Auch in Frankreich gibt es sie: Traditionsreiche mittelständische Familienunternehmen, die in der Nische führend sind und ebenfalls in der Provinz sitzen – auch wenn die in Frankreich gleich jenseits der Pariser Ringautobahn beginnt.
Dazu gehört zum Beispiel A. Raymond aus Grenoble. Ohne die Klammern, Muttern, Hülsen und Nieten des Unternehmens würden Autos in aller Welt einfach auseinanderfallen. Das „famose Zartgemüse aus der Dose“ von Bonduelle stammt aus Villeneuve-d’Ascq bei Lille. Und die berühmten Feuerzeuge zum Aufschnappen von S.T. Dupont entstehen in einer Talfurche zwischen Annecy und Albertville nahe der Schweizer Grenze.
Die Mittelständler beschäftigen knapp ein Viertel der französischen Arbeitnehmer. Acht von zehn Mittelständlern sind seit mindestens drei Generationen in Familienbesitz. Doch vor allem drei Aspekte unterscheiden sie von ihren deutschen Pendants: „Wir sind weniger, kleiner und unbekannter,“ sagt Elizabeth Ducottet. Die 71-Jährige ist in fünfter Generation Chefin von Thuasne aus Saint Etienne, einem Weltmarktführer für orthopädische Hilfsmittel und Kompressionsstrümpfe. Sie ist gleichzeitig Ko-Präsidentin der Interessengemeinschaft für Mittelstandsunternehmen (METI).
Den Status als Mittelständler gibt es in Frankreich erst seit 2008. Er umfasst Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 50 Millionen und 1,5 Milliarden Euro beziehungsweise 250 bis 5000 Mitarbeitern. Vorher wurden sie hilfsweise als große Kleinunternehmen bezeichnet und von der Politik in Paris weder ernst genommen noch gefördert.
Dieses Desinteresse ist historisch bedingt. Weil Frankreich seit den Tagen des Sonnenkönigs Ludwig XIV. zentralistisch organisiert ist und Paris nach 1945 nicht zerstört und geteilt war, sitzen alle Weltkonzerne in der Hauptstadt. Sogar der längst zur Konzerngröße gewachsene Reifenhersteller Michelin aus Clermont-Ferrand beschäftigt in Paris 80 Mitarbeiter, um nah an den Hebeln der Macht zu sein.
Worauf kleine Mittelständler beim Gang ins Ausland achten sollten
Jeder träumt von China - aber nicht für jedes Produkt passt der Massenmarkt, den die Deutschen gern bedienen. Oft reicht es, Nischenprodukte weiter zu exportieren. Konzerne müssen Trends mitgehen, die Kleinen nicht zwingend.
Gewerbeparks aus der zweiten Reihe kämpfen oft um Investoren, indem sie beim Papierkram helfen und Steuern senken. Wer vergleicht, spart Geld.
Auf Konferenzen treffen Unternehmer auf Praktiker mit Erfahrung in fremden Märkten. Ihr Wissen hilft, die Chancen und Risiken des Markteintritts richtig einzuschätzen.
Selbst wenn die Marktaussichten noch so rosig sind: Unvorhersehbare Kosten sind bei der Expansion ins Ausland ganz normal und sollten eingeplant werden.
Jeder Gang ins Ausland braucht Planung. Man muss Leute finden, Informationen sammeln, Papierkram bewältigen - und sollte sich Zeit nehmen, auch wenn die Konkurrenz schon da ist.
Auch Ducottet pendelt zwischen dem Firmensitz etwa 50 Kilometer südwestlich von Lyon und Paris, wenn sie bei Politikern etwas erreichen will. Auf den deutschen Mittelstand blicken die mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid. Doch das hat ihre Lage bisher nicht verbessert. Ducottet und ihre Mitstreiter kämpfen vor allem gegen die steuerliche Benachteiligung. Im Gegensatz zu Großkonzernen haben Mittelständler meist nicht die Möglichkeit, die Steuerlast auf verschiedene Standorte im In- und Ausland zu verteilen. Und die im Herbst verabschiedete Unternehmenssteuersenkung von 33 auf 28 Prozent gilt zunächst nur für kleine Firmen mit bis zu 75.000 Euro Gewinn, ehe sie bis 2020 auf alle Unternehmen ausgeweitet werden soll.
„Das bremst diejenigen Firmen aus, die heute an der Schwelle zum Mittelständler stehen,“ sagt auch Thibault Lanxade, Vize-Präsident und Mittelstandsbeauftragter des Unternehmensverbands Medef. „Es liegt aber auch an den Unternehmern, ihre Scheu vor fremden Sprachen und Märkten zu überwinden und das Wachstum im Export zu suchen.“ Zu viele hätten es sich in der Vergangenheit auf dem Heimatmarkt bequem gemacht und allenfalls Geschäfte in ehemaligen französischen Kolonien gesucht.
