Direkt im Stockwerk über seiner Bank hatte Christian Wohlrab seine Wohnung angemietet. Doch der kurze Weg zu seinem Finanzdienstleister half dem Mittelständler nicht, den Papierkram für die Eröffnung seiner neuen Fabrik in Indonesien schneller zu erledigen. Der Chef des gleichnamigen Industriedienstleisters aus Langenzenn bei Nürnberg musste Dutzende Dokumente unterschreiben, für Grundstückspacht, Baugenehmigungen, Einfuhr von Anlagen. "Die Bürokratie in Indonesien ist ein Horror", sagt Wohlrab. "Es fängt schon damit an, dass ich für die Gründung einer Tochtergesellschaft einen Wohnsitz vor Ort brauche."
Doch die Mühe lohnte sich: "Wir haben die Fabrik in sechs Monaten zum Laufen gebracht", sagt er, "andere brauchen dafür Jahre." Ihm half, dass er einen guten Kontakt zur Leitung des Batam-Industrieparks aufgebaut hatte, an dem eine einflussreiche indonesische Familie Anteile hält. Die Verwalter des Parks unterstützten den Franken hinter den Kulissen dabei, sich durch das Dickicht der Bürokratie zu schlagen.
Seit einem Jahr läuft die Wohlrab-Fabrik auf Batam. Auf der einstigen Fischerinsel, die per Schiff von Singapur aus in einer Stunde zu erreichen ist, ist heute ein Gewerbegebiet mit günstigen Lohnkosten angesiedelt. Mittelständler Wohlrab veredelt hier im Auftrag von Siemens Gehäuse von Hörgeräten aus der Produktion in Singapur - der Auftrag war der Startschuss für die Asien-Expansion des fränkischen Mittelständlers, der mit weniger als zehn Millionen Euro Umsatz eigentlich viel zu klein war für den Schritt nach Fernost.
"Wer globalisiert, trifft auf Risiken, die ein kleines Unternehmen wie das unsere in den Ruin treiben könnten - wer aber nicht globalisiert, dem laufen die Kunden weg."
Lange Zeit war die Internationalisierung ein Muss für Konzerne und größere Mittelständler. Jetzt zwingt die Globalisierung auch kleine Unternehmen in neue Märkte. Oft ist wie bei Wohlrab der Anruf eines Großkunden der Anlass - doch der strategische Grund liegt tiefer: "Es gelingt nicht mehr, ein Produkt einfach von Deutschland ins Ausland zu exportieren", sagt Peter Kranzusch vom Institut für Mittelstandsforschung in Bonn. Anspruchsvollere Kunden in Asien verlangen Service und Produktanpassungen vor Ort. "Diese Herausforderungen treffen kleine Unternehmen ebenso wie große."
Akribische Vorbereitung
Für kleine Mittelständler birgt die Internationalisierung ungleich höhere Risiken. Wer mit vielleicht 100 treuen Mitarbeitern irgendwo in der Provinz nur ein paar Millionen Euro umsetzt, dem schlägt der Vertriebsmann im teuren Singapur finanziell schwer ins Kontor - zumal er Fahrer und Sekretärin braucht oder die Kontaktleute mal zum Essen einladen will.
Raus in die Welt
Je kleiner ein Unternehmen, desto größer ist die Scheu vor solchen Investitionen. Aber nur wenige sind in ihren Nischen als Weltmarktführer für die globale Wirtschaft so unersetzlich, dass sie am reinen Export festhalten und auf die Vor-Ort-Präsenz dauerhaft verzichten können. Gerade weil sich das Wachstum in den BRIC-Staaten China, Indien, Brasilien und Russland abschwächt, müssen die Unternehmer raus in die Welt: Wer ferne Märkte mit einer Niederlassung direkt bearbeitet, Produkte für Asien anpasst und Service liefert, ist im Zweifel am besten gegen die Kapriolen der Schwellenländer-Konjunktur gewappnet.
