Digitalisierung Versklaven wir den Computer!

Die Digitalisierung der Wirtschaft klaut nicht Arbeit, sondern schenkt Freiheit. Diese zu nutzen ist eine gesellschaftliche und ordnungspolitische Aufgabe.

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Moderne Computer – Diener oder Geißel? Quelle: dpa

Wahrscheinlich ist Karl Marx mal wieder schuld. Der Kommunismus ist tot, aber eine seiner Thesen wird immer noch geglaubt: Der Mensch wird bei Marx erst durch Arbeit zum Menschen, durch eine, wie er schreibt, „zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bindung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens“.

Dieses unter den frühindustriellen, kapitalistischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts hergeleitete Verständnis von Arbeit bestimmt noch immer das Denken im gesamten Spektrum von der „Linken“ bis zu McKinsey. Doch die Vergötzung der Arbeit als Sinnstifterin für den Einzelnen und die Gesellschaft, dürfte durch die fortschreitende Veränderung der Produktionsbedingungen, nennen wir sie pauschal „Digitalisierung“, grundsätzlich in Frage gestellt werden. Nur haben es die meisten Akteure noch nicht wirklich begriffen.

Ob Ökonom, Personalmanager, Gewerkschafter, Sozialpolitiker: Man interpretiert die Digitalisierung – so sehr man ihre Produktivitätsgewinne begrüßt – als soziales Problem. Schließlich „klaut“ sie den Menschen die Arbeit, macht sie arbeits„los“. Mancher mag schon befürchten, dass den europäischen Mittelklasse-Büroangestellten das gleiche Schicksal droht wie den schlesischen Webern der 1840er Jahre, die durch die Einführung des mechanischen Webstuhls ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden.

Vielleicht wäre es angemessen und befruchtend für die Diskussion um die Auswirkungen der Digitalisierung und den technischen Fortschritt in westlichen Gesellschaften, wenn man sich allmählich vom Marxschen Götzen abwendet. Dann könnte man feststellen: Computer und Roboter erlösen uns von mehr oder weniger monotonen Tätigkeiten – bei gleichbleibender oder gar steigender Produktivität. Die Digitalisierung schenkt also – zunächst einmal – den Menschen und der Gesellschaft Zeit.

Man könnte dann vielleicht beginnen, statt von den Gefahren der Arbeitslosigkeit auch von den wunderbaren Aussichten der Arbeitsfreiheit zu sprechen. Man könnte sich auch daran erinnern, dass in der Antike „otium“, also Muße, das Ideal eines gelingenden Lebens war. Muße bedeutete Männern wie Cicero nicht ausgelebte Faulheit, sondern idealerweise selbstgewählte, charakterbildende, kreative Tätigkeit. Reine Erwerbsarbeit dagegen war für den antiken Menschen grundsätzlich negativ: „negotium“. Etwas, das freie Menschen möglichst den Sklaven aufbürden.

Zurück in die Zukunft
Wenn so viele Unternehmen aus Maschinenbau, IT und der Autobranche zusammenkommen, ist auch die Politik nicht weit. Auf der Hannover Messe gehören Forschungsministerin Johanna Wanka (links) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu den Stammgästen. Da die USA Partnerland der diesjährigen Messe sind, sind die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP nochmals auf die Agenda gerückt. Gabriel machte in Hannover nochmals seine Bedingungen deutlich, ansonsten könne TTIP auch noch scheitern. Quelle: dpa
Volkswagen zeigt an seinem Stand nicht nur, wie sich die Wolfsburger die Produktion und den Arbeitsplatz der Zukunft vorstellen. Die Digitalisierung ermöglicht auch immer genauere Fahrsimulatoren – wie die Messebesucher selbst erfahren können. Quelle: dpa
Dieser Demonstrator am Kuka-Stand zeigt, wie der Roboterarm, der auf einem fahrbaren Tisch montiert ist, mit anderen Maschinen zusammenarbeiten kann. In diesem Fall ist es eine Kreissäge, die Holzlatten zuschneidet. Die Herausforderung ist, dass Säge und Roboter sich verstehen, obwohl sie von unterschiedlichen Herstellern kommen. Auch die Sicherheit spielt eine entscheidende Rolle: Der Roboter ist nicht mehr in einen Käfig eingesperrt, sondern kann auch direkt mit Menschen zusammenarbeiten – indem er etwa die zurechtgesägten Holzteile anreicht. Quelle: dpa
Die Firma BionicRobotics will demonstrieren, wie feinfühlig ihr Roboter arbeiten kann. Die Herausforderung ist weniger die Anpassung der Griffkraft, damit das Ei nicht zerdrückt wird. Vielmehr geht es darum, dass die Maschine eigenständig erkennt, wie die Eier in dem Korb im Hintergrund genau liegen und wie sie bestmöglich zu greifen sind. Für einen Menschen trivial, für einen Roboter allerdings (noch) nicht. Quelle: dpa
Mehr als eine Nummer größer geht es am Stand von Enercon zu. Der Windkraftanlagen-Generator E-115 des Unternehmens aus dem ostfriesischen Aurich wird von Rotoren mit 115 Metern Durchmesser angetrieben – komplett montiert hätte die Anlage nicht in die Messehalle gepasst. Die Nabe, in der die drei Herren in der Bildmitte knien, ist mindestens in 92 Metern Höhe angebracht. Quelle: dpa
Der DeLorean DMC-12 ist eines der Kult-Autos der 1980er Jahre. Bekannt wurde er mit dem Film "Zurück in die Zukunft". Für den Stecker-Spezialisten Phoenix Contact ist das Grund genug, den DeLorean als Demonstrator für seine Elektro-Lade-Vision der Zukunft zu nutzen – auch wenn das bei einem ursprünglich von einem V6-Benziner angetriebenen Sportwagen etwas gewollt wirkt. Wie dem auch sei: Außen ist der in Hannover ausgestellte DeLorean nicht mehr ganz im Serien-Zustand, sondern dem Auto aus dem Film nachempfunden. Quelle: dpa
Selbiges gilt auch für den Innenraum. So hat man sich in den Achtzigern eine Zeitmaschine vorgestellt, nicht ein zeitgemäßes Autocockpit. Quelle: dpa