Die innovativsten deutschen Mittelständler
Lamilux
Hauptsitz: Rehau (BY)
Produkt: Lichttechnologie
Umsatz: 187 Mio Euro
Innovationsscore: 169
Windmöller Holding
Hauptsitz: Augustdorf (NRW)
Produkt: Bodenbeläge
Umsatz: 120 Mio Euro
Innovationsscore: 170
Maja-Maschinenfabrik
Hauptsitz: Kehl (BW)
Produkt: Lebensmittelverarbeitung
Umsatz: 23 Mio Euro
Innovationsscore: 171
Mekra Lang
Hauptsitz: Ergersheim (BY)
Produkt: Spiegel für Nutzfahrzeuge
Umsatz: 260 Mio Euro
Innovationsscore: 172
Brandt Zwieback
Hauptsitz: Hagen (NRW)
Produkt: Zwieback
Umsatz: 189 Mio Euro
Innovationsscore: 175
Edelmann
Hauptsitz: Heidenheim (BW)
Produkt: Verpackungslösungen
Umsatz: 235 Mio Euro
Innovationsscore: 177
Insiders Technologies
Hauptsitz: Kaiserslautern (RP)
Produkt: Software
Umsatz: 18 Mio Euro
Innovationsscore: 178
Arburg
Hauptsitz: Loßburg (BW)
Produkt: Spritzgießmaschinen
Umsatz: 548 Mio Euro
Innovationsscore: 181
Fischerwerke
Hauptsitz: Waldachtal (BW)
Produkt: Befestigungssysteme
Umsatz: 625 Mio Euro
Innovationsscore: 185
Aquatherm
Hauptsitz: Attendorn (NRW)
Produkt: Rohrleitungssysteme
Umsatz: 91 Mio Euro
Innovationsscore: 182
C. Josef Lamy
Hauptsitz: Heidelberg (BW)
Produkt: Schreibgeräte
Umsatz: 71 Mio Euro
Innovationsscore: 186
Leica Camera
Hauptsitz: Wetzlar (HE)
Produkt: Kameras
Umsatz: 276 Mio Euro
Innovationsscore: 189
Gebr. Kemper
Hauptsitz: Olpe (NRW)
Produkt: Gebäudetechnik
Umsatz: 270 Mio Euro
Innovationsscore: 190
Bahlsen
Hauptsitz: Hannover (NI)
Produkt: Süßgebäck
Umsatz: 515 Mio. Euro
Innovationsscore: 194
Rimowa
Hauptsitz: Köln (NRW)
Produkt: Koffer
Umsatz: 273 Mio. Euro
Innovationsscore: 197
Wer zu Deutschlands innovativsten Mittelständlern gehören will, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen. Die Münchner Unternehmensberatung Munich Strategy Group (MSG) wertete im Auftrag der WirtschaftsWoche zunächst die Daten von 3500 deutschen Unternehmen aus, die zwischen zehn Millionen und einer Milliarde Euro Umsatz erwirtschaften: Sie analysierten Jahresabschlüsse und Präsentationen, sprachen mit Kunden, Branchenexperten, Geschäftsführern, Inhabern und Beiräten. Danach nahm MSG 400 Unternehmen in die engere Wahl. Für jedes einzelne errechneten die Berater einen eigenen Innovationsscore. „Dabei achten wir darauf, dass sich das Unternehmen durch ständige Neuerungen auszeichnet, von Wettbewerbern als innovativ angesehen wird und eine ideenfördernde Kultur etabliert hat“, erklärt MSG-Gründer und Studienleiter Sebastian Theopold die Kriterien. Zudem flossen auch wirtschaftliche Indikatoren wie Umsatzwachstum und Ertragskraft in die Bewertung ein. Theopolds Fazit: „Wer innovativ ist, wächst auch schneller und erzielt nachhaltigere Erträge.“ Die MSG-Berater analysierten bereits um dritten Mal für die WirtschaftsWoche die Innovationskraft deutscher Mittelständler (Heft 15/2014 und Heft 42/2015). Während beim ersten Ranking noch Maschinenbauer dominierten, sind nun mehr Konsumgüterhersteller unter den Siegern. Die meisten innovativen Unternehmen kommen aus Baden-Württemberg. Den ersten Platz belegt der Kölner Kofferhersteller Rimowa. Rang zwei nimmt der Keksbäcker Bahlsen ein. „Die beiden Vertreter der ,Old Economy’ sind Vorreiter bei der Digitalisierung“, sagt Studienleiter Theopold.
Dabei würden viele Franzosen inzwischen gerne bei einem Mittelständler in der Provinz arbeiten. Paris erschöpft sie nämlich zunehmend mit schlechter Luft, langen Staus im Berufsverkehr und exorbitanten Mieten. Laut einer aktuellen Umfrage des Führungskräfteportals Cadremploi unter knapp 3700 Befragten wollen 80 Prozent die Hauptstadt am liebsten verlassen – 56 Prozent würden dafür auch Einkommenseinbußen in Kauf nehmen.
In Großbritannien hingegen wirkt der Zauber der „Pampa-Formel“ nicht: Der Großraum London und der Südosten Englands ist nicht nur die am dichtesten besiedelte, sondern auch die wirtschaftlich wichtigste Region. Das gilt nicht nur für die großen Konzerne, sondern auch für den Mittelstand.
