Nachfolge im Mittelstand Wie der Vater, so die Tochter

Auf deutsche Unternehmertöchter wartet eine doppelte Herausforderung: Sie sollen die väterlichen Betriebe restrukturieren – und zugleich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Fünf aktuelle Beispiele.

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Foto der Betriebswirtin Esterer

Im Jahr 2007 hängt der Himmel noch voller Geigen. Im Vietnam-Urlaub sagt sie Ja, als ihr Vater sie fragt, ob sie in die Geschäftsführung seines Unternehmens einsteigt. Zehn Monate später sitzt Julia Esterer im nordhessischen Helsa im schmucklosen Betriebsgebäude des Tanklastzugspezialisten Esterer – und muss einen Kulturschock verkraften. Denn bis dahin hatte die heute 41-Jährige eine Bilderbuch-Konzernkarriere gemacht, war für BMW in Asien Marketingleiterin. Sie lebte unter anderem in Thailand, genoss die buddhistische Gelassenheit in Fernost samt Chauffeur, Bediensteten und allen Annehmlichkeiten des Expat-Lebens.

Nun, mit Mitte 30, und zurück in Helsa krempelt sie die Produktion des heimischen 170-Mann-Betriebes um. Doch die Belegschaft stemmt sich gegen ihre Veränderungen. Nicht die einzige Baustelle: Ihre Beziehung geht über der Entscheidung, die Verantwortung für die väterliche Firma zu übernehmen, in die Brüche. Esterer fragt sich: „Mein Gott, habe ich das richtig gemacht?“

Bestens ausgerüstet

Immer öfter werden Töchter von ihren Unternehmer-Vätern gebeten oder auch gedrängt, in die Firma einzusteigen. Die vermeintlich natürliche Erbfolge vom Vater auf den Sohn hat ausgedient.

Zum einen, weil das Verhältnis zwischen Vätern und Töchtern meist harmonischer ist als der konkurrenzbeladene Kampf zwischen den Patriarchen und ihren Söhnen. Zum anderen, und das spielt die Hauptrolle, weil der weibliche Nachwuchs heute besser ausgebildet ist denn je.

Die Frauen, die später in Lara-Croft-Manier durch die Betriebe fegen, verfügen oft über zwei Studienabschlüsse, wie Innenarchitektin Sarah Maier, die BWL aufsattelte. Oder sie haben wie Esterer gleich in einem halben Dutzend Ländern Erfahrungen gesammelt.

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Aber auch nicht mehr jeder Sohn will in die Fußstapfen des Alten treten, Work-Life-Balance lockt mehr als eine 80-Stunden-Woche. So steigt der Druck bei der Nachfolgersuche enorm. Und in Gremien, Verbänden und Familien verfestigt sich der Gedanke, dass die Töchter die Lösung des Problems sein könnten.

Das ist gewaltig: „Die Nachfolgesuche wird immer schwieriger. Mittlerweile wird fast jede zweite Firma an Externe übertragen“, sagt Marc Evers, Leiter Unternehmensnachfolge beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin. 40 Prozent der Unternehmer finden keinen Nachfolger. Gründe seien auch die hohe emotionale Bindung des Inhabers an sein Lebenswerk, überhöhte Preisvorstellungen oder die zu späte Vorbereitung der Übernahme, so eine DIHK-Studie.

Bis 2019 werden 135 000 Firmen einen Chef suchen, so das Bonner Institut für Mittelstandsforschung. Das sind pro Jahr 27 000 Unternehmen mit 400 000 Beschäftigten. Je nach Betriebsgröße übernehmen zwischen 13 und 23 Prozent Frauen den Chefsessel. Am oberen Ende der Skala, bei Betrieben von mehr als 50 Millionen Euro Umsatz, sind Frauen in der Führung aber immer noch „sehr überschaubar“, beobachtet Tom-Arne Rüsen, Geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU).

Vater-Sohn-Konflikt

Nicht nur der Zeitgeist, auch die Erfahrung aus den Zerreißproben, die einer Übergabe an Söhne folgen können, lassen die Väter öfter über die Tochter als mögliche Hüterin des Familienschatzes nachdenken. Denn Verdrängungskämpfe zwischen Senior und Junior mit verheerenden Folgen für den Betrieb mahnen reichlich.

So endet die Übergabe von Klaus Fischer, Chef des gleichnamigen baden-württembergischen Dübelherstellers, an seinen Sohn Jörg im Frühjahr 2012 im Desaster. „Familiendrama“ und „Dübel-Patriarch entmachtet den eigenen Sohn“ – so lauten die Schlagzeilen, nachdem der Vater den Sohn erst inthronisiert und dann vom Hof gejagt hatte. Der Jörg habe zu schnell zu viel ändern wollen, Mitarbeiter und Kunden verärgert und das Geschäft gefährdet – sagen die einen. Andere sagen: Der Senior kann nicht loslassen.

