Herr Babiš kauft ein Tschechiens Finanzminister kauft halb Wittenberg

Der tschechische Finanzminister und Unternehmer Andrej Babiš hat Millionen in Firmen und Immobilien in Wittenberg investiert. Doch was will der Milliardär dort?

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Milliardär, Vizepremier und Finanzminister Tschechiens Andrej Babiš in Wittenberg. Quelle: Götz Schleser für WirtschaftsWoche

Fast unbemerkt schlüpft Andrej Babiš, ein hagerer Mann mit gebeugtem Kopf, an den Fotografen der Presse vorbei. Der milliardenschwere Unternehmer und tschechische Finanzminister Babiš meidet die Presse, in deren Blitzlichtern sich an diesem Reformationstag Ende Oktober ohnehin andere sonnen: Gerade haben Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff das Chemie-Museum am Marktplatz von Wittenberg eingeweiht und strahlen nun vor den Kameras um die Wette.

Babiš, der für den Bau des Museums ein paar Millionen Euro springen ließ, schleicht unterdessen vorbei an der Lutherstatue vor dem Rathaus, mischt sich unter die Luthertouristen, bleibt an einem der Verkaufsstände stehen und gönnt sich an diesem grauen Vormittag erst mal einen Glühwein.

Während er aus dem Tonkrug nippt, blickt Babiš auf die Renaissance-Häuser des Museums nebst dem Marktplatz. „Wie viele der Häuser haben Sie gekauft?“, will er von seinem Begleiter wissen. „Sie haben die Häuser gekauft. Es sind Ihre! Die zwei linken gehören Ihnen“, antwortet ihm Rüdiger Geserick, Geschäftsführer des Chemieunternehmens SKW Piesteriz, einer Tochter von Babiš tschechischem Konzern Agrofert. „Und was hat es gekostet?“, will Babiš wissen. „Alles zusammen zwölf Millionen Euro“, sagt Geserick. Babiš blickt zufrieden auf die Häuser: „Das ist okay. Sieht ja toll aus!“

Andrej Babiš ist nicht nur Tschechiens Finanzminister. Der Unternehmer ist auch einer der reichsten Männer des Landes. Sein Konzern Agrofert setzt im Jahr rund sechs Milliarden Euro um. „Forbes“ schätzt das Vermögen des gebürtigen Slowaken auf 2,6 Milliarden Dollar und führt ihn als Nummer 688 auf seiner Reichen-Liste.

Längst reicht das Geschäftsnetz des Oligarchen bis nach Deutschland, wo es sich in der Lutherstadt Wittenberg ballt. Sogar den Namenszusatz von Wittenberg prägt er gerade. Wenn die 50.000-Einwohner-Stadt zwischen Berlin und Leipzig im kommenden Jahr das Lutherjahr zelebriert, ist es das Werk von Babiš, dass Wittenberg sich nun offiziell „Kultur- und Industriestadt“ nennt. Denn seit Babiš 2002 den Chemiepark im Stadtteil Piesteritz in seinen Konzern einverleibt hat, ist er einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Nun erweitert er das Imperium mit der Bäckerei Lieken, die Babiš 2013 erworben hat und in Wittenberg gerade eine neue Fabrik bauen lässt.

Rund 900 Millionen Euro will Babiš bis Ende 2017 in Wittenberg investieren. Und es sind nicht nur die Arbeitsplätze, die Wittenberg Babiš zu verdanken hat. Der Milliardär zeigt sich auch sonst großzügig: Gerade lässt er am Werksgelände die zweite Kita hochziehen. Das von ihm errichtete Ärztehaus am Werksgelände ist von allen Bürgern der Stadt nutzbar. Und weil Babiš nicht kleinlich ist, hat er den Wittenbergern auch eine Feuerwehrwache spendiert und möchte den Autobahnausbau nach Wittenberg aus eigener Tasche zahlen. Bei so viel Spendierfreudigkeit vergisst man in Wittenberg gerne, dass der Erfolg von Babiš auch eine dunklere Seite hat.

