Seltsam fremd muss sich Barack Obama vorkommen, als er am Montag durch Hannover fährt. Die Gully-Deckel sind wie üblich zugeschweißt, überall stehen Polizisten – doch wo sind die Fans? Haben die etwa keine Wink-Elemente verteilt? Nirgendwo stehen Passanten mit US-Papierfähnchen auf der Hannover-Messe Spalier.
Kühl empfängt Hannover den US-Präsidenten auf seiner letzten Deutschland-Reise. Von der Euphorie, die den begnadeten Rhetoriker bei seinem Auftritt vor der Berliner Siegessäule (2008) oder bei sengender Hitze am Brandenburger Tor (2013) trug, ist überhaupt nichts zu spüren. Stumm knipsen ein paar Chinesen machen mit ihren Smartphones am Selfie-Stick ein Bild aus der Ferne, und ein Deutscher schimpft ins Telefon: „Ich fühl’ mich hier wie auf der Weide, hier sind überall Zäune, ich komm’ da nicht dran.“
Stattdessen protestierten am Samstag 90.000 Menschen gegen TTIP, das letzte politische Großprojekt des 44. US-Präsidenten. In sozialen Medien greift dagegen ein obszöner Anti-Amerikanismus um sich, der oft mit kruden Verschwörungstheorien vermischt und der Huldigung von Autokraten wie Wladimir Putin hinausläuft. Was ist da schiefgelaufen?
Sicherlich würgen scharfe Sicherheitsvorkehrungen jegliche Begeisterung ab. Nur ein kleiner handverlesener Kreis um Politiker und Unternehmenschefs erhält Zugang zu jene Hallen der weltgrößten Industriemesse, die der US-Präsident mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abnimmt. Auch seiner nachdenklichen Grundsatzrede zu den transatlantischen Beziehungen werden später nur wenige lauschen können.
Obama war mal zugänglicher, fühlbarer, anfassbar, das ist er längst nicht mehr. Aber das ist nicht der Grund für die spürbare Entfremdung der Deutschen.
Es war im Jahr 2008, als Barack Obama erstmals nach Deutschland kam. Damals regierte im Weißen Haus noch George W. Bush – ein kriegslüsterner Texaner, jedenfalls nahmen wir ihn so in Deutschland wahr. Mit einer Lüge hatte er den dritten Irak-Krieg vom Zaun gebrochen und die Deutschen in einen Afghanistan-Krieg ohne Strategie und Verstand gezogen. Als Gegenentwurf zu diesem komischen Cowboy Präsidenten konnte Obama leicht die Herzen der Deutschen einnehmen.
Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken
Dieser Meinung ist jeder zweite Amerikaner – aber nur jeder fünfte Deutsche.
Hier sind sich die Deutschen und die Amerikaner nahezu einige: Jeweils jeder Fünfte glaubt das.
Dieser Ansicht sind zwölf Prozent der befragten Amerikaner und 61 Prozent der Deutschen.
Obama hatte damals eine geradezu betörende Wirkung auf die werteverliebten Europäer. Ein Freund Europas, noch dazu mit afrikanischen Wurzeln, der rhetorisch mächtiger für die Freiheit eintritt – ohne dafür Krieg führen zu wollen. Ein Pazifist, der die Wunden heilt, die ein expansives Amerika gerissen hat. Vermutlich war es ihm selbst etwas peinlich, dafür ex ante den Friedensnobelpreis erhalten zu haben. Derart überzogene Erwartungen konnte er ja schließlich nur enttäuschen.
Amerika kümmert sich nicht um alles
Die Welt ist in knapp acht Jahren unter Barack Obama nicht sicherer und stabiler geworden. Das liegt zum einen daran, dass sich Amerika unter diesem eher innenpolitischen Ober-Ami eher heraushält aus der Weltpolitik. Darum muss Europa – und ergo zuvorderst Deutschland – mehr tun: Die Lösung der Ukraine-Krise überließ Obama ganz und gar Merkel, nach Mali musste Frankreich Truppen schicken.
Die Botschaft dahinter ist für die sicherheitspolitisch schmächtigen Europäer schwer zu verdauen: Wenn es irgendwo mal brennt in der Nachbarschaft, dann löscht das Feuer selbst, Amerika wird sich nicht mehr um alle eure Probleme kümmern.
Wenn sich die Amerikaner dann doch einmischen, dann war dies auch ein Fehler. In Syrien zögerte Obama mit einem Kriegseintritt so lange, bis es keine regierungsfähige Opposition mehr gab. In Libyen setzten sie entgegen der Versprechen an die Russen den Regimewechsel durch, um sich dann sofort zurückzuziehen und Chaos zu hinterlassen.
Chaos herrscht erst Recht im Irak, wo die Besatzungsmacht nach Obamas übereilten Abzug ein gespaltenes Land hinterlassen hat – dessen sunnitische Radikale nun in den Schoß des IS flüchten. Ein Gegner übrigens, den die USA viel zu lang unterschätzt haben.
Solche Fehler sind ein zweiter Grund für das Fremdeln der Deutschen mit den Amerikanern. Zumal die Europäer die Folgen in Gestalt von Terrorismus und Flüchtlingsströmen ausbaden müssen. Nebenbei fragt man sich, warum die US lediglich einige tausend Flüchtlinge bei sich aufnehmen. In Hannover beschwört der US-Präsident noch einmal die Stabilität Europas und den Wert der transatlantischen Beziehungen.
Es sind wohl formulierte, aber auch irgendwie wohlfeile Worte, deren wichtigste Botschaft im Kern erst zum Ende hin folgt: Amerika hofft auf mehr militärisches Engagement der Deutschen in der Nato. Vermutlich werden wir uns an diesen US-Präsidenten eines Tages mal erinnern als den Mann, der Europa zur Verantwortung gezwungen hat in der Außen- und Sicherheitspolitik. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht.