Serie Familienunternehmen: Berner Plötzlich Chef mit 27

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Der erste Schock

Für den Betriebsrat und die Mitarbeiter war die Nachricht ein Schock. Die meisten wohnen schon ihr Leben lang in Künzelsau, die Zugezogenen haben sich eingerichtet, oft mit eigenem Häuschen und der Familie. Um den Umzug schmackhaft zu machen, bot Berner den betroffenen Mitarbeitern neben einer Wechselprämie einen Zuschuss zu den Mietkosten, Fahrtkostenerstattungen und Sonderurlaub an. Vor allem einer ließ sich davon zunächst nicht überzeugen: Vater Albert Berner. Um die Gründe zu verstehen, hilft der Blick zurück.

Er ist 21 Jahre alt, als er sich kurz nach der Ausbildung bei seinem heutigen Konkurrenten Würth selbstständig macht. Mit nur 3000 Mark Startkapital beginnt er, Schrauben zu verkaufen, die er selbst auf einem mit blauem Samt bezogenen Karton zur Ansicht befestigt hatte. Bereits im ersten Jahr erwirtschaftete er 300.000 Mark, im darauffolgenden Jahr doppelt so viel, zur Jahrtausendwende lag der Umsatz bei einer Milliarde Mark.

Aus Albert Berner, der mit 13 die Schule verließ und nie eine Uni besuchte, wurde einer der reichsten Menschen Deutschlands. Trotzdem blieb er in der Region tief verwurzelt. Lebt seit seiner Geburt in Künzelsau, ist Ehrenbürger der Stadt, die ein Altersheim und eine Straße nach ihm benennt; war jahrzehntelang im Vereinssport der Gemeinde und im Golfclub aktiv, kennt fast jeden im Ort. Außerdem sitzt er im Beirat der Landesbank Baden-Württemberg, wie fast alle großen Industriellen aus der Region.

Als sein Sohn den Umzug plante, war er geschockt. „Aber er hat meine Entscheidung mitgetragen“, sagt Christian Berner. „Er vertraut mir. Und vor allem: Er hat wirklich losgelassen.“ Anders geht es nicht, sagt Experte Peter May: „Das Loslassen des Vaters ist neben der Kompetenz des Sohnes die wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Übergabe.“

Der Umbau

Beim Umzug bleibt es nicht. Als Christian Berner fünf Monate im Unternehmen ist, startet er den größten Transformationsprozess – entgegen allen Empfehlungen. Der Aufsichtsrat hatte ihm geraten, sich erst mal einzuarbeiten, zu beobachten, das Unternehmen besser kennenzulernen. Berner hat viele Stärken, abwarten und beobachten gehören nicht dazu. Stattdessen beginnt er die Digitalisierung. „Und damit meine ich nicht, iPads auszuteilen“, sagt Berner.

Nächtelang wühlte er sich in alle Bereiche des Unternehmens. Am Ende kannte er jedes IT-System der Holding. „Dieses Knechten in den ersten Monaten hat mir dabei geholfen, einen Plan für die Zukunft zu entwickeln.“ Das beginnt mit profanen Dingen, viele Außendienstmitarbeiter hatten zum Beispiel keine eigene E-Mail-Adresse.

Doch es gab noch komplexere Aufgaben. Berner kümmerte sich um Internetauftritt und Onlineshops, stellte einen E-Commerce-Manager ein, entwickelte eine digitale Strategie für die Lieferketten und zusammen mit dem Cloud-Computing-Experten Salesforce ein neues Vertriebssystem. Die Außendienstmitarbeiter sollen ihren Kunden nicht mehr nur Schrauben verkaufen, sondern die dazugehörigen Dienstleistungen gleich mit: Warenbestellung, Lagermanagement.

Neuaufstellung des Managements

Doch um Neues zu gestalten, muss man sich auch von Altem trennen. Nachdem Berner im ersten Jahr praktisch alleine vor sich hingewerkelt hatte, stellte er das Management neu auf. Als Erstes stieß Carsten Rumpf von Brady dazu, dem Weltmarktführer für Arbeitssicherheit. Ein 53-Jähriger arbeitete plötzlich für einen knapp 30-Jährigen. Wie fühlte sich das an? „Christian Berner ist in der digitalen Welt aufgewachsen und zu Hause“, sagt Rumpf heute. „Mit mir hat er sich eine Menge Erfahrung dazu geholt, das ist eine gute Mischung.“

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