt – „noch profitiert Fischer von seiner Qualität und Markenstärke“, sagt ein Ehemaliger, „aber wie lange noch?“