Angesichts stockender Verhandlungen kamen im Februar Überlegungen auf, das Maschinenbau-Kapitel von den Verhandlungen auszunehmen – aus Sicht der Unterhändler verständlich, für den VDMA aber ein schwerer Fehler. „Es wäre niemandem zu erklären, warum gerade der Maschinenbau als eine Kernindustrie Europas nicht umfänglich von TTIP profitieren soll“, sagt VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann. „Wir fordern die EU-Kommission dazu auf, sich weiterhin für die mittelständische Industrie einzusetzen.“
Auch der weitere Verhandlungsprozess könnte durch das Ausklammern einzelner Bereiche weiter verkompliziert werden. „Interessengruppen, die von TTIP nicht profitieren, dürften sich dann zu Wort melden und fordern, dass ihr Bereich ebenfalls ausgeklammert wird“, sagt Grüner. „Das würde die Grundidee von TTIP ad absurdum führen.“ Das Ziel von TTIP sei es ja, in der Breite eine einheitliche Handelszone zu schaffen.
Sollte der Maschinenbau doch von den Verhandlungen ausgenommen werden, hieße das aber nicht, dass TTIP für die Branche ohne Bedeutung sei, schränkt Brodtmann ein. „Grundsätzliche Handels- und Zollerleichterungen helfen auch dem Maschinenbau, selbst wenn es keine gemeinsamen Normen geben würde.“ Die Zölle zwischen der EU und den USA sind im Maschinenbau zwar mit 2 bis 4,5 Prozent relativ gering.
Bei einem bilateralen Handelsvolumen von rund 50 Milliarden Euro entspräche eine Abschaffung der Zölle immerhin einer Entlastung von 200 Millionen Euro im Jahr. Bei einigen Unternehmen fallen etwa jährlich rund sieben Millionen Euro Dollar an Zöllen an, überwiegend für Teilelieferungen innerhalb der Unternehmensgruppe zwischen der amerikanischen Tochter und dem deutschen Mutterunternehmen.
Ein weiterer Knackpunkt: Einige Normen und Vorschriften sind selbst innerhalb der USA nicht homogen. Ähnlich wie bei den Auto-Abgasen sind manche Energie-Vorschriften für die Industrie etwa in Kalifornien strenger als in anderen Bundesstaaten. Ein Produkt muss also nicht nur US-konform gemacht, sondern unter Umständen zusätzlich für einzelne Staaten angepasst werden. Wird das Produkt auf die strengsten Grenzwerte hin entwickelt, ist es für andere Bundesstaaten „over-engineered“ – sprich zu teuer.
Ärger um die Schiedsgerichte
1959 unterschrieb Ludwig Erhard das erste globale Investitionsschutzabkommen der Welt – zwischen Deutschland und Pakistan. Es beruhte auf einem Entwurf von Hermann Josef Abs, dem früheren Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Bis heute ist dieses Abkommen die Grundlage sämtlicher Freihandelsabkommen.
Das Abkommen sah vor, dass Investoren vor internationalen Schiedsgerichten gegen die Entscheidungen ausländischer Regierungen vorgehen konnten, sofern diese einen Enteignungscharakter hatten.
Das Abkommen war zwar bilateral – das heißt es galt für Deutschland wie für Pakistan gleichermaßen – allerdings kam damals niemand auf die Idee, dass pakistanische Investoren in Deutschland tätig werden könnten.
1994 errichteten die USA, Kanada und Mexiko die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA. Das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP und CETA. Als Streitschlichtungsmechanismus ist auch hier ein Investorenschutz eingebettet.
Mit NAFTA kamen Anwaltskanzleien und Unternehmen auf die Idee, den Investorenschutz verstärkt als Rechtsschutzmittel gegen staatliche Entscheidungen zu nutzen.
Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall will für den deutschen Atomausstieg 2012 entschädigt werden und klagt auf fast vier Milliarden Euro. Wenige Wochen vor dem Atomausstieg hatte die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung beschlossen – im Glauben an die Gültigkeit dieses Beschlusses hatte Vattenfall in die Sanierung von mittlerweile vom Netz genommenen Atomkraftwerken investiert.
Die Grundlage für die Vattenfall-Klage ist kein Freihandelsabkommen, sondern die von Deutschland ratifizierte Energiecharta – darin ist aber ebenfalls eine Investitionsschutzklausel eingearbeitet, weswegen TTIP-Gegner oft auf diesen Fall verweisen.
Parallel klagt Vattenfall – wie auch RWE und Eon – vor dem Bundesgerichtshof. RWE und Eon haben als deutsche Unternehmen allerdings nicht die Chance, zweigleisig zu klagen, darin sehen TTIP-Gegner eine Benachteiligung heimischer Unternehmen gegenüber ausländischer.
2012 führte Australien rigorose Anti-Tabak-Gesetze ein. Demnach dürfen Zigarettenpackungen nur noch in einem langweiligen Grauton bedruckt und müssen mit abschreckenden Bildern versehen werden, die die negativen Folgen des Rauchens verdeutlichen.
Der Tabakkonzern Philip Morris ging im Rahmen einer Investitionsschutzklage vor einem Schiedsgericht dagegen vor und forderte mehrere Milliarden Dollar Schadensersatz. Die Begründung: Als Philipp Morris vor über 60 Jahren in Australien investierte, war nicht absehbar, dass solche Tabakgesetze den Markt zerstörten. Im Dezember 2015 wurde dieser Fall zugunsten von Australien entschieden.
Ob sich daran bald etwas ändert, ist fraglich. Im Februar dieses Jahres haben die Amerikaner mit zwölf asiatischen Staaten das Abkommen zur transpazifischen Freihandelszone TPP unterzeichnet. Sie umfasst wie TTIP 800 Millionen Verbraucher und rund 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
„Dass die USA sich stärker zum asiatischen Markt hin orientieren, ist nicht verwunderlich“, sagt Grüner. Die asiatischen Wachstumsraten sind im Vergleich zu denen in Europa immer noch riesig – auch wenn der Wachstumsmotor China zuletzt stockte. „Europa dagegen operiert politisch am Rande des Zerfalls.“
Die Gefahr: Globale Wirtschaftsstandards könnten von der asiatisch-amerikanischen Freihandelszone geprägt werden. Und Europäische Produzenten hätten das Nachsehen.