Paris will Start-ups anlocken Von Datenjacken und realen Ölsardinen

Warum nach London oder Kalifornien ziehen, wenn Start-ups auch an der Seine blühen? Paris will zum Zentrum für die digitale Wirtschaft werden. Ein Besuch auf der Messe Viva Technology zeigt aber, wo es noch hakt.

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Paris ist in Europa einer der größten und beliebtesten Standorte für Start-ups. Quelle: Reuters

Paris 5000 Start-ups und 100 Großunternehmen bringt Viva Technology, eine Messe der Wirtschaftszeitung „Les Echos“ und des Werbe-Multis Publicis, auf dem Pariser Messegelände zusammen. Bis einschließlich Samstag können die „jeunes pousses“, wie sie in Frankreich heißen, die jungen Sprossen, sich an den Ständen der Arrivierten vorstellen und um Interesse sowie Investoren werben. Paris ist in Europa einer der größten und beliebtesten Standorte für Start-ups. Zwar sind die Mieten hoch, doch finden die Gründer hier viele hervorragend ausgebildete Ingenieure und Leute mit allen denkbaren Muttersprachen.

Paris war bekannt für seine früh entstandene Internetmesse „Le Web“, die aber offenbar sanft entschlummert ist. Viva Technology ist deutlich kommerzieller, doch viele der jungen Gewächse sind noch in einem ganz frühen Stadium. Neben den ganz Großen wie Google und Cisco auftreten zu können ist eine unglaubliche Chance für den Nachwuchs.

Am Donnerstagmorgen herrscht bereits ordentlicher Publikumsandrang. Den schönsten Platz hat sich Google gesichert. Gleich beim Betreten der Halle stolpert man über das weiße, runde Selbstfahr-Auto des Konzerns und wird von wild schwankenden Menschen angefallen, die sich dank großer Datenbrille und -handschuh in der virtuellen Realität verloren haben.

Auf der Bühne spricht ein Mann mit starkem osteuropäischen Akzent über ein Produkt aus grauem Stoff, das wie eine Arbeitskutte aussieht. „Eine Jacke, die Ihre ganze Kommunikation übernimmt, Sie müssen sie nur antippen“, strahlt mich eine Google-Hostess an. Sie erwartet einen Begeisterungsausbruch, ich müsste jetzt wohl sagen: „Eine Jacke, die meine Kommunikation übernimmt – ich kann es nicht glauben, darauf warte ich seit Jahren!“, sehe sie aber nur unbeteiligt an, worauf sie die Kommunikation – mündlich, ohne Jacke – abbricht.

Ich gehe weiter zu Cisco, da wird eine Lösung für Sicherheit und Verteidigung vorgestellt. Ich erwarte etwas, das schießt und knallt, doch es geht wieder nur um Kommunikation. Neben einer eher friedlich wirkenden Puppe im Kampfanzug stöckelt eine Französin auf ihren Eskarpins herum. Nicht sie, sondern ihr etwas fülliger Kollege erläutert mir mit ähnlich begeistertem Gesichtsausdruck wie die Google-Dame, was in der Kiste steckt, die vor uns steht. „Sieht so klobig aus wie eines der ersten Mobiltelefone aus den 80er-Jahren“, sage ich. Die Bemerkung wird taktvoll ignoriert. „Was Sie hier sehen“, strahlt er mich an, „ist eine disruptive Veränderung der Kommunikation, ich würde sogar sagen: eine Revolution!“

Die Kiste mit zwei dicken Antennen dran kann ein Mobilfunknetz ersetzen, sie ist auf keinerlei Verbindung angewiesen. „Das funktioniert auch, wenn alles andere ausfällt, es braucht nicht einmal einen Satelliten.“ schwärmt der Cisco-Mann. „So eine Art modernes Walkie-Talkie“, sage ich. Wieder falsch. „Nur dass Sie darüber auch den gesamten Datenverkehr abwickeln können“, sagt mein Gesprächspartner und tätschelt zärtlich die Wange des grausilbernen Metallbehälters. „Ich komme aus dem Mobilfunk und finde es so wunderbar, dass man alles, wofür man sonst ein komplettes Gebäude braucht, hier auf winzigstem Raum untergebracht hat.“ Ich lasse ihn mit seinen Glücksgefühlen allein. Mitten in der Halle kommen endlich die Start-ups, die Stimmung wird anders, nicht PR, sondern Kreativität liegt in der Luft.


