Renditekönig Mittelstand Die versteckten Champions

300.000 Bilanzen, die dem Handelsblatt vorliegen, beweisen: Die kleinen und mittleren Firmen in Deutschland wirtschaften besser als die Aktiengesellschaften – kurz- und langfristig.

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Die anonymisierten Daten von 300.000 Sparkassen-Firmenkunden zeigen, dass die Rendite mittelständischer Unternehmen im Schnitt größer ist als jene von Aktiengesellschaften. Quelle: dpa

Düsseldorf Der Mittelstand gilt als Rückgrat der deutschen Wirtschaft und als ausgesprochen erfolgreich. Geschichten wie die des Luxuskoffer-Herstellers Rimowa, der in den vergangenen fünf Jahren seinen Gewinn um jährlich 70 Prozent gesteigert hat, sorgen immer wieder für Aufsehen. Um nichts beneidet das Ausland die deutsche Wirtschaft so sehr wie um den starken Mittelstand.

Bisher ließ sich das Erfolgsmodell jedoch nicht mit Fakten und Zahlen belegen. Denn anders als die 547 börsennotierten Konzerne veröffentlichen die drei Millionen deutschen Firmen und Personengesellschaften keine Bilanzen. Rimowa mit seinen 1000-Euro-Koffern dürfte kaum beispielhaft für den gesamten Mittelstand stehen.

Doch nun liegen dem Handelsblatt exklusiv anonymisierte Daten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) von 300.000 Firmenkunden vor. Als Marktführer im Geschäft mit dem Mittelstand haben die rund 400 deutschen Sparkassen Einblick in 34 bilanzrelevante Kennzahlen der Firmen.

Die Zahlen der Sparkassen belegen eindrucksvoll: Die vielen verschwiegenen Familienunternehmen, Personengesellschaften, kleinen und großen Mittelständler wirtschaften tatsächlich erfolgreicher als börsennotierte Unternehmen.

Der Mittelstand erreichte im Schnitt im vergangenen Geschäftsjahr nach vorläufigen Berechnungen eine Gewinnmarge von 7,3 Prozent. Dagegen erzielten die 110 größten deutschen Aktiengesellschaften im Dax, MDax, TecDax und SDax nach Handelsblatt-Berechnungen nur eine Marge von 6,3 Prozent. Auch langfristig schlagen sich die nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen besser. Seit 2003 haben die rund 300.000 untersuchten Firmen ihren Gewinn aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit um 128 Prozent erhöht und damit mehr als verdoppelt. Im selben Zeitraum schafften die großen Aktiengesellschaften ein Plus von 97 Prozent.

„2015 war wie schon 2014 ein sehr erfolgreiches Jahr“, fasst DSGV-Bilanzexperte Sebastian Kral die Ergebnisse zusammen. Alle relevanten Kennzahlen der Mittelständler hätten sich verbessert. Mit einer durchschnittlichen Eigenkapitalquote von 25 Prozent stehen die Firmen so gut da wie noch nie. Um die Jahrtausendwende lag sie zwischen drei und vier Prozent.

Börsenkonzerne leiden under Absatzkrisen

Grund für die Stärke der Mittelständler ist die robuste Konjunktur in Deutschland. „Starke Inlandsnachfrage gleicht schwache Nachfrage aus dem Ausland aus“, analysierte auch zuletzt der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Börsenkonzerne leiden dagegen unter Krisen in wichtigen Absatzmärkten wie Russland, Teilen Südeuropas und Südamerikas, aber auch unter dem Ende des Booms in China deutlich stärker.

Das Ausland, das belegen die Zahlen eindeutig, hat allen Grund, neidisch auf unseren deutschen Mittelstand zu sein.

Ob Gewinn oder die sehr viel wichtigere Rendite, also das Verhältnis zwischen Masse (Umsatz) und Klasse (Gewinn): Seit der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2003, als die Welt nach der geplatzten Technologieblase und den Terroranschlägen auf das World Trade Center in den USA in eine tiefe Rezession fiel, schlagen sich die vielen nicht-kapitalmarktorientierten Firmen besser als die großen Aktiengesellschaften. Ablesen lässt sich dies im stärkeren Gewinnwachstum und einer höheren Profitabilität. Und das nicht nur 2015 gegenüber 2014, sondern auch in der längerfristigen Perspektive von mehr als einem Jahrzehnt.