Neuer Führungsstil

Die mächtigsten Frauen im Business
Nancy McKinstry Quelle: Presse
Platz 14: Ho Ching Quelle: REUTERS
Platz 13: Sandra Peterson Quelle: Bayer CropScience AG
Platz 12: Ornella Barra Quelle: Presse
Platz 11: Maria Ramos Quelle: World Economic Forum
Marjorie Scardino Quelle: REUTERS
Annika Falkengren Quelle: REUTERS

Doch das Etablieren von Töchtern birgt andere Tücken. Ein Beispiel: Just als Karl-Rudolf Mankel, Inhaber des Türenspezialisten Dorma im nordrhein-westfälischen Ennepetal, 2009 die große Mehrheit seiner Geschäftsanteile den Töchtern Christine und Stephanie überschreibt, wirft der langjährige Geschäftsführer Michael Schädlich die Brocken hin. Er sei ohnehin nur „der Oberknecht“ gewesen, gibt er zu Protokoll.

Insider sagen, Schädlich sei nicht beglückt gewesen, anteilsmäßig leer ausgegangen zu sein, und zudem nicht damit zurechtgekommen, zukünftig an zwei junge Damen im Gesellschafterkreis berichten zu müssen. Bei Dorma ist man deshalb vorsichtig geworden. Mankels Töchter treten zwar zu repräsentativen Zwecken auf, öffentlich äußern möchten sie sich nicht.

Vorsichtig sind Töchter quer durch alle Branchen auch bei der Offenlegung ihrer Anteilsverhältnisse. Meist ist es eine Frage von familieninterner Diplomatie und externem Sicherheitsbedürfnis. Zudem spiegeln die Anteilsverhältnisse nicht zwingend die Machtverhältnisse wider.

Dabei liegt das Akzeptanzproblem erfahrungsgemäß häufiger auf der Seite der Männer, oft sind die Frauen sehr wohl am Rat und Erfahrungsschatz des Älteren interessiert. So akzeptieren Töchter viel öfter längere Verweildauern von Seniorchefs in den Betrieben als ihre männlichen Pendants, hat WIFU-Chef Rüsen festgestellt: „Anders als Söhne denken Töchter oft eher in Kooperations- statt in Konkurrenzlogik“, sagt der Experte. Aus Teamgedanken lehnt es etwa Katja Lohmann-Hütte, Geschäftsführerin des Stahlwalzwerks Friedr. Lohmann in Witten im Ruhrgebiet, konsequent ab, „immer als Frau herausgestellt zu werden“.

Ihre Position und die Branche legen es nahe, „bei jedem Weltfrauentag angerufen zu werden“. Denn Lohmann-Hütte leitet gemeinsam mit Bruder und Vetter das letzte unabhängige Blechtafelwalzwerk in Europa. Dass sie den Küchenherd gegen die Verwaltung von 1500 Grad heißen Stahlpfannen eingetauscht hat, findet sie selbst nicht bemerkenswert. Die Mutter zweier kleiner Kinder hat einen „emanzipierten Mann“, wie sie sagt, der vier Jahre Elternzeit genommen hat.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein zentrales Thema für die Nachfolgerinnen. Viele scheitern am doppelten Erwartungsdruck: Sie sollen den Betrieb erfolgreich führen und zugleich die Dynastie erhalten – sprich: Kinder bekommen. Das führt nicht selten zu Verwerfungen auf dem einen, anderen oder beiden Feldern.

„Die Familienproblematik lässt sich nicht wegdelegieren, und die Führung der Familie liegt fast immer auf den Schultern der Frauen“, sagt Sarah Maier, Geschäftsführerin der Ursula Maier Werkstätten in Markgröningen. Die Architektin hat drei Kinder im Alter von zwei, vier und neun Jahren – und organisiert die Betreuung mithilfe ihrer Mutter.

Die Frauen müssen selber für Reformen sorgen. „Wir brauchen einen anderen Managementstil, damit Frauen Firmen- und Familienleben unter einen Hut bekommen können“, sagt WIFU-Direktor Rüsen. „Die 9-to-5-Logik einer Anwesenheit im Betrieb passt generell nicht mehr. Nachfolgerinnen können die Strukturen zu ihren Gunsten ändern. Das ist ein großer Vorteil.“ Und so sollen die Superheldinnen aus der Provinz die Lösung für alles finden: die Betriebe restrukturieren und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie reorganisieren.

Trotz dieser Herkulesaufgabe sagt Julia Esterer heute: „Ich bereue nichts.“ Der Laden läuft. Und sie hat einen neuen Lebenspartner, der auch Unternehmer ist. Mit ihm erwartet sie das zweite Kind. Neulich hat sie ihren Vater gefragt, ob er sie ab September, wenn der Nachwuchs kommt, eine Zeit lang in der Firma vertritt.

Er hat Ja gesagt.

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