Keine Angst vor dem Brexit

Die jungen Unternehmen sind jeweils um die Stände großer Konzerne gruppiert, die sie im Zuge eines Wettbewerbs ausgewählt haben. Die Sieger dürfen zur Viva Technology kommen. Bei TF1, dem französischen Privatsender, dreht sich alles um Medien, Werbung und Unterhaltung. Auf dem Podium produziert sich ein perfekt Englisch sprechender Franzose: „Wir bieten eine wesentlich bessere Information und Unterhaltung als alle anderen und wesentlich prominentere Aggregatoren, ohne auch nur einen einzigen Inhalt selber zu erstellen“, freut er sich. Wenn journalistische Verachtung töten könnte, würde er jetzt auf dem Podium in sich zusammensacken.

Ein Stück weiter komme ich mit Donald ins Gespräch. Er ist Belgier und hat eine App entwickelt, mit der man Menschen auf der ganzen Welt lokalisieren kann, um sie zu bitten, ein kurzes Video von ihrem Aufenthaltsort zu schicken. Nicht revolutionär, aber irgendwie praktisch, wenn man gerade mal wissen will, wie das Wetter im Rif-Gebirge von Marokko ist, aber niemanden dort kennt.

Ich lasse mir zeigen, wie viele User er schon hat. In Asien kommt er auf zwei, wenn ich es richtig sehe. „1500 sind wir bislang weltweit“, sagt er gut gelaunt. Er ist einer der wenigen hier, die nicht auf der Jagd nach Geld sind. Der wallonische Fonds für Start-ups hat ihn gefördert. „Erst muss die Anwendung hundertprozentig rund laufen“, sagt er, „dann expandieren wir weiter.“ Später, wenn alles klappe, könne er den Dienst vielleicht TV-Sendern anbieten, die schnell Bilder aus entlegenen Regionen brauchen.

Auf dem Stand des Luxuskonzerns LVMH treffe ich eine junge Französin, die ein System zur Vermessung des eigenen Körpers anbietet. „Damit wissen Sie sofort, welche Größe Sie brauchen, ja noch mehr, wir sind fast bei der Maßanfertigung.“ Die Französin sollte vielleicht Googles grauer Datenjacke eine Schönheitskur verpassen. LVMH scheint an dem kleinen Start-up interessiert zu sein, der Konzern vertreibt schon viel übers Internet. Mitten auf dem Stand geht es erfreulich real zu: Auf einem Wägelchen stehen Dosen mit Paté, Soßen und Ölsardinen. Die Sardinen sehen sehr verlockend aus. In Spanien und Frankreich sind sie eine Delikatesse, man kann Jahrgangs-Sardinen kaufen. Niemand bietet eine Sardinen-App an, schade.

Auf der Bühne quält sich ein junger Amerikaner, ihm hört kaum jemand zu, während er die Chance seines Lebens zu nutzen versucht. Selbst wenn man es bis in diese erlesene Halle geschafft hat, ist die Selbstvermarktung noch ein hartes Geschäft. Plötzlich kommt Erregung auf: Bernard Arnault, LVMH-Chef und reichster Mann Frankreichs, ist im Anmarsch. Er lässt sich verschiedene Start-ups vorstellen und hört geduldig zu. Von den linken Gewerkschaftern, die einen Spottfilm („Merci, Patron!“) über ihn gedreht haben, ist nichts zu sehen. Erstaunlich, denn so leicht kommen sie so schnell nicht wieder an ihn heran.

Obwohl keine Gefahr droht, wird Arnault von mehreren stabilen Männern abgeschirmt. Als der hagere, hochgewachsene Mann an mir vorbeikommt, frage ich ihn, was er vom Brexit hält. Er bleibt stehen und antwortet ganz entspannt: „Das wird sich totlaufen, in zwei Jahren ist das wieder vorbei“, ist er überzeugt. Die Briten würden überhaupt nicht austreten.

Draußen vor der Halle ist der Brexit auch ein Thema: Eine US-Agentur lädt Start-ups nach Kalifornien ein. Wer seine Karte abgibt, nimmt an einer Verlosung teil: „Brexit-Tour nach London!“ lachen die jungen Amerikanerinnen. So schnell wird man vom Angst- zum Witzfaktor.

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