Denn in seiner Heimat zählt Babiš zu einer der umstrittensten Figuren der Öffentlichkeit. Seit Babiš ins politische Geschäft in Tschechien eingestiegen ist, begleiten ihn Vorwürfe, dass er seine Stellung als Finanzminister und Vizepremier für seine Geschäftsinteressen missbrauchen würde: Weil sein Konzern Agrofert glänzende Geschäfte mit dem tschechischen Staat macht, werden Babiš Interessenkonflikte vorgeworfen. Wegen des Verdachts der Veruntreuung von EU-Fördermitteln ermittelt sogar die EU-Antikorruptionsbehörde (Olaf) gegen ihn. Und weil Babiš auch noch zwei Tageszeitungen und andere Medien gekauft hat, nennen ihn manche sogar den „tschechischen Berlusconi“. Dennoch fährt der hagere Milliardär mit seiner liberal-populistischen Partei ANO (zu Deutsch „Ja“) einen Wahlsieg nach dem anderen ein. Für die tschechischen Parlamentswahlen 2017 werden ihm beste Aussichten vorausgesagt, es zum Premier zu bringen. Doch was will der Politiker mit halb Wittenberg?

Gekreuzte Wege von Babiš und Wittenberg

Um die Statue Luthers am Wittenberger Marktplatz wird das Gedränge und Geschiebe unter den Touristen an dessen Gedenktag immer dichter. An der Häuserzeile mit den beiden renovierten Häusern von Babiš schieben sich die Massen vorbei und schielen neugierig durch die Schaufenster in das erleuchtete Haus. Über drei Stockwerke hat Babiš hier das sogenannte Science-Center errichten lassen. Es ist ein Museum über Chemie im Agrarbereich und soll subtil die Marke des heimischen Chemieparks stärken. Drei Millionen Euro hat Babiš in die multimedialen Schaustücke gesteckt. Zugleich ist Babiš mit dieser Investition in die Mitte Wittenbergs gerückt.

Diese Investmentlegenden sollten Anleger kennen
Benjamin Graham (1894 - 1976) Graham wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, nachdem seine verwitwete Mutter alles Hab und Gut durch Aktienspekulationen verloren hatte. Der Ausnahmeschüler schloss bereits mit 20 Jahren sein Studium ab und arbeitete anschließend an der Wall Street, wo auch die New Yorker Börse beheimatet ist. Später lehrte er an der Columbia University Wirtschaftswissenschaften. Sein Buch "Security Analysis" (1934) gilt als Standardwerk, die spätere populärwissenschaftliche Version "Intelligent Investor" gilt als Bibel der sogenannten Value-Investoren und war ein Bestseller. Quelle: Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0 ,Equim43
André Kostolany Quelle: dpa/dpaweb
Warren Buffett Quelle: REUTERS
George Soros Quelle: dpa
Jens Ehrhardt Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör steht im wehenden Mantel vor dem Museum und spricht deutlich aus, was dieses Museum für die Beziehung zwischen der Stadt und ihrem reichen Gönner bedeutet: „Mit dem Museum am Marktplatz ist Herr Babiš in die gute Stube der Stadt gerückt.“ Allzu kritische Töne pflegt man in der „guten Stube“ offenbar nicht. Zwar moniert Wittenbergs Oberbürgermeister, dass er das Museum partout nicht vor der Eröffnung sehen durfte, und bemängelt die „nicht immer gegebene Transparenz“. Doch das ist nur ein Nebensatz in der Hymne auf Babiš’ Investitionen und sein soziales Engagement in Wittenberg. Ministerpräsident Haseloff ist an möglichen Interessenkonflikten von Babiš offenbar gar nicht interessiert. Danach gefragt, antwortet er: „Herr Babiš ist ein erfolgreicher Unternehmer, der in Wittenberg Einmaliges leistet.“