Solche langfristigen Daten spiegeln die Robustheit der deutschen Volkswirtschaft zwar sehr gut wider. Allerdings verschweigen sie andererseits die vielen Ausreißer nach oben wie nach unten. Unter dem Strich ist es aber schon außerordentlich bemerkenswert, dass jedes sechste Unternehmen (16,5 Prozent) mit einer Ertragsmarge von über 20 Prozent im vergangenen Jahr hochprofitabel wirtschaftete. Von jedem Euro Umsatz blieben also mehr als 20 Cent Gewinn übrig.

Zum Vergleich: So profitabel ist im Dax, der deutschen Börsen-Beletage mit den 30 größten börsennotierten Unternehmen, niemand. Solche „Leuchttürme“ – wie die auf mittelständische Unternehmen spezialisierte Munich Strategy Group (MSG) die außerordentlich renditestarken Firmen bezeichnet – produzieren weltweite Spitzentechnologie. Ihnen gelingt es, aufgrund mangelnder Konkurrenz hohe Preise und damit hohe Margen durchzusetzen – und das in guten wie in schlechteren Zeiten.

So wie beispielsweise der Kopfhörer- und Mikrofon-Spezialist Sennheiser im niedersächsischen Provinzstädtchen Wedemark. Mit ihren Mikros haben die Audiospezialisten am New Yorker Broadway eine fast monopolartige Stellung erreicht. Piloten, Sänger und DJs oder Großveranstaltungen wie der Eurovision Song Contest am vergangenen Wochenende in Stockholm mit einem 200-Millionen-Publikum vertrauen der Technik des Unternehmens. Mit rund 50.000 Euro ist der „Orpheus“ der teuerste Kopfhörer der Welt.

Das 1945 von Fritz Sennheiser gegründete und heute von den Enkeln Andreas und Daniel geführte Familienunternehmen produziert vor allem für die Musik- und Unterhaltungsindustrie, aber auch hochsensible Akustikgeräte für die Luftfahrt. „Tolle Produkte haben nur Erfolg, wenn sie auch eine Seele haben“, erklärte kürzlich Fritz Sennheisers Sohn Jörg dem Handelsblatt. Was er damit meint: Hohe Preise lassen sich auch in einer globalisierten Welt voller Wettbewerb durchsetzen, wenn die Nutzer den Produkten vertrauen.

Im abgelaufenen Jahr verbesserten sich die Unternehmen in nahezu allen Branchen – Ausnahmen sind die Kfz-Hersteller und die Landwirtschaft. Grund für die Stärke der oftmals binnenmarktorientierten Firmen ist die robuste Konjunktur in der größten europäischen Volkswirtschaft. Nach langer Zeit ist es kein Malus mehr, auf die Nachfrage und den Konsum in Deutschland angewiesen zu sein. Die von internationalen Wirtschafts- und Finanzbehörden wie dem IWF immer wieder und über Jahre kritisierten unterentwickelten inländischen Impulse gehören der Vergangenheit an. Denn die seit gut zwei Jahren stärkeren Lohnzuwächse, immer niedrigere Zinskosten aufgrund der expansiven Geldpolitik und vor allem die billige Energie samt niedrigeren Heiz- und Spritkosten haben den Konsum belebt.

Der von der Europäischen Zentralbank (EZB) und ihrem Chef Mario Draghi erhoffte Ausgabeneffekt auf die Volkswirtschaft spiegelt sich also in der Realität wider. Auch das lässt sich jetzt erstmals mit den vielen Bilanzen belegen, über die die über 400 Sparkassen hierzulande verfügen.

Nicht alle sind erfolgreich

„Davon profitierten 2015 vor allem traditionell eher renditeschwache Branchen wie der Handel, der Bau und das Gaststättengewerbe“, urteilt DSGV-Bilanzexperte Sebastian Kral. In diesen Branchen stiegen 2015 die traditionell niedrigen Margen überdurchschnittlich stark. So steigerte der Hochbau seine Profitabilität von 4,6 auf 5,8 Prozent. Wesentliche Ursache sind der Immobilienboom und oftmals deutlich teurere Preise für Neubauten angesichts der niedrigen Bauzinsen. Auch der Einzelhandel steigerte seine Profitabilität von zwei auf 2,9 Prozent. Und die lange Zeit chronisch klamme Gastronomie schaffte den Sprung aus den roten Zahlen: Nach einem Negativjahr 2014 und einer durchschnittlichen Marge von minus 0,4 Prozent blieben im abgelaufenen Jahr unter dem Strich von jedem umgesetzten Euro immerhin zwei Cent Gewinn übrig.

