Grundregeln der Unternehmensführung Unternehmerfamilien geben sich einen Ehrenkodex

Nicola Leibinger-Kammüller (l) und Gatte Mathias Kammüller Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

Unternehmer legen Werte und Grundsätze in einem Kodex nieder. So wie bei Familie Leibinger-Kammüller, die den Maschinenbauer Trumpf führen. Der Kodex hilft, Streit zu vermeiden und das Lebenswerk zu sichern.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

An ihrem 16. Geburtstag bekommen alle Kinder der Familie ein ganz besonderes Geschenk. Feierlich überreichen ihre Eltern ihnen eine in Leder gebundene Familiencharta. Die haben Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller und ihre zwei Geschwister selbst verfasst, um der folgenden dritten Unternehmergeneration ihre Werte mit auf den Weg zu geben.

In dem Schriftstück geht es um Anstand, um Regeln, um Maßhalten und Bescheidenheit, um Leitlinien zum Umgang mit anderen Menschen, zum sozialen Engagement und zur Haltung gegenüber der Kirche. Ein reines Moralkompendium ist der Kodex aber nicht. So legt er etwa auch fest, was Familienmitglieder können müssen, wenn sie selbst im Unternehmen arbeiten wollen.

Die Familie fühlt sich dem Kodex verpflichtet

Rechtlich verbindlich sind die Grundsätze nicht, mehr als salbungsvolles Dekor aber schon. Jedes Familienmitglied fühle sich dem Kodex verbunden, sagt Leibinger-Kammüller. Wenn die Kinder ihn an ihrem 16. Geburtstag unterschreiben, kommt das einer Initiation gleich. Fortan gehören sie zur Familienrunde, sind in deren Entscheidungen eingebunden. Das Prozedere mag altmodisch wirken. Der Nachwuchs aber wisse die ehrenvollen Vorgaben zu schätzen, so die Trumpf-Chefin.

Dass ein Kodex sinnvoll ist, meint nicht nur Leibinger-Kammüller. 35 Prozent der deutschen Unternehmerfamilien haben sich eine eigene Verfassung gegeben, zeigt eine Untersuchung der WHU – Otto Beisheim School of Management und der Beratung PwC. „Der übergeordnete Zweck von Familienverfassungen ist es, durch transparente Regeln für wiederkehrende Themen Enttäuschungen zu vermeiden“, sagt PwC-Partner Dominik von Au. „Hat man sich erst mal auf Spielregeln verständigt, ist eine Familiencharta ein richtiger Erfolgsfaktor.“

Über die Inhalte ihrer Grundordnung schweigen sich die Clans meist aus. Im Schnitt legen die Chartas auf 30 bis 40 Seiten keine detaillierten Geschäftsprozesse, sondern Grundregeln der Unternehmensführung und des Zusammenwirkens fest. Nur in ganz alten Verfassungen fänden sich noch antiquiert wirkende Vorschriften wie die zwangsweise Nachfolge durch den ältesten Sohn, berichtet von Au.

Dafür geben sich gerade große Unternehmen zunehmend sogar neue Verfassungen, um weit verzweigte Eigentümerfamilien zusammenzuhalten. Der 80-seitige Kodex der unter anderem an Metro beteiligten Unternehmerfamilie Haniel etwa ist erst kürzlich fertig geworden. Er soll die Interessen der rund 680 Gesellschafter in Einklang bringen. Das jährliche Familientreffen in Duisburg dürfte harmonisch ablaufen, wenn sich alle an die Regeln halten.

Modern ist auch der Kodex der mit einem Vermögen von geschätzt 33 Milliarden Euro reichsten Sippe Deutschlands. Die Reimanns, unter anderem am Reinigungsmittelhersteller Reckitt Benckiser und mehreren Kaffeeunternehmen wie Jacobs beteiligt, sollen sich aus dem operativen Geschäft heraushalten und möglichst diskret leben. So dürfen sie sich nicht bei Facebook oder anderen sozialen Netzwerken im Internet anmelden, keine Fotos veröffentlichen und erst recht keine Interviews geben. Zur medialen Enthaltsamkeit sollen sich die Kinder am 18. Geburtstag per Unterschrift verpflichten.

Die 25 innovativsten deutschen Mittelständler
Fritz Kübler Quelle: PR
Rational Quelle: PR
Gerhard Schubert Quelle: PR
Katjes Quelle: PR
Isra Vision Quelle: PR
Selit Quelle: PR
RIB Software Quelle: PR

Wichtiger als Regeln zum Umgang mit dem eigenen Bild ist der Einfluss der Verfassungen auf Konflikte innerhalb der Familien. Wenn inhabergeführte Unternehmen scheitern, liegt das vor allem an unterschiedlichen Interessenlagen der Eigentümer, sagt Arist von Schlippe vom Institut für Familienunternehmen an der Universität Witten-Herdecke. Dabei geht es nicht nur um rationale Fragen der geschäftlichen Entwicklung, sondern auch um starke Gefühle wie Liebe, Eifersucht und Rücksichtnahme. Solche Emotionen sind unberechenbar, entfalten aber umso mehr Sprengkraft in der Familie – und damit gleichzeitig im Unternehmen. Eine Charta kann eine rationale Grundlage schaffen und so die Gefühle bremsen.

