Aachen, Karlsruhe, Darmstadt, München – angesichts solcher Alternativen sehen karriereorientierte Ingenieur- und Informatikstudenten Verl oder Gütersloh eher nicht so weit vorne. Genau das ist eines der größten Probleme der Region: Nicht nur, dass sie vermeintlich fern von Top-Unis und Partyzonen liegt, erschwert den Kampf um kundige Köpfe. Zugleich rangeln in der dünn besiedelten Region besonders viele Unternehmen um wissensdurstigen Nachwuchs. Sie setzen deshalb auf die naheliegende Lösung: Die Betriebe verzahnen Theorie und Praxis, indem sie mit den Hochschulen vor Ort eng kooperieren. Für eher anwendungsorientierte als grundlagenforschende Ingenieure ist das ein wirkungsvoller Köder.
Das weiß der Unternehmer und Physiker Hans Beckhoff nur zu gut. Er nutzt die Vernetzung nicht nur fürs eigene Unternehmen mit 2800 Mitarbeitern weltweit und rund 510 Millionen Euro Umsatz. Er investiert auch seine freie Zeit, um das Thema gemeinsam mit Miele-Chef Eduard Sailer als stellvertretende Vorsitzende des Clusterboards voranzutreiben. Dass auch der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer, Reinhold Festge, samt Firma in Oelde nahezu um die Ecke residiert, schadet dabei nicht.
Beckhoffs Verler Unternehmen Beckhoff Automation, Spezialist für Industrie 4.0, forciert und finanziert duale Studiengänge. 90 sogenannte Beckhoff-Studierende bekommen eine Ingenieurausbildung in Mechatronik/Automatisierung und Wirtschaftsingenieurwesen an der Fachhochschule Bielefeld. Während der 3,5 Jahre Studienzeit zahlt Beckhoff den Lohn für Azubis der Metall- und Elektroindustrie. Eine kommode Lage für die jungen Leute: Ihr Studium ist finanziert, der Anschlussjob so gut wie sicher. Das bieten Aachen, Karlsruhe oder Darmstadt nicht.
Die attraktivsten Regionen für Fachkräfte
Laut des aktuellen Fachkräfte-Atlas der Jobbörse Stepstone würden 44 Prozent sofort ihre Koffer packen und nach Bayern ziehen, wenn sie dort eine geeignete Stelle finden.
Nord und süd: Jeweils 38 Prozent nannten Baden-Württemberg beziehungsweise den Stadtstaat Hamburg attraktive Regionen für Fachkräfte.
Ein Drittel möchte in Nordrhein-Westfalen arbeiten.
Berlin mag sexy sein. Als Fachkräfteregion ist die Heuptstadt jedoch nur für 28 Prozent der Befragten attraktiv.
Noch weniger, nämlich 21 Prozent, können sich vorstellen, zum Arbeiten nach Hessen zu ziehen.
20 Prozent halten Niedersachsen für eine attraktive Fachkräfte-Region.
16 Prozent wollen nach Rheinland-Pfalz.
13 Prozent zieht es nach Schleswig-Holstein.
Nur elf Prozent wollen in Bremen leben und arbeiten.
Neun Prozent könnten es sich vorstellen, für einen Job nach Sachsen zu ziehen.
Jeweils sieben Prozent nannten Brandenburg beziehungsweise Mecklenburg-Vorpommern eine attraktive Fachkräfte-Region.
Sechs Prozent würden nach Thüringen ziehen.
Ins Saarland wollen fünf Prozent.
Vier Prozent könnten sihc vorstellen, nach Sachsen-Anhalt zu ziehen.
Der Physiker Beckhoff, der Tochter und Sohn schon ins Unternehmen holt, sagt: „Die Absolventen sind stärker als andere Studenten auf unsere Fachgebiete orientiert. Ihre Identifikation mit dem Unternehmen ist höher, sie bleiben länger.“ Weiterer Vorteil: „Unsere Kunden haben damit auf viele Jahre denselben Ansprechpartner.“ Rund ein Drittel seines Personalbedarfs deckt Beckhoff so.
Alles gut also? Beckhoff sieht noch Arbeit für sich: „Für die Weiterbildung unserer Mitarbeiter haben wir kein so ausgefeiltes System. Bisher reagieren wir auf individuellen Bedarf. Eigentlich könnten wir das besser machen.“