Machen wir uns bewusst: Die Digitalisierung und der weitere technische Fortschritt der Produktion könnten ermöglichen, wovon John Maynard Keynes in seinem berühmten Aufsatz „Die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkel“ (1930) noch phantasieren musste: „Wir werden mehr Dinge für uns selbst tun können, als es bei den Reichen heute üblich ist, und nur allzu froh sein, dass wir kleine Pflichten, Aufgaben und Routinesachen haben“.

Natürlich, in den Ohren eines betroffenen Angestellten oder Arbeiters, klingt das zynisch, solange nicht sein eigentliches Problem gelöst wird. Der Verlust der Arbeit als solche schmerzt ihn womöglich weniger. Die meisten Menschen wissen vermutlich recht gut, was sie mit mehr freier Zeit anfangen würden. Was Angst macht, ist der Verlust des Lohnes. Und zwar sowohl der materielle als auch der ideelle Lohn, nämlich die soziale Anerkennung und der Sinn, ohne den Menschen in aller Regel kein erfülltes Leben führen können.

Die Frage des ideellen Lohns ist eine gesellschaftliche. Vielleicht kommen wir einmal dahin, dass Muße als ebenso wertvoll betrachtet wird wie beruflicher Erfolg. Zumindest in gewissen avantgardistischen Kreisen ist das schon ansatzweise der Fall.
Die Frage des materiellen Lohns ist – auch – eine ordnungspolitische Aufgabe. Sie wird noch viel zu wenig thematisiert: Wie kann dafür gesorgt werden, dass die Früchte der Digitalisierung – in Form von Geld oder Freizeit – in einer als gerecht empfundenen Weise verteilt werden?

Diese Verteilung allein dem freien Markt zu überlassen, dürfte zu verheerenden sozialen Verzerrungen führen, die die Stabilität der Gesellschaft gefährden. Eine sehr schwierige, konfliktträchtige Aufgabe für die Ordnungspolitik also. Mittelfristig geht es dabei um die Bewahrung der gesellschaftlichen Stabilität. Es wäre eine Aufgabe für Politiker von Ludwig Erhards Format. Der Mangel an klugen, verantwortlichen Ordnungspolitikern, unter dem Deutschland und die gesamte westliche Welt seit einigen Jahrzehnten schon leiden, ist nicht gerade ermutigend in dieser Hinsicht.

Welche Potenziale und Herausforderungen Big Data birgt
Big Data optimiert die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Produktideen und Dienstleistungen Quelle: Fotolia
Big Data schafft Abhilfe bei noch nicht ausreichenden datenbasierten Analysemethoden Quelle: Fotolia
Big Data verbessert die Steuerung operativer Prozesse und optimiert strategische Entscheidungen Quelle: Fotolia
Die größte Herausforderungen liegen im Datenschutz und in der Datensicherheit Quelle: dpa
Das größte Potential liegt in der Mobilität und Industrie Quelle: dpa
Die größten Herausforderungen liegen im Gesundheitsbereich Quelle: dpa/dpaweb
Big-Data-Investitionen fließen vor allem in die Aus- und Weiterbildung des Personals Quelle: dpa/dpaweb

Dennoch: Die Digitalisierung ist zunächst einmal ein Segen der Technik. Computer als künstliche Sklaven könnten allen Menschen mehr Freiheit und Selbstbestimmung verschaffen. Ob wir diese Chance als Gesellschaft nutzen, haben wir selbst in der Hand.

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