Kampf gegen Korruption Diese Fehler machen Mittelständler

Compliance-Systeme sollen Betrug und Korruption verhindern. Doch viele Mittelständler halten sie für unnötig. Fünf typische Fehler.

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Quelle: Getty Images

Ein Mittelständler entdeckt, dass ein Manager in Belgien sein Luxusauto und seine Putzfrau auf Firmenkosten finanziert. Ein Fotograf beschenkt einen Schulleiter und gerät dadurch ins Visier der Staatsanwaltschaft. Ein Hersteller von Feuerwehrwagen beteiligt sich an einem Kartell – und geht an der Strafe zugrunde.

Solche Geschichten passen nicht zum sauberen Ruf des deutschen Mittelstands. Mit Betrugsskandalen oder Korruptionsaffären machten vor allem Großkonzerne wie VW und Siemens Schlagzeilen. Das Thema Compliance, also das Hinwirken darauf, dass Unternehmen rechtmäßig und regeltreu wirtschaften, scheint eher eines für Konzerne. Im Mittelstand hingegen herrscht das Bild des ehrbaren Kaufmanns. Und der spürt nun mal keinen Verdachtsfällen nach, klärt weder Verbrechen auf, noch kontrolliert oder sanktioniert er seine Mitarbeiter.

„Der Mittelstand unterschätzt Compliance-Risiken“, warnt Günter Degitz, Experte der Unternehmensberatung AlixPartners. Viele mittelständische Unternehmer sähen nur wenig Nutzen darin, Regeln zum rechtmäßigen Verhalten aufzustellen und durchzusetzen. Auch die mit dem Aufbau von Compliance-Systemen verbundenen Kosten schreckten sie ab. Stattdessen vertrauen sie auf die Integrität der eigenen Mitarbeiter oder schlicht auf das mangelnde Interesse der Behörden.

Ein Fehler – auch Mittelständlern drohen hohe Strafen, wenn sie Regeln verletzen. Das Bundeskartellamt etwa geht hart gegen Preisabsprachen vor. Bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes müssen Unternehmen bei Verstößen als Bußgeld zahlen. Allein 2015 hat das Bundeskartellamt 208 Millionen Euro Strafgelder gegen 45 Unternehmen verhängt.

Das Amt verfolgt auch anonyme Tipps. „Hinweise auf Kartellverstöße“, erbittet die Behörde in großen Buchstaben schon auf der Startseite ihrer Homepage. Verärgerte Geschäftspartner und beleidigte Angestellte können hier minutenschnell auf Vergehen eines Unternehmens hinweisen. Eine Kronzeugenregelung sorgt für zusätzlichen Druck. Ein Unternehmen, das eine Preisabsprache zuerst zugibt und aufklärt, muss keine Strafe zahlen. Kronzeugen müssen, um straffrei zu bleiben, auch Vergehen in Unternehmensbereichen aufdecken, die von aktuellen Ermittlungen nicht betroffen sind. Das kann auch Kunden und Lieferanten mit in den Strudel ziehen.

Rekordstrafen: Durch das Bundeskartellamt verhängte Bußgelder. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Wer erwischt wird, den trifft es gleich doppelt: Zu der Strafe kommen oft noch Forderungen der Kunden. So zahlten die Schuldigen im Zuckerkartell – Nordzucker, Südzucker und Pfeifer & Langen – 280 Millionen Euro Strafe und müssen sich nun noch mit 35 Lebensmittelherstellern vor Gericht um Schadensersatz streiten.

Entschlossen gegen illegales Verhalten

Auch viele Staatsanwälte gehen entschlossen gegen illegales Verhalten vor. Wenn sie ein Unternehmen im Visier haben, müssen auch dessen Kunden, Lieferanten und Konkurrenten fürchten. „Da reicht eine merkwürdige Rechnung, die bei einem Kunden gefunden wird. Und schon steht die Polizei in voller Montur und voll bewaffnet vor der Tür“, sagt Christoph Hauschka, Jurist und Gründer des Netzwerks Compliance.

