Ostdeutsche Unternehmer Mülltonnen für Bagdad

Massenware in Deutschland produzieren? Dass sich das lohnen kann, beweist der -Mülltonnenhersteller ESE aus Neuruppin, dessen Tonnen bis nach Bagdad geliefert werden.

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Deutsche Weltmarktführer

Woche für Woche rollen die riesigen Container-Trucks mit ihrer himmelblauen Fracht vom Werksgelände an der Friedrich-Bückling-Straße im brandenburgischen Neuruppin. Von dort geht es auf die Autobahn A 24 in den knapp 250 Kilometer entfernten Hamburger Hafen, wo die Container verschifft werden. Das Ziel ist Bagdad – genauer gesagt, die Stadtverwaltung der irakischen Hauptstadt. Deren fünf Millionen Einwohner brauchen nicht nur Frieden, sondern auch Mülltonnen. 500 000 Stück, mit einem Volumen von jeweils 120 Litern – und himmelblau müssen sie sein.

Denn in der noch immer von den US-Bombenangriffen und Terroranschlägen gezeichneten Stadt funktioniert auch die Müllentsorgung nicht, drohen Seuchen. Eine halbe Million Mülltonnen innerhalb von fünf Monaten sollen das Abfallproblem der arabischen Metropole lindern.

Den Zuschlag für den Großauftrag bekam das seit 1992 in Neuruppin ansässige Unternehmen ESE Industrie. Der Mittelständler mit 300 Mitarbeitern ist Weltmarktführer für zwei- und vierrädrige Müllgroßbehälter. Jährlich werden über zwei Millionen davon nach Skandinavien, Osteuropa, in den Balkan, aber auch nach Südamerika oder Singapur geliefert.

Probleme mit der Automobilindustrie

Die 120-Liter-Tonnen mit zwei Rädern für den Irak sind ESE-Standardmodelle, wie sie auch in Aachen oder Zwickau in den Hinterhöfen stehen, erkennbar an dem markanten Otto-Schriftzug. Otto ist der Name des niederländischen Industrieunternehmens, zu dem ESE gehört. Allerdings sind die für Bagdad bestimmten Mülleimer nicht schwarz, sondern hellblau, und es pappt das Logo der Hauptstadt mit arabischem Schriftzug in Gelb darauf. Auch „Made in Germany“ steht drauf – darauf bestanden die Iraker. Anfang Juni bekam ESE den Großauftrag im Wert von sechs Millionen Euro – und hofft jetzt auf Folgebestellungen aus anderen arabischen Ländern.

ESE ginge guten Zeiten entgegen, wären da nicht die Probleme mit der Automobilindustrie. Denn vor zwei Jahren wurde die Firma Otto Kunststoffverarbeitung in Neuruppin mit der damaligen Otto Kunststoffverarbeitung im südthüringischen Crock verschmolzen und in ESE Industrie umbenannt. In Crock werden Radlaufschalen für Opel, Mittelkonsolen für Audi oder Ersatzteile für Mercedes-Benz gefertigt. Seit Jahresbeginn hat die Krise der Autohersteller auch die Produktion in Crock getroffen: Statt in vier wird nur noch in drei Schichten produziert, zwei Drittel der Leiharbeiter mussten gehen. Wie schlimm die Lage im Autogeschäft derzeit ist, mag ESE-Industrie-Chef Jochen Thormeyer nicht sagen. Jedenfalls geht es deswegen ESE insgesamt nicht so besonders gut.

Die Tonne hält einiges aus

Immerhin: Die darbende Autozuliefersparte macht nur einen kleinen Teil des Geschäfts. Die Neuruppiner erlösten im vergangenen Jahr rund 100 Millionen Euro, etwa 80 Millionen davon entfallen auf die Herstellung von Müllbehältern. Über eine Zwischenholding gehört das Unternehmen der Environmental Solutions Europe (ESE), in der Holding sind alle europäischen Beteiligungen an Unternehmen im Bereich Entsorgungsbehälter und -fahrzeuge zusammengefasst. Die Holding wiederum ist eine Tochtergesellschaft der Otto Industries Europe mit Sitz im niederländischen Maastricht.

Den weltweiten Erfolg seiner Mülltonnen führt Firmenchef Thormeyer auf drei Komponenten zurück: Flexibilität bei den Kundenwünschen und Kapazitäten, mit denen in kurzer Zeit hohe Stückzahlen hergestellt werden können, gewährleisten die riesigen Spritzgussmaschinen, von denen es weltweit nur eine Handvoll gibt und die alle 100 Sekunden einen großen Müllcontainer ausspucken. Die dritte Komponente ist die Qualität: Die Neuruppiner Tonne hält einiges aus – offenbar viel mehr, als die der Konkurrenz. Die 300 000 Tonnen, die die Stadt Bagdad im Jahr zuvor in China bestellt hatte, waren nach kurzer Zeit selbst ein Fall für die Mülltonne.

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