Gleichwohl ist beim Gang in die Ferne akribische Vorbereitung vonnöten - was für kleine Unternehmen ganz besonders gilt. Für eine trockene Analyse der Märkte, intensives Netzwerken und eine pessimistische Kalkulation sollte man sich Zeit nehmen (siehe Kasten Seite 68). "Selbst große Unternehmen holen sich in Asien oft blutige Nasen", warnt Walter Jochmann, Geschäftsführer der Personalberatung Kienbaum. "Ein Kleinunternehmen aber kann das Scheitern eines Asien-Abenteuers die Existenz kosten."
Worauf kleine Mittelständler beim Gang ins Ausland achten sollten
Jeder träumt von China - aber nicht für jedes Produkt passt der Massenmarkt, den die Deutschen gern bedienen. Oft reicht es, Nischenprodukte weiter zu exportieren. Konzerne müssen Trends mitgehen, die Kleinen nicht zwingend.
Gewerbeparks aus der zweiten Reihe kämpfen oft um Investoren, indem sie beim Papierkram helfen und Steuern senken. Wer vergleicht, spart Geld.
Auf Konferenzen treffen Unternehmer auf Praktiker mit Erfahrung in fremden Märkten. Ihr Wissen hilft, die Chancen und Risiken des Markteintritts richtig einzuschätzen.
Selbst wenn die Marktaussichten noch so rosig sind: Unvorhersehbare Kosten sind bei der Expansion ins Ausland ganz normal und sollten eingeplant werden.
Jeder Gang ins Ausland braucht Planung. Man muss Leute finden, Informationen sammeln, Papierkram bewältigen - und sollte sich Zeit nehmen, auch wenn die Konkurrenz schon da ist.
Perfekt muss vor allem der Standort sein. Hierbei haben die Unternehmen nur einen Schuss frei. Gerade China übt auf deutsche Mittelständler seit Jahren eine fast betörende Anziehungskraft aus - kein Wunder bei einem Markt von 1,3 Milliarden Menschen, die dem schier grenzenlosen Konsum frönen. "Unternehmen sollten allerdings auch mal die Trampelpfade der Massen verlassen", empfiehlt Sebastian Theopold, dessen Munich Stratety Group Mittelständler berät.
Nicht immer ist der beste Markt auch der mit den höchsten Wachstumsraten. Singapur etwa wird als stabiler Standort für Asien-Zentralen immer attraktiver - abzulesen auch am großen Interesse an der Singapur-Konferenz, die die WirtschaftsWoche im Oktober mit dem Economic Development Board (EDB) ausrichtet.
Diebstahlschutz in Singapur
Wer sich nach Asien wagt, sollte Standorte intensiv vergleichen, rät Andreas Dressler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Terrain Consulting Services in Berlin: Singapur etwa wolle High-Tech-Unternehmen in den Bereichen Biotech und Chemie ansiedeln, wogegen Hongkong stark auf Startups setze. "Oft erhalten Investoren Steuernachlässe oder staatliche Hilfe bei der Ansiedlung", sagt Dressler. Gerade für kleinere Unternehmen sei Support der Regierung unerlässlich. Das gelte sogar für China, wo er einen Konkurrenzkampf der Gewerbeparks beobachtet: "Viele Industriegebiete stehen leer, darum kämpfen die Kommunen mit Steuernachlässen um Ansiedlungen."
Wohl dem, der schon früh Erfahrung gesammelt hat. So wie Feinmetall, ein Unternehmen aus Herrenberg nahe Böblingen, das mit 230 Mitarbeitern am Hauptsitz in 2012 rund 30 Millionen Euro erwirtschaftete. Der Name ist Programm: Unter Mikroskopen binden Arbeiterinnen in Weißkitteln feinste Metalldrähte auf Platinen in Handarbeit zusammen.