Wenn ein Skandal auffliegt, sind die Folgen oft unkontrollierbar: Kunden springen ab, Mitarbeiter sind verunsichert, langwierige Prozesse sind teuer und lähmend. Die Situation kann schnell existenzbedrohend werden. Doch selbst diese dramatischen Perspektiven schützen Mittelständler nicht vor fünf typischen Denkfehlern.

Die fünf typischen Denkfehler

1. "Ich kenne mein Unternehmen doch"

Vor allem in Unternehmen, in denen der Chef zugleich der Eigentümer ist, gibt es viele Vorbehalte gegenüber Compliance-Systemen. „Viele Chefs sehen darin einen Misstrauensbeweis gegenüber ihren Mitarbeitern“, sagt Stefan Behringer, Professor am Institut für Compliance im Mittelstand (ICM) an der privaten Nordakademie in Elmshorn bei Hamburg. „Dabei verlangen viele Mitarbeiter nach Orientierung.“

Andere Geschäftsführer halten es schlicht für unnötig, ein Regel- und Kontrollsystem zu errichten. Schließlich, so meinen sie, kennen sie ihr Unternehmen in- und auswendig. Doch mit jedem Expansionsschritt verliert dieser Satz an Wahrheit. Wer Unternehmen zukauft oder sich für ein Geschäft im Ausland neue Partner sucht, verliert damit automatisch ein Stück Kontrolle. „In der Unternehmenszentrale ist dann alles wie immer. Aber das gilt eben nicht für das ganze Unternehmen“, warnt Berater Degitz.

Was das heißt, bekam das Thüringer Unternehmen Funkwerk zu spüren. In Algerien witterte der Funk- und Sicherheitstechnikanbieter das große Geschäft – und verstrickte sich in einen großen Wirtschaftsskandal.

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2. "Da läuft's so gut, da ändern wir nichts"

Oft lassen sich die Chefs vom Erfolg der Mitarbeiter blenden. Dabei wäre ein kritischer zweiter Blick gerade bei herausragenden Ergebnissen oft angebracht. Doch in der Realität „ zeichnet der erfolgreiche Geschäftsführer seine Spesenrechnungen immer selbst ab, und niemand kontrolliert das“, sagt Berater Degitz. Fehlende Kontrollen seien eine Einladung zum Missbrauch. „Das ist wie mit den Schwarzfahrern in der Straßenbahn“, sagt Degitz.

So musste ein Unternehmer feststellen, dass sich sein Geschäftsführer in Belgien über Jahre aus der Firmenkasse bedient hatte. Der Manager hatte sich nicht nur einen zweiten Luxusdienstwagen und ein höheres Gehalt genehmigt, sondern auch Möbel für die eigene Wohnung auf Rechnung des Unternehmens gekauft. Die ließ er auch noch von der Reinigungskraft des Unternehmens putzen. Verdacht schöpfte niemand. Seine Zahlen stimmten schließlich.

Entdeckt wurde der Fall erst, als das Unternehmen ein Compliance-System einrichtete und zum ersten Mal alle Auslandsaktivitäten systematisch prüfte. Der Manager in Belgien hatte 1,2 Millionen Euro Schaden verursacht. Mit Rechnungen der Anwälte und Reisekosten, die für die Aufarbeitung des Falls nötig waren, stieg die Summe auf 1,8 Millionen Euro.

„Das ist der typische Fehler“, sagt Elmar Schwager, Geschäftsführer der Beratung The AuditFactory in Bietigheim-Bissingen, der den Fall betreute. „Man verlässt sich auf den Erfolg des Managers und kontrolliert diesen nicht richtig.“

3. "Wir sind so klein, das fällt keinem auf"

60 Prozent der deutschen Manager sind der Meinung, dass die deutschen Behörden Fälle von Bestechung oder Korruption entschlossen verfolgen. Doch die Verantwortlichen kleinerer Unternehmen können sich oft nicht vorstellen, dass auch sie zur Zielscheibe von Ermittlungen werden können. Dabei kommen Wirtschaftsverbrechen bei Mittelständlern und Selbstständigen genauso häufig vor wie bei börsennotierten Konzernen.