Wie umfangreich und detailliert sie das tun sollte, hängt davon ab, wie heterogen die Interessen der Mitglieder einer Familie sind. Jeder Kodex sollte individuell ausgehandelt sein und die Werte nur einer Familie abbilden. Denn jede Konstellation ist unterschiedlich und birgt damit unterschiedliches Konfliktpotenzial.

Sinnvolle Regeln

Besonders sinnvoll sind Regeln etwa dann, wenn von mehreren Geschwistern nur eines die Geschicke der Firma im Tagesgeschäft lenkt und die anderen daran nicht beteiligt sind oder nur im Beirat sitzen und kontrollieren. Wie hoch sollen dann die Ausschüttungen sein? Wie fallen Entscheidungen? Welches Mitspracherecht haben die passiven Gesellschafter? Solche Fragen lassen sich zumindest in Grundzügen in einem Kodex beantworten.

Damit sich niemand übergangen fühlt, sollte die Verfassung der Familie in Teamarbeit entstehen. Im Prozess der gemeinsamen Willensbildung lassen sich Differenzen ausloten und Lösungen erarbeiten. Die meisten Familien lassen sich hierbei extern helfen. Infrage dafür kommen spezialisierte Coaches, Unternehmensberater oder Anwälte. Auch große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie KPMG, PwC und EY bieten entsprechende Dienstleistungen an. Experten können auch dazu beraten, wie sich Regeln des Kodex rechtsverbindlich in den Gesellschaftervertrag übertragen lassen.

Festlegen lässt sich so etwa, wer unter welchen Bedingungen am Unternehmen beteiligt werden kann. Wie wird etwa der Übergang auf die kommende Generation organisiert? Regelungsbedürftig sind auch Fragen der Kontrolle: Nach welchen Spielregeln läuft diese ab und wie wird entschieden, wer in den Beirat oder Aufsichtsrat einzieht und dort den Vorsitz übernimmt.

Prozesse innerhalb der Familie dauern manchmal Jahre und gehen nicht immer ohne Blessuren ab. Bei der Familie Mack etwa, die den Europa-Park bei Freiburg betreibt, übergab Vater Roland kürzlich die Unternehmensleitung an seinen ältesten Sohn Michael. Zwei Jahre dauerte der von einem Berater begleitete Mediationsprozess. Es flossen sogar Tränen, wie der Vater erzählt, der sich wohl nur schwer von seinem Posten lösen konnte. Aber auch die Frage, wann es Zeit ist, zu gehen, lässt sich per Charta regeln.

Sinnvoll sind auch klare Kriterien für die Führung des Unternehmens. Hier lassen sich zwar keine detaillierten Qualifikationen, aber doch verbindliche Anforderungen festlegen. Manche Familienunternehmen etwa haben festgelegt, dass für Angehörige die gleichen Einstellungsregeln wie für Fremdgeschäftsführer gelten. Eigene Nachkommen dürfen demnach nur in die Unternehmensleitung Einzug halten, wenn sie dieselbe Position bereits aus eigener Kraft in ungeschützter Umgebung bei einem anderen Unternehmen erreicht haben.

Entscheidend sind auch Regeln für Familienmitglieder, die sich aus dem Verbund verabschieden wollen: Wie können sie ihre Anteile veräußern – und an wen? In der Praxis gibt es unterschiedliche Bestimmungen: Manche legen fest, dass ein Verkauf nur an Angehörige möglich ist, mitunter sogar nur an einen bestimmten Stamm. Damit lässt sich die Balance im Unternehmen wahren. „Dazu muss man eine Haltung entwickeln, damit die Firma auch in diesem Fall ein Familienunternehmen bleibt“, sagt Experte von Schlippe. Auch allgemeine Regeln zur Preisfindung lassen sich bereits festlegen.

Gerade autoritäre Patriarchen halten eine Charta manchmal für eine Art Gesetz, dessen Inhalt sie allein bestimmen. Familienexperte von Au berichtet von Clanchefs, für die er einen Kodex verfassen sollte, den sie dann allen Familienmitgliedern zur Unterschrift vorlegen wollten. Ein friedliches Miteinander sichert die Charta aber nur, wenn sie im friedlichen Miteinander entsteht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%