Der Grund, warum Babiš in Wittenberg so hofiert wird, ist in der Geschichte der Lutherstadt zu suchen. Der Mauerfall traf Wittenberg wie so viele Städte im Osten fundamental. Die maroden Betriebe waren nicht konkurrenzfähig und zogen kaum Investoren an. Weil Berlin keine Stunde mit dem Zug entfernt liegt, lag die Landflucht ohnehin näher als die kargen Aussichten in der Kleinstadt. Doch während Wittenberg nach 1989 in Schockstarre verharrte, legte Babiš in Tschechien inmitten der Trümmer des Kommunismus eine atemberaubende Karriere als Kapitalist hin. 1993 gründete Babiš mit einem Kollegen den Düngemittellieferanten Agrofert, der damals gerade eine Handvoll Mitarbeiter zählte. Heute beschäftigt sein Konzern rund 34.000 Mitarbeiter und umfasst die gesamte Lieferkette von der Saat bis zum fertigen Brotlaib. Weil seinem Konzern Anfang der 2000er-Jahre noch ein Ammoniakwerk fehlte, griff Babiš dort zu, wo andere nur Verluste sahen: im Chemiepark von Wittenbergs Stadtteil Piesteritz. 2002 übernahm Babiš die Stickstoffwerke in dem Chemiepark (SKW Piesteritz). Seitdem sind die Wege von Babiš und Wittenberg eng miteinander verknüpft.

Welche Familien in Deutschland die Macht haben
Rang 20: Liebherr InternationalBranche: NutzfahrzeugeUmsatz 2015: 9,2 Milliarden EuroBeschäftigte 2015: 41.500 Über die Dachgesellschaft kontrolliert die Familie Liebherr das Firmenimperium, das unter anderem Baufahrzeuge, Kräne, Verkehrstechnik, Hausgeräte und Hotels umfasst.Quelle: FAZ, Unternehmen Quelle: dpa
Rang 19: MaxingvestBranche: Nahrung und GenussUmsatz 2015: 10,1 Milliarden EuroBeschäftigte 2015: 30.000 Unter dem Dach der Maxingvest sind der Kaffeehändler Tchibo und der Nivea-Hersteller Beiersdorf vereint. Kontrolliert wird die Holding von der Hamburger Unternehmerfamilie Herz. Quelle: AP
Rang 18: WürthBranche: BefestigungstechnikUmsatz 2015: 11,0 Milliarden EuroBeschäftigte 2015: 69.000 Als Schraubenkonzern ist Würth vielen bekannt. Dabei hat sich der Konzern unter Reinhold Würth, Sohn des Firmengründers Adolf Würth, zu einem weltweiten Großhandel mit Befestigungs- und Montagetechnik entwickelt. Sitz des Unternehmens ist Künzelsau bei Stuttgart. Quelle: dapd
Rang 17: Marquard & BahlsBranche: MineralölhandelUmsatz 2015: 11,1 Milliarden EuroBeschäftigte 2015: 8.700 Zu den Geschäftsbereichen des Konzerns gehören der Mineralölhandel, die Flugzeugbetankung – aber auch die erneuerbaren Energien. Sitz des Familienunternehmens ist in Hamburg. Quelle: dpa/dpaweb
Rang 16: MahleBranche: AutozuliefererUmsatz: 11,5 Milliarden EuroBeschäftigte: 75.600 Der Autozulieferer aus Stuttgart blickt auf eine fast 100-jährige Unternehmensgeschichte zurück und zählt heute zu den größten Firmen der Branche. Der Konzern ist zu 99,9 Prozent im Besitz der Mahle-Familienstiftung. Quelle: dpa
Rang 15: OttoBranche: HandelUmsatz 2015: 12,1 Milliarden EuroBeschäftigte 2015: 49.600 Hinter Amazon ist Otto einer der größten Onlinehändler weltweit. Vom Internetverkauf profitiert der traditionelle Versandhändler so stark, dass die diversen Web-Shops in den vergangenen Jahr stark gewachsen sind. Quelle: dpa
Rang 14: Oetker-GruppeBranche: MischkonzernUmsatz 2015: 12,2 Milliarden EuroBeschäftigte 2015: 30.800 Zur Oetker-Gruppe mit Firmensitz in Bielefeld gehören rund 400 Unternehmen. Oetker ist unter anderem in den Bereichen Lebensmittel (Dr. Oetker GmbH), Bier (Radeberger), Sekt und Wein (Henkell), Schifffahrt (Hamburg Süd) und dem Bankwesen (Bankhaus Lampe) tätig. Quelle: dpa

Fährt man vom Wittenberger Marktplatz gen Westen, stößt man im Stadtteil Piesteritz unausweichlich an einen markanten blauen Zaun. „Alles hinter dem Zaun ist Babiš-Land“, sagt SKW-Chef Rüdiger Geserick. Geserick steht in der obersten Reihe eines Vorlesungssaales im Ausbildungstrakt des Werksgeländes und zeigt durch das Fenster auf die Werksteile. Links steht das Medicum genannte Ärztecenter samt Fitnessbereich. Unter dem Fenster schaufeln die Bagger gerade das Fundament für die neue Kita. Und rechts spannt sich ein grüner Zaun um die neue Brotfabrik von Lieken, die gerade fertig gestellt wird.