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Besonders weit reicht der Aufklärungsdrang der Staatsanwaltschaft Kiel. Sie ermittelt derzeit wegen Korruption gegen einen Schulfotografen, der Mitarbeitern von Kindergärten und Schulen Spenden oder Geschenke angeboten hatte, um im Gegenzug einen Auftrag zu bekommen. Geschenke vor Abschluss eines Vertrags gelten jedoch schnell als Bestechung. Nach Angaben des Bundeskriminalamts gibt es bundesweit mehr als 1000 Verdachtsfälle gegen Schulfotografen, auch in Nordrhein-Westfalen und Bayern.

Offenheit ist eine der wirksamsten Vorsorgemaßnahmen

Oft ist die Versuchung für kleinere Unternehmen sogar besonders groß. Das gilt zum Beispiel für Preisabsprachen: „Die sind für kleine Unternehmen, die auch sehr spezielle Produkte anbieten, viel einfacher. Da kennt man jeden Wettbewerber noch persönlich“, sagt Berater Degitz.

Bestechliches Deutschland: Durch Korruption verursachte Schäden. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Das erkannten auch drei Schornsteinfeger in Nordrhein-Westfalen: Als 2013 die feste Zuordnung von Kehrbezirken für Schornsteinfeger aufgehoben wurde, verabredeten die drei Konkurrenten einfach einen Ehrenkodex. Trotz Liberalisierung versprachen sie sich gegenseitig, nicht im Kehrbezirk des anderen zu arbeiten. Am Landeskartellamt jedoch ging diese Absprache nicht vorbei. 20.000 Euro Strafe verhängte die Behörde gegen die Schornsteinfeger.

4. "Hinweisgeber sind Nestbeschmutzer"

Mittelständische Unternehmer sind oft starke Persönlichkeiten. Das ist gut so, birgt aber auch eine Gefahr: Sie regieren autoritär und entscheiden alle wichtige Fragen selbst. Diskussionen oder gar Widerspruch sind unerwünscht. Ein solcher Führungsstil setzt sich auf den Ebenen unter ihnen fort.

Dabei ist ein offenes Klima eine der wirksamsten Vorsorgemaßnahmen gegen unredliches Verhalten. Die meisten Hinweise auf Fehlverhalten stammen von den eigenen Mitarbeitern. Doch in vielen Unternehmen müssen Angestellte Angst vor negativen Folgen haben, wenn sie Missstände bei ihren Vorgesetzten anzeigen. Das gilt vor allem für Mittelständler, bei denen die persönlichen Beziehungen zum Unternehmen oft sehr eng sind. Statt für ihre Courage belohnt zu werden, gelten Hinweisgeber als Nestbeschmutzer. Klare Ansagen und konsequentes Vorgehen gegen Fehlverhalten sind deshalb unabdingbar.

Dafür muss der Chef selbst ein gutes Vorbild abgeben. Wenn er es selbst mit den Regeln nicht so genau nimmt, sind Verstöße zwangsläufig die Folge. So verkündete Eginhard Vietz, mittlerweile verstorbener Inhaber des Rohrleitungsbauers Vietz, öffentlich in einem Zeitungsinterview, dass er regelmäßig besteche. „Weil es nun einmal Länder gibt, in denen es nicht anders geht. In Algerien, Ägypten oder Nigeria kommen Sie ohne solche Zahlungen einfach nicht durch“, sagte Vietz. Die Aussage kostete ihn 50.000 Euro Strafe, wonach die Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen einstellte.