"Ankommen, auspacken, loslegen"
Die Elektronikindustrie setzt diese Platinen zum Testen von Halbleitern ein, die etwa in Handys verbaut werden. "Diese Prüfgeräte sind so hochpräzise, dass der Kunde permanenten Vor-Ort-Service braucht", sagt Sam Chee Wah, Geschäftsführer von Feinmetall in Singapur. Statt direkt eine eigene Tochtergesellschaft aufzubauen, begannen die Deutschen mit Sam Chee Wah als Servicepartner und gewöhnten sich langsam aneinander. Der Kontakt wurde so eng, dass Feinmetall mit dem gebürtigen Singapurer ein Gemeinschaftsunternehmen gründete. "In Singapur können wir relativ sicher sein, dass niemand unsere Innovationen klaut", sagt Chee Wah.
Alle drei Monate fliegt er nach Deutschland, um sich die neuesten Entwicklungen anzuschauen. Dort hat er nicht nur ein Gespür für deutsche Maßarbeit bekommen, sondern auch für die sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit: Die Präzisionsfabrik von Feinmetall in Singapur residiert jedenfalls nicht in einem gläsernen Prunkbau mitten im Zentrum, sondern versteckt sich in einer Art Parkhaus in der Vorstadt. Auf Parkdeck 10 öffnet sich eine Stahltür, dahinter steril-hellgrüner Linoleumboden. Sam Chee Wah begrüßt seine Gäste in antistatischen Plastikschlappen und denkt gar nicht daran, sich für die abgelegene Lage zu rechtfertigen: "Singapur ist teuer, hier sind die Mieten noch günstig."
Die Höhe der Mieten ist für viele Neuankömmlinge ein Problem - aber nur eines von vielen, weiß Hanna Böhme, Leiterin des German Center in Singapur. Bei ihr können sich deutsche Unternehmen zu fairen Mietpreisen niederlassen und dabei auf Dienstleistungen im Haus zurückgreifen - von Buchhaltung, IT-Beratung, Sekretariats- und Übersetzungsleistungen bis zu Marktanalysen und Marketing. "Ankommen, auspacken, loslegen" nennt Böhme das Konzept der German Center, die sich auch in Jakarta, Shanghai, Peking, Moskau, Neu-Delhi und Mexiko-Stadt finden. Und helfen, Mittelständlern aus ganz Deutschland die ersten Schritte am neuen Standort zu erleichtern. Böhme, selbst Tochter eines Familienunternehmers aus Schwaben, erkennt bei vielen Neulingen ähnliche Startschwierigkeiten: "Zuerst kommt immer der Vertriebler, der verkaufen und sich nicht mit Steuern oder Buchhaltung herumplagen will."
Zu klein für China
Zehn Jahre zögerte Messtechnikspezialist Labom, ehe man in Asien investierte: Das Familienunternehmen aus Hude bei Oldenburg, das auf die Messung und Überwachung von Druck und Temperatur spezialisiert ist, beackerte China zunächst über ein Vertriebsbüro in Shanghai. Mit einem Umsatz von 16 Millionen Euro und 160 Mitarbeitern wollte der Gang nach Fernost wohlüberlegt sein. Als die Entscheidung endlich gefallen war, gingen die Schwierigkeiten erst los: Es fand sich rund um Shanghai keine Fabrikhalle, die klein genug für den Mittelständler aus Niedersachsen war - und dabei erschwinglich.
Startup-Factories
"In Shanghai sind die Quadratmeterkosten viel zu hoch, westlich der Stadt in Taicang sind bereits so viele deutsche Firmen vor Ort, dass es schlicht Platzmangel gibt", sagt Gunda Stolle, die bei Labom den Einkauf leitet und die Expansion vorantreibt. Schließlich landete Labom in der Startup-Factory in Kunshan in der Provinz Jiangsu. Die Liegenschaft gehört dem Deutschen Bernd Reitmeier, der kleinen Investoren wie Labom auch kleinere Flächen vermietet. Vor allem kümmert sich der gut vernetzte Chef des deutschen Industrieparks bei den Behörden um den Papierkram.
Reitmeier hat vor zwei Jahren die Startup-Factory aufgebaut, die bei freien Straßen nur eine Autostunde von der Megacity Shanghai entfernt im Landesinneren liegt. "Oft wird unterschätzt, was das Mutterhaus leisten muss", sagt Investor Reitmeier, "man braucht international erfahrene Finanzbuchhalter und jemanden, der weiß, wie Exporte dokumentiert werden müssen." Wer in China selbst produzieren oder zumindest montieren will, brauche außerdem 10 bis 15 Leute. Die müsse man erst einmal finden - auch dabei hilft der Dienstleister.