Immer Ärger mit Olaf

Unter dem Hörsaal in einem schlichten Besprechungszimmer ist nun auch Babiš angekommen. Im schlichten Anzug sitzt Babiš an dem Besprechungstisch. Was an dem Milliardär vor allem auffällt, ist, dass nichts an ihm auffällt. Keine teure Uhr wickelt sich um das Handgelenk, nirgends an seinem Äußeren ist Prunk zu entdecken, und selbst nach den kleinen Insignien, mit denen sich große Macht gerne beiläufig zu erkennen gibt, sucht man bei Babiš vergebens. Das Einzige, was Babiš ständig aus dem Sakko fischt, ist ein klobiger Taschenrechner.

Wenn Babiš redet, gleicht das dem Plätschern eines ruhigen Flusses. Beiläufig spricht der Milliardär von seinem Reichtum, als wäre er ein lästiges Anhängsel: „Was soll ich mit all dem Geld machen? Soll ich es essen?“ Wenn Babiš sagt, dass er Protzerei verachtet und stets Economy Class fliegt, klingt das aufrichtig. Vielleicht ist es diese Authentizität, die ihn bei den Tschechen so beliebt macht. Doch Babiš kann auch lautere Töne. Etwa dann, wenn man ihn nach den Untersuchungen der EU-Antikorruptionsbehörde Olaf wegen mutmaßlichen Missbrauchs von EU-Fördergeldern fragt.

Andrej-Babiš Quelle: Götz Schleser für WirtschaftsWoche

In dem möglichen Korruptionsfall geht es um den Bau des Wellness-Hotels Storchennest rund 50 Kilometer vor Prag. Es besteht der Verdacht, dass das von der EU mit rund 1,9 Millionen Euro geförderte Projekt zeitweise unter dem Einfluss von Babiš’ Konzern Agrofert gestanden habe. Olaf bestätigt die laufenden Untersuchungen, betont jedoch die Unschuldsvermutung für Babiš. Der Milliardär tut sich bei Storchennest sichtlich schwer, die Contenance zu halten: „Die Subventionen wurden mehrmals kontrolliert. Alles war korrekt!“, sagt Babiš und fischt seinen Taschenrechner hervor. „Wir haben 915 Millionen tschechische Kronen investiert, und die bewilligte Subvention betrug 50 Millionen Kronen.“ Wie zum Beweis zeigt er auf das Ergebnis seiner Rechnung: „Die Subvention betrug also gerade einmal fünf Prozent.“

Den Vorwurf des Interessenkonfliktes als Finanzminister und Agrofert-Inhaber kontert Babiš auf seine ganz eigene Art: „Natürlich gibt es einen Interessenkonflikt. Aber ich bin doch nicht so dumm, das auszunützen. Alles, was ich mache, ist according to the Gesetz, wie sagt man auf Deutsch ...“, wendet er sich an seinen Geschäftsführer Geserick, der sofort einspringt: „Gesetzeskonform!“ Nach zwei Stunden Gespräch, in dem Babiš nicht ein Glas Wasser angerührt hat, hat er es plötzlich eilig. In Tschechien warten schon die nächsten Termine auf den Vizepremier. Und die Autofahrt nach Prag wird einiges an Zeit kosten. Denn die Autobahnzufahrt nach Wittenberg, die Babiš gerne gezahlt hätte, hängt noch immer im Planfeststellungsverfahren, das wohl bis 2021 laufen wird. Alles, das muss auch der Milliardär Andrej Babiš feststellen, lässt sich in der Bundesrepublik eben doch nicht so einfach kaufen.

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