Nachfolge im Betrieb Schlechte Karten für das Fleischer-Handwerk

Immer mehr Schlachtereinen schließen, weil ein Nachfolger fehlt. Eine Ausbildung im Fleischereihandwerk möchten kaum noch junge Leute machen. Die Lücke schließen andere Betriebe, die dafür immer größer werden.

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Die Zahl der Fleisch-Betriebe und der Mitarbeiter in der Branche sinkt bundesweit – dabei geht es ihr wirtschaftlich nicht schlecht. Quelle: dpa

Osnabrück In den vergangenen Wochen sind auf dem Osnabrücker Wochenmarkt die Warteschlangen am Fleischer-Wagen von Clemens Wessel immer länger geworden. Lamm war oft morgens um 10 Uhr schon aus. Wenig später lag auch von Geflügel, Schwein und Rind nur noch wenig in der Kühlung. „Hamsterkäufe“, nennen Clemens Wessel und seine Mitarbeiterinnen das.

Seit bekannt war, dass der Fleischermeister aufhört, ging das so. Nach mehr als 50 Jahren Berufstätigkeit sollte Schluss sein. „Mit 70 will ich nun in Rente gehen“, sagt Wessel. Lange habe er nach einem Nachfolger für seinen erfolgreichen Betrieb gesucht, gefunden hat er keinen – seine vier Mitarbeiterinnen allerdings haben problemlos neue Jobs bekommen.

Das ist kein Einzelfall. „Die Mehrheit der Betriebe schließt, weil es keinen Nachfolger gibt. Dabei geht es ihnen wirtschaftlich nicht schlecht. Die Betriebe, die weitermachen, vergrößern sich deswegen“, sagt Gero Jentzsch, der Sprecher des Deutschen Fleischer-Verbandes. Es ist eine Entwicklung, die sich seit einigen Jahren zeigt. Bundesweit ist die Zahl der Betriebe laut aktuellem Geschäftsbericht des Fleischer-Verbandes von 17.600 im Jahr 2005 auf 13.100 im Jahr 2015 zurückgegangen. Reduziert hat sich zudem die Zahl der Mitarbeiter im gleichen Zeitraum von 160.000 um 20.000, während der durchschnittliche Umsatz pro Betrieb von 870.000 Euro auf 1.231.000 Euro stieg.

Es gibt immer weniger Fachpersonal – denn die Zahl der Auszubildenden geht seit Jahren zurück. Ende der 1990er Jahre gab es bundesweit noch gut 10.000 Auszubildende zum Fleischer, im Jahr 2015 waren es nur noch 3170. Wobei berücksichtigt werden muss, dass sich die Ausbildung im Laufe der Jahre verändert hat. Während es bis in die 2000er Jahre hinein eine einheitliche Ausbildung gab, wurde sie in den Jahren 2005 und 2006 gesplittet.

Seither gibt es die Ausbildung zum Fleischerfachverkäufer und die zum Fleischer, die wiederum in fünf Fachrichtungen gegliedert ist. Ab dem zweiten Lehrjahr können sich junge Leute beispielsweise auf das Verpacken, das Herstellen küchenfertiger Feinkost oder auch das Schlachten spezialisieren. „Sie müssen als Fleischer das Schlachten heute nicht mehr lernen“, sagt Jentzsch. Eine Entwicklung, die Clemens Wessel bemängelt. „Früher verfolgte ein Fleischer den Weg vom Stall bis an die Verkaufstheke“, sagt der Fleischermeister, der es selbst so gehandhabt hat.


Die Zahl der kleinen Betriebe geht zurück

Heute sei das anders. Die gesplittete Ausbildung sei mit dieser Perspektive auch ein Grund dafür, dass die Zahl der kleinen Schlachtbetriebe zurückgeht. „Körperlich ist das längst nicht mehr so anstrengend wie 1960 als ich angefangen habe“, sagt Wessel, der wenig später den elterlichen Betrieb übernommen hatte. Als das Geschäft wegen des billigen Fleisches aus den Supermärkten in den 1970er Jahren schlecht lief, kaufte sich Wessel einen Schlachtwagen für Hühner. „Ab 1985 habe ich dann wieder in meinem alten Beruf gearbeitet und bin auf Biofleisch umgestiegen“, sagt er. Seither schlachtet er Fleisch anderer Bauern und verkauft es auf Märkten.

Einmal pro Woche hatte er Verkaufstag auf seinem Hof in Belm bei Osnabrück. „Mit klassischen Handwerksberufen haben Sie schlechte Karten, sie gelten als altmodisch“, meint Gero Jentzsch, der den Rückgang der Azubis aber auch mit der Entwicklung der Alterspyramide begründet. „Es gibt immer weniger Jugendliche, also auch immer weniger Menschen, die eine Ausbildung machen.“ Hinzu kommt die Tendenz, dass immer mehr Jugendliche sich für ein Studium entscheiden und keine Ausbildung mehr machen möchten. „Ganz Deutschland hat einen Nachwuchsmangel, selbst die großen und beliebten Unternehmen“, sagt Jentzsch mit Blick auf Ausbildungszahlen.

Beobachtet hat Clemens Wessel auch etwas anderes. „Die Arbeit eines Fleischers wird heute weniger wertgeschätzt“, glaubt er. Wie kann das sein, gibt es doch inzwischen einen Trend, Handgefertigtes wert zu schätzen, beispielsweise Bier aus kleinen Brauereien zu kaufen oder auch das Fleisch beim Schlachter um die Ecke – dem mancher nach diversen Lebensmittelskandalen mehr vertraut als den Großbetrieben.

„Manche Betriebe nutzen diese Welle“, so Jentzsch. Handwerk lebe von der Individualität der kleinen Betriebe, meint er. „Mit jedem Betrieb, der schließt, geht auch Wissen verloren.“ Aber er sagt auch: „Fragen Sie mal einen der Kunden, ob er möchte, dass sein Kind dort eine Ausbildung macht. Die Mehrheit wird Ihnen sagen: „Nein““, ist sich der Sprecher des Fleischer-Verbandes sicher. Aber: „Jugendliche, die einen Handwerksberuf kennenlernen, finden den oft total spannend. Und es gibt junge Leute, die werden aus Coolnessgründen Fleischer.“

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