Schwierig ist es auch, wenn Chefs zu viel Druck machen und kaum erzielbare Resultate einfordern. Wenn das Ziel wichtiger als der Weg ist, greifen Mitarbeiter schnell zu fragwürdigen Mitteln. Das gilt besonders in Krisenzeiten: In einer Umfrage der Unternehmensberatung EY gab immerhin jeder fünfte deutsche Manager an, dass er auch bestechen und Geschenke spendieren würde, um sein Unternehmen vor einem Abschwung zu bewahren.

5. "Compliance kostet zu viel"

Wer an Korruption denkt, denkt immer noch an Siemens. Vor zehn Jahren deckten Staatsanwälte ein umfassendes System von Schmiergeldzahlungen bei den Münchnern auf, das den Konzern insgesamt fast drei Milliarden Euro kostete. Als Lehre daraus baute der Konzern ein umfassendes Kontrollsystem auf. Zwischenzeitlich arbeiteten in der Compliance-Abteilung rund 600 Mitarbeiter. „Wir haben fast unser eigenes FBI“, sagte Siemens-Vorstand Peter Solmssen damals.

Compliance wird zum Wettbewerbsvorteil

Das Bild prägt die Vorstellung vieler mittelständischer Geschäftsführer und Eigentümer. Sie schrecken schon deshalb davor zurück, selbst ein Compliance-System zu entwickeln, weil sie den Aufwand dafür maßlos überschätzen. Dabei reicht mitunter schon ein Teilzeitjob. Meist sind es dann die Hausjuristen, die interne Revision oder auch die Geschäftsführer, die sich um die Regeltreue kümmern.

Eine Faustregel, wie viele Compliance-Mitarbeiter nötig sind, gibt es nicht. „Das hängt auch von dem individuellen Risiko ab, also davon, in welcher Branche ein Unternehmen tätig ist, in welchen Ländern, oder ob es von öffentlichen Aufträgen abhängig ist“, sagt Schwager von The AuditFactory, der Mittelständler berät. Die Einführung eines Compliance-Systems koste ein Unternehmen mit 200 bis 300 Mitarbeitern zwischen 100.000 und 250.000 Euro, sagt er. Die laufenden Kosten sind deutlich günstiger. „Mein kleinster Mandant hat 130 Mitarbeiter“, sagt Schwager. Bei ihm lägen die Kosten bei knapp 40.000 Euro im Jahr.

Existenzbedrohend

Ein Skandal dagegen kann ein Unternehmen Millionen kosten– oder gleich die Existenz. Für Korruption können Richter Bußgelder von bis zu zehn Millionen Euro verhängen. Und Justizminister Heiko Maß will noch höhere Strafen: „Es muss höhere und wirksame Sanktionen geben“, sagte er kürzlich. Wie in Kartellfällen könnten sich dann die Bußgelder zukünftig am Umsatz des Unternehmens orientieren.

Auch die Strafen des Bundeskartellamts haben schon Unternehmen in die Insolvenz geführt, wie etwa den Feuerwehrautobauer Ziegler. Das Unternehmen aus dem schwäbischen Gingen hatte Schwierigkeiten, eine Kartellstrafe von acht Millionen Euro aufzutreiben. Gleichzeitig brachen die Aufträge weg, das Unternehmen stand vor dem Aus. Erst nach zwei Jahren fand der Insolvenzverwalter mit der chinesischen CIMC Gruppe einen neuen Käufer für das Traditionsunternehmen.

In manchen Fällen reichen schon Ermittlungen, um das Ende eines Unternehmens einzuleiten. So im Fall des Bautechnikkonzerns Imtech: Mehrere Staatsanwälte ermittelten gegen das Unternehmen, wegen Verdachts auf unerlaubte Absprachen, Korruption und Betrug. Ein rechtkräftiges Urteil gibt es noch nicht. Doch die zweifelhafte Firmenkultur führte das Unternehmen in die Insolvenz.

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