Britische Regierungen haben das in der Vergangenheit immer wieder gerne beklagt, geändert hat sich bislang aber nichts. Nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums befinden sich in London eine Million und im Südosten Englands weitere 900.000 der Unternehmen im Privatbesitz, dagegen nur 325.000 in Schottland, 222.000 in Wales und 124.000 in Nordirland.
Für die Konzentration auf London und den Südosten gibt es vor allem historische Gründe: Im Gegensatz zu Deutschland war Großbritannien immer schon ein zentralistisches Land, daher wirkte die Hauptstadt London wie ein Magnet. Außerdem sind im Süden und Südosten des Landes die Transportverbindungen besser ausgebaut und der europäische Kontinent näher.
Das Phänomen regionaler Weltmarktführer ist in Großbritannien nahezu unbekannt. Dafür gibt es gewisse Exzellenz-Cluster – Fintech in London, Medizintechnologie in der Nähe von Manchester, Computerhersteller im schottischen Dundee.
Die drei größten Unterschiede zu Deutschland? Britische Mittelständler sind meist nicht im Familienbesitz und daher weniger langfristig orientiert. Außerdem investieren sie weniger in Forschung und Entwicklung, deshalb sind sie weniger innovativ“. Und: Sie sind weniger spezialisiert und exportorientiert: „Da könnten sie von den Deutschen durchaus etwas lernen“, sagt Tom Thackray, Direktor des britischen Industrieverbandes CBI.
China
Das gilt bisweilen auch für China. Unternehmen in China siedeln häufig dort, wo der Gründer ein Netzwerk hat. Verbindungen zum Bürgermeister oder der Provinzregierung helfen, Genehmigungen zu bekommen. Staatliche Förderungen werden eher an Bekanntschaften aus der Schulzeit, dem Studium und innerhalb der Familie vergeben.
So sitzt die Handelsplattform Alibaba von Gründer Jack Ma in der Heimatstadt Hangzhou. Das Unternehmen betreibt mit 400 Millionen Nutzern den größten Bezahldienst der Welt. Gründer von Tencent Ma Huateng hat in Shenzhen studiert, wo das Unternehmen heute sitzt. Die firmeneigene App WeChat hat über 840 Millionen Nutzer weltweit.
Ein Magnet für neugegründete Unternehmen und expandierenden Firmen sind Sonderwirtschaftszonen. Unter dem Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping bildeten sie die Basis für die wirtschaftliche Öffnung des Landes in den Achtzigerjahren. Bis heute sind die Zonen Versuchslabor für Wirtschaftsreformen aus Peking sowie für Lokalregierungen, die damit die regionale Wirtschaft ankurbeln wollen. Sie werben vor allem mit weniger Bürokratie, günstigen Grundstücken und Steuerbefreiungen.
Die erste und wohl erfolgreichste Sonderwirtschaftszone des Landes ist Shenzhen. Sie wurde vor knapp 40 Jahren in dem damals noch kleinen Fischerdorf nördlich von Hongkong gegründet. Heute leben rund 12 Millionen Menschen in der Metropole. Viele Geräte Made in China stammen hierher. Shenzhen gilt als die Hardware-Hauptstadt der Welt und hat mittlerweile das höchste Pro-Kopf-Einkommen des Landes. Die Stadt zieht durch ihre Nähe zu den Fabriken nicht nur Hersteller aus der ganzen Welt an, sondern auch Gründer und Unternehmer. In Shenzhen sitzen neben dem Riesen Tencent auch Dajiang Innovations, der Marktführer für Drohnen mit einem Marktanteil von 70 Prozent, und der Telekommunikationsausrüster Huawei.
Der Standort verleiht einem Unternehmen in China Gesicht. Je teurer der Standort, desto wichtiger die Firma. Ein großzügiges Büro hilft, neue Investoren zu gewinnen und Geldgeber zu beeindrucken. Die Unternehmen ziehen ab einer gewissen Größe häufig in die namenhaften Metropolen. Die Mietpreise in Shanghai, Shenzhen und Peking steigen aber seit Jahren jährlich um bis zu über 100 Prozent pro Jahr. Die Mitarbeiter wiederum brauchen teils mehrere Stunden, um durch den dichten Verkehr bis ins Stadtzentrum zu pendeln. Die Lebenshaltungskosten sind sehr viel höher und die Luft schlechter als auf dem Land. Deshalb verlegen zwar viele Unternehmen ihren Hauptsitz dorthin, bleiben aber mit ihrer Produktion auf der grünen Wiese.
2006 hat China ein neues Viertel für die Firmenzentralen in Peking gegründet. 57 der 500 größten Unternehmen weltweit zogen damals mit ihrer chinesischen Vertretung in den Zhongguancun Science and Technology Park im Nordwesten der Stadt. Dort drängen sich heute Start-ups und Accelerators zwischen den Klingelschildern der IT-Riesen wie Sina, Youku Tudou und Google. Heute nennt man den Stadtteil kurz das chinesische Silicon Valley.