Hannover Messe Amerika macht der Industrie das Leben schwer

Die Industrie in den USA erlebt ein Revival. Doch der Branche haftet ein schlechter Ruf an. Zudem sorgen die wahlkämpfenden Politiker mit ihren Parolen gegen den Freihandel für Unruhe.

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Die sich im Verfall befindende ehemalige Autofabrik von Packard ist nur eine von unzähligen Industrie-Ruinen in Detroit. Quelle: dpa

Wer dröhnende Motorengeräusche, ölverschmierte Finger und eine stickige Halle vermutet hatte, wird enttäuscht. Das Rolls-Royce-Werk in Prince George County, Virginia, ist ein weißer Neubau, lichtdurchflutet und nahezu klinisch sauber. Die 200 US-Amerikaner, die hier Turbinen für Passagierflugzeuge fertigen, steuern die meterhohen Maschinen per Touchpad und kontrollieren mit Software von Siemens ihre Arbeit.

Die Reindustrialisierung der USA: Sie hat mit der Fertigungsproduktion aus dem 20. Jahrhundert nicht mehr viel gemeinsam. Zu sehen ist das seit 2011 in dem Rolls-Royce-Werk in Virginia – und ab kommender Woche in Hannover. Die USA sind Partnerland der diesjährigen Hannover Messe, der größten Industrieschau der Welt, und wollen zeigen, wie sie sich die Industrie der Zukunft vorstellen.

„Die Arbeitsweise in der Industrie hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Das hat Folgen für die Rekrutierung von Mitarbeitern: Wir suchen hochqualifiziertes Personal“, sagt Lorin Sodell, Geschäftsführer der Rolls-Royce-Fabrik zwei Stunden südlich der Hauptstadt Washington, D.C. Dies sei nicht immer leicht zu finden, mehrere Stellen seien derzeit vakant.

von Sebastian Schaal, Niklas Dummer

Lange haftete der Industrie das Image einer aussterbende Spezies in den USA an, die meisten junge Leute haben um eine Ausbildung oder einen Job in der Fertigung einen großen Bogen gemacht. Verdenken kann man es ihnen nicht: Tatsächlich hat die Branche einen jahrzehntelangen Absturz erlebt. Automatisierung und höhere Produktivität haben ganze Fabriken überflüssig gemacht; einige Unternehmen sind zudem ins Ausland abgewandert, wo sie billiger produzieren können. Sechs Millionen Jobs sind alleine zwischen 2000 und 2010 in der Industrie verloren gegangen; der Niedergang hat ganze Landstriche veröden lassen.

Detroit: Von der Industriehochburg zum Sanierungsfall

Einst war Detroit, die ehemalige Industriehochburg Amerikas, der Stolz des Landes. Heute ist es ein heruntergekommener Ort. Der Asphalt in den Straßen Downtowns ist aufgeplatzt, die Gebäude sind mit Graffitis beschmiert, viele Fenster mit Holzbrettern zugenagelt. 1,85 Millionen Menschen lebten in Spitzenzeiten in Detroit. Autobauer, Zulieferer und die Gastronomie boten Hunderttausende Jobs. Heute sind über 23 Prozent der Menschen in Detroit arbeitslos, wer kann, hat die Stadt längst verlassen. Keine 700.000 Menschen leben mehr in der einstigen Vorzeige-Metropole.

Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken

„Die Reindustrialisierung der USA vermag nicht den Menschen zu helfen, die wir als Globalisierungsverlierer bezeichnen“, sagt Fred Bergsten, Ökonom vom Peterson Institute in Washington, D.C. Bandarbeiter, die früher für die Automobilindustrie, für Waschmaschinen- oder Geschirrspüler-Hersteller gearbeitet haben, haben wenig Perspektive; „der Großteil ihrer alten Jobs wird nie zurückkommen“, sagt Bergsten.

Zwar sind seit 2010 US-weit eine Millionen neuer Arbeitsplätze in der Industrie neu geschaffen worden. Gut bezahlte Jobs, schließlich zahlen die Exportunternehmen im Schnitt 18 Prozent mehr als die Konkurrenz, die sich auf den Heimatmarkt fokussiert. Einzig: Die meisten Arbeitssuchenden kommen für diese neuen Arbeitsplätze nicht infrage. „Die Politik hat es verpasst, jenen Menschen, die aufgrund von Produktionsverlagerungen und Automatisierungsprozessen ihre Arbeit verloren haben, fit für das 21. Jahrhundert zu machen“, bemängelt Bergsten.

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