Hannover Messe Wie Polen das Billiglohn-Image ablegen will

Seite 2/2

Verkrustete Strukturen bremsen Industrie-Start-ups

Das Frühwarnsystem ist ein Paradebeispiel für Industrie 4.0 – und wurde hier in Tarnow entwickelt. „Das betriebliche Vorschlagswesen von früher ist Zeitverschwendung“, findet Maier, „wir ermutigen unsere Mitarbeiter stattdessen, ihre Ideen selbst umzusetzen.“ Polnische Mitarbeiter gelten als gut ausgebildet und engagiert und Lenze will ihnen das Beste aus dem Westen bieten. Zum Beispiel Schulungen, bei denen sie ausgerüstet mit einer Datenbrille neue Arbeitsprozesse in einer virtuellen Umgebung erlernen können.

Ein Startup-Kultur gibt es in Polen dennoch nicht. Obwohl gerade mit der Digitalisierungsrevolution gute Chancen bestünden. Doch Eigeninitiative war in 50 Jahren Planwirtschaft nicht erwünscht, erst jetzt nehmen junge Polen ihr wirtschaftliches Geschick selbst in die Hand.

Diese Unternehmen sind für den „Oscar der Ingenieure“ nominiert
Hannover Messe Hermes Awards Quelle: PR
Hannover Messe Hermes Awards Quelle: PR
Hannover Messe Hermes Awards Quelle: PR
Hannover Messe Hermes Awards Quelle: PR
Hannover Messe Hermes Awards Quelle: PR
Hannover Messe Hermes Awards Quelle: PR
Hannover Messe Hermes Awards Quelle: PR

Dabei treffen sie immer noch auf verkrustete Strukturen. Wie der Absolvent von Mariusz Olszewski, der einen medizinischen Operationsroboter entwickelt hatte, in seiner Heimat aber nicht zum Zuge kam, unter anderem mangels Kapital. „Der hat sein Unternehmen dann in der Schweiz gegründet“, bedauert der Mechatronik-Professor.

Reicht der neue Industrie-Plan der Regierung?

Solche Geschichten möchte Tadeusz Koscinski künftig nicht mehr hören. Der Vizeminister im Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung richtet seinen bulligen Körper auf und doziert über die Pläne seiner Regierung. Ein Ausschuss soll die Transformation der Industrie vorantreiben, eine polnische Plattform für Industrie 4.0 wird derzeit aufgebaut.

Der Regierungsplan soll aus fünf Säulen bestehen: Reindustrialisierung, Innovation, Kapital zur Verfügung stellen, Export ankurbeln sowie faires Wachstum garantieren, das nicht nur den bereits gut entwickelten Ballungsräumen im Westen und Süden zugutekommen soll, sondern auch den nach wie vor unterentwickelten Regionen im Osten. Ein guter Plan, den vermutlich jeder sofort unterschreiben würde. Aber ob das reichen wird, um vom Billiglohn- zum Innovationsland aufzusteigen?

Diese Länder haben das schnellste Internet
Breitband-Internet Quelle: dpa
Platz 25: DeutschlandDeutschland landet mit einer durchschnittlichen Downloadrate von 14,6 Mbit/s noch knapp unter den 25 Ländern mit dem schnellsten Internet. Während das Internet in den Städten ordentliche Geschwindigkeiten vorweisen kann, tropft es in vielen ländlichen Gebieten mit nicht einmal zwei Megabit aus der Leitung. In einer zweiten Statistik hat Akamai erfasst, wie viele der Anschlüsse es über die Marke von recht lahmen 4 Mbit/s schaffen – hier liegt Deutschland mit nur 89 Prozent der Anschlüsse auf Rang 33.Anmerkung: Die Datenübertragungsrate wird in Megabit pro Sekunde (Mbit/s) gemessen. Ein Megabit entspricht einer Million Bit. Quelle: dpa
Platz 10: Niederlande Quelle: dpa
Platz 9: Japan Quelle: AP
Platz 8: Singapur Quelle: dpa
Platz 7: Finnland Quelle: dpa
Platz 6: Dänemark Quelle: dpa

Und dann wird sie doch noch gestellt, die Frage, die allen auf der Zunge liegt: die Frage nach dem Rechtsruck der Regierung und den zweifelhaften verfassungsrechtlichen Entscheidungen. Koscinski, ganz Politprofi, hat die Frage bereits erwartet und gibt gelassen die vorgedrechselte Antwort. Auf die Industriepolitik habe das keinen Einfluss, man bekenne sich klar zum Westen und überhaupt wolle er jetzt lieber die ambitionierte Wirtschaftsstrategie vorstellen.

„Regierungen kommen und gehen, man darf sich da nicht verrückt machen lassen“, findet auch Lenze-Vorstand Frank Maier. Auch bei den deutschen Branchenverbänden herrscht Entspannung. „Der polnische Markt ist dynamisch und stark in Bewegung“, sagt Yvonne Heidler, Osteuropa-Expertin beim Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer.

Die VDMA-Mitglieder scheinen mit der Situation ganz zufrieden zu sein. Die deutschen Maschinenbauer haben 2016 aus Polen für 2,6 Milliarden Euro Waren importiert – vor allem Zulieferteile. Die wurden in Deutschland zusammengebaut und vorwiegend als fertige Maschinen nach Polen exportiert, im Wert von 5,7 Milliarden Euro. Billig aus Polen einkaufen und teuer nach Polen verkaufen – eine zumindest aus deutscher Sicht kluge Strategie.

Doch wie lange noch? Wenn die Regierungsstrategie aufgeht und die Wirtschaft selbst innovative Produkte entwickelt, wie sich das bereits in der Elektromobilität und der Bahnindustrie abzeichnet, könnte Polen von der verlängerten Werkbank zum Konkurrenten werden, auch wenn damit die Löhne stiegen. „Früher hat der deutsche Kunde einen Konstruktionsplan gezeigt und der polnische Betrieb hat das gebaut“, erinnert sich Yvonne Heidler vom VDMA. Das ändere sich gerade: „Heute kommen zunehmend eigene Innovationen aus Polen.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%