Industrie 4.0 So sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus

Maschinen und Roboter übernehmen immer mehr Aufgaben – trotzdem wird die Fabrik der Zukunft nicht menschenleer sein. Welche Rolle der Mensch bei der nächsten industriellen Revolution einnimmt und wo noch Probleme liegen.

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Industrie 4.0: Der Arbeitsplatz der Zukunft ist mobil. Quelle: imago images

Lautlos fährt der elektrisch betriebene Montagebock am Regal vorbei. Das Regal weiß schon, welches Teil montiert werden soll und zeigt dem Arbeiter mit einer kleinen LED-Leuchte, wo er zugreifen muss. Und schon rollt der Arbeitstisch weiter zur nächsten Station. Dort muss ein schweres Gehäuse gewendet werden. Die Maschine, die dem Monteur diesen anstrengenden Schritt abnimmt, ist bereits in die Montage-Insel integriert und spricht sich mit dem mobilen Montagebock ab. Falls der Arbeiter mal einen Schritt vergisst, kann er jedes Detail auf einem Tablet nachlesen. Ist alles zusammengeschraubt, wird das Teil auf den nächsten Roboter verladen, zur Lackieranlage und schließlich zur Endkontrolle gebracht.

Was nach der stereotypen Vision einer vernetzen Industrie-4.0-Anlage klingt, ist bei SEW Eurodrive bereits Realität. Während viele Unternehmen über die vernetzte Produktion reden oder eine kleine Demonstrationsanlage haben, hat der Spezialist für Elektroantriebe aus dem badischen Bruchsal bereits eine Modellfabrik in Betrieb, die voll in der Tagesproduktion mitläuft. „Einzelne vernetzte Maschinen sieht man heute schon in fast jeder Fabrik“, sagt der Technik-Geschäftsführer Johann Soder. „Dass ganze Wertschöpfungsketten vernetzt und digitalisiert sind, ist aber noch sehr selten. Genau das haben wir hier gemacht.“

Sechs Montage-Inseln hat SEW in dem Werk Graben-Neudorf bereits auf das neue System umgestellt. Da es aber keine passenden Maschinen zu kaufen gab, musste SEW die fahrenden Montageböcke – intern werden sie Montage-Assistenten genannt – erst entwickeln. Auch die Logistik-Assistenten, die für den Transport zwischen den einzelnen Inseln zuständig sind, haben die Badener selbst entworfen.

„Wir werden Personal verlieren“

Die ersten Ergebnisse des Versuchs können sich sehen lassen: Bis ein Elektromotor samt Getriebe montiert ist, dauert es nur noch halb so lange. Gleichzeitig ist die Anzahl an möglichen Varianten, die an einer Montage-Insel zusammengeschraubt werden können, um ein Vielfaches gestiegen. Für Soder hat sich das neue Modell bereits etabliert: Bis 2018 soll auch der Rest des Werks umgestellt werden.

Die klassische Werkbank hat dann ausgedient – der Mitarbeiter an der Werkbank jedoch nicht. „Wir werden durch Industrie 4.0 Personal verlieren, zum Beispiel im Wareneingang oder der Fabriksteuerung“, erläutert Soder. „Aber unsere Werker sind auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen. Roboter beherrschen die Varianz noch nicht.“

Die Folgen von Industrie 4.0 für die Branchen in Deutschland bis 2025

Jede der Montage-Inseln kann tausende verschiedene Motoren herstellen – je nachdem, welche Antriebsart verbaut wird und wie die Teile im Getriebe kombiniert werden, entsteht so ein Elektroantrieb nach den Ansprüchen des Kunden. Das Problem für die Roboter: Es müssen jedes Mal andere Zahnräder und Wellen gegriffen und eingesetzt werden. Und so anpassungsfähig sind Roboterhände noch nicht. Sie bräuchten verschiedene Greif-Werkzeuge, die ständig ausgetauscht werden müssten – der Zeit-Vorteil wäre schnell dahin.

Die nächste Generation der Industrie wird den Arbeitsmarkt umkrempeln. Skeptiker fürchten Stellenstreichungen, doch tatsächlich entstehen mit der Digitalisierung völlig neue Beschäftigungsbereiche. Die Jobs der Zukunft.

Dennoch gilt: Ohne gute Ausbildung geht nichts, Geringqualifizierte dürften zu den Verlieren des Strukturwandels gehören. Das legt auch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nahe. Laut den Experten werden in den kommenden Jahren in Deutschland 430.000 Arbeitsplätze in der Produktion neu entstehen, gleichzeitig aber 490.000 weniger qualifizierte Jobs wegfallen. So müssten zum Beispiel Facharbeiter, die bisher in den Produktionsstraßen mit Routinearbeiten erledigen, frühzeitig für anspruchsvolle Aufgaben in der Industrie 4.0 umgeschult werden, so die Wissenschaftler des IAB.

„Die Maschinen sollen unsere Mitarbeiter entlasten. Wir müssen nicht härter, sondern intelligenter arbeiten“, sagt Soder. Der Mensch, erklärt er, wird „vom Arbeiter zum Problemlöser, Entscheider und Innovator“. Denn in ungeplanten, nicht vorhersagbaren Situationen ist der Mensch mit seinen kognitiven Fähigkeiten gefragt und soll sich auch voll und ganz darauf konzentrieren können.

Was Soder von seinen Mitarbeitern erwartet und fordert, ist vor allem Flexibilität: „Morgens an der Stechuhr das Hirn abzugeben und acht Stunden lang einer monotonen Aufgabe nachzugehen, wird nicht mehr funktionieren“, meint der SEW-Geschäftsführer. „Das setzt natürlich eine andere Ausbildung und Qualifizierung voraus.“

Ein Beispiel: Die Auslastung der Fabrik – und damit der Einsatz des Personals – wird in der Modellanlage von SEW nicht mehr Wochen, sondern maximal drei Stunden im Voraus geplant. Deutet sich mitten in der Schicht ein Engpass in einer der Montage-Inseln an, werden ein oder zwei Mitarbeiter samt Montage-Assistenten umgeplant. Der Monteur muss flexibel auf den neuen Einsatz reagieren können – und sich mit deutlich mehr als nur einem Handgriff auskennen.

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