Auf lange Sicht wirtschaften die mittelständischen „Leuchttürme“ jedoch nur dann erfolgreich, wenn sie sich nicht nur auf den deutschen Konsumenten konzentrieren, sondern es sie in ferne, aufstrebende Länder treibt. Hier gelten also dieselben Gesetzmäßigkeiten wie für die Firmen an der Börse. Nach einer Analyse der Strategieberater von MSG unter 3 200 Unternehmen erzielen gewinn- und margenträchtige Mittelständler einen Großteil ihrer Umsätze im Ausland und konzentrieren sich dabei auf die typischen Wachstumsmärkte – so wie der Maschinenbauer Strama-MPS mit seinen Tochtergesellschaften in Brasilien, China, Indien, Korea und vielen anderen Schwellenländern. Die Straubinger Unternehmensgruppe mit ihren weltweit über 1000 Mitarbeitern beliefert Industriekonzerne wie Siemens und Thyssen-Krupp und die großen Autobauer BMW, Daimler und VW mit Anlagen, Bordtechnik und Elektronik.

Doch auch im Mittelstand gilt genauso wie bei den großen Börsenkonzernen: Bei weitem nicht alle sind erfolgreich. Denn wahr ist auch, dass 22,6 Prozent der kleinen und mittelgroßen Firmen im abgelaufenen Jahr eine Marge von nur weniger als einem Prozent erwirtschaftet haben. Auffälligste Schwäche solcher „Low-Performer“ ist die unzureichende Positionierung außerhalb der gesättigten europäischen Märkte.
An die Öffentlichkeit wagen sich solche Firmen mit ihrer eher traurigen Bilanz kaum. Allein die umfangreichen Datenbanken lassen das Ausmaß jetzt erahnen: Fast jede vierte deutsche Firma verdient mit jedem Euro Umsatz nicht einmal einen Cent.

Und so sind es vor allem die vielen gewinn- und margenträchtigen Firmen, wie es sie in allen Branchen gibt, die dem deutschen Mittelstand zum Bilanz-Sieg gegenüber den börsennotierten Konzernen verhelfen.


Wer ist besser?

Wer wirtschaftet erfolgreicher: börsennotierte Konzerne oder die vielen kleinen und mittelgroßen Mittelständler samt Personengesellschaften? Erstmals gibt es für die immer wieder diskutierte Frage belastbare Antworten. Als Marktführer im Geschäft mit dem Mittelstand haben die rund 400 deutschen Sparkassen Zugriff auf 34 bilanzrelevante Kennzahlen von insgesamt 300.000 deutschen Firmen. Denn es sind ihre Kunden.

Diese bislang unveröffentlichten Daten wie Gewinn, Rentabilität und Eigenkapital geben einen detaillierten Einblick in die Effizienz und Produktivität des Mittelstands. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis zwischen Umsatz, Gewinn und die daraus errechnete Rendite. Maßgeblich ist das Ergebnis aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit vor Steuern, außergewöhnlichen Erträgen und Aufwendungen und nach Zinsen. Um die Ertragsstärke qualitativ einordnen zu können, wurde sie mit den 110 HDax-Konzernen verglichen. Das sind die Aktiengesellschaften im Dax, MDax, TecDax und SDax.

Die Ergebnisse

Das erste Ergebnis: Die börsennotierten Konzerne steigerten ihren Umsatz längerfristig etwas stärker. Mit diesem Mehr an Masse schufen sie aber weniger Klasse. Denn beim Gewinn und der Rendite liegen die nicht kapitalmarktorientierten Firmen vorn. Das sowohl 2015 im Vergleich zu 2014 als auch längerfristig seit dem Krisenjahr 2003. Bislang wurden zwar „nur“ die Bilanzen von 7000 Unternehmenskunden der Sparkassen ausgewertet, die bereits für das Jahr 2015 zur Verfügung stehen. Die Differenz zu einem vollen Jahrgang mag hoch erscheinen. Allerdings zeigen langjährige Erfahrungen, dass wesentliche Tendenzen bereits bei Stichproben von einigen Tausend klar erkennbar sind.

Das zweite Ergebnis: Aufgefächert nach Branchen wirtschafteten Einzelhändler, Baufirmen und Gastronomiebetriebe 2015 profitabler als 2014. Weniger Rendite erzielten Landwirte. Bei den Maschinenbauern gab es im Schnitt keine Veränderung. In den Branchen-Renditen wurde der Unternehmerlohn bei Personengesellschaften bereits abgezogen. Bei diesen erhält der mitarbeitende Inhaber kein Gehalt, sondern finanziert sich aus seinem Gewinn – er muss davon essen und wohnen.

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