Labom will im September mit der Produktion beginnen. Einen Expat schicken die Norddeutschen aber nicht nach China. Mit Gunda Stolle kümmert sich die Einkaufschefin um den Aufbau. Wenn die Produktion angelaufen ist, soll der Produktionsleiter pendeln und die lokale Belegschaft von drei Mitarbeitern für die Produktion von Messgeräten trainieren. "Bei uns in Oldenburg fahren die Leute teilweise mit dem Fahrrad zur Arbeit", sagt Gunda Stolle. "Wer so stark in seiner Heimat verwurzelt ist, den kriegen Sie nicht so leicht mitsamt Familie nach China."
Kaum Schnäppchen in Asien
Wer seine Leute ins Ausland schickt, hat die Kontrolle über die Prozesse: Ein Expat weiß, wie die Zentrale tickt - und mit guter Vorbereitung und interkultureller Kompetenz bringt er auch eine Fabrik fern der Heimat zum Laufen. Das hat den Vorteil, dass der Chef nicht ständig nach Asien fliegen und nach dem Rechten schauen muss. Doch Expats sind auch teuer. Sie wollen in Singapur oder Shanghai wohnen, wo das Leben schön ist - nicht in Jakarta oder Chengdu, wo Preise für Fabrik-Quadratmeter noch halbwegs erschwinglich sind.
Wer einen Einheimischen als CEO anstellt, fährt auf den ersten Blick günstiger: Das Unternehmen muss dann kein teures Apartment für einen Expat anmieten oder dessen Kindern Privatschule oder Kindergarten finanzieren. Allerdings finde man in Asien kaum noch Schnäppchen auf dem Personalmarkt, sagt Walter Jochmann von Kienbaum: "Gute Leute sind dort mittlerweile fast so teuer wie in Deutschland und von Europa aus nur schwer zu identifizieren."
Für kleine Unternehmen gibt es immer etwas zu tun
Er rät vor allem kleinen Unternehmen, ein klares Anforderungsprofil zu entwickeln - und dann mit lokalen Headhuntern nach passenden Leuten zu suchen.
Wer gute Mitarbeiter gefunden hat, muss sie allerdings auch halten können. Das ist insbesondere in China keine leichte Aufgabe, wo ein Facharbeiter im Schatten der Vollbeschäftigung schon für eine Gehaltserhöhung von 50 Euro das Weite sucht. Mit einer starken Marke kann die Mitarbeiterbindung womöglich klappen - aber wer ist schon Labom oder Wohlrab, wenn man bei Siemens, BASF oder Volkswagen arbeiten kann?
"Auch Mittelständler müssen Personalbindungskonzepte entwickeln, von der strukturierten Karriereplanung bis zum Betriebsausflug", sagt Kienbaum-Manager Jochmann. "Und eine zwischenzeitliche Ausbildung in der Zentrale erhöht die Identifikation mit dem Arbeitgeber im Zweifelsfall mehr als eine Gehaltserhöhung."
Christian Wohlrab hat es geschafft. Die Produktion in Indonesien läuft gerade erst ein Jahr - schon denkt er über die Erweiterung seines kleinen Unternehmens auf der Industrie-Insel unweit von Singapur nach. In dem Stadtstaat, wo Siemens sitzt und Wohlrab einen Fachmann aus Finnland als Leiter seiner Asien-Zentrale eingesetzt hat, hat er Kontakte zu anderen Medizintechnikunternehmen aufgebaut, die an seiner Arbeit interessiert sind.
Jetzt sucht er neue Mitarbeiter, um die bescheidene Produktion zu erweitern. Das Apartment über der Bank will er aber nicht mehr aufgegeben: "An einem Auslandsstandort wie Indonesien gibt es für kleine Unternehmen immer etwas zu tun." Da kann ein eigenes Quartier nicht schaden.