Serie Familienunternehmen: Berner Plötzlich Chef mit 27

Im Jahr 2012 wurde Christian Berner völlig überraschend Vorgesetzter von mehr als 9000 Mitarbeitern – da ist er gerade 27 Jahre alt. Kann das gut gehen?

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Christian Berner, Chef der Berner-Group wurde mit 27 Vorgesetzter von 9000 Mitarbeitern. Quelle: David Klammer für WirtschaftsWoche

Im Alter von acht Jahren beschließt Christian Berner, irgendwann mal Chef zu werden. Der Schraubenkonzern seines Vaters ist neben dem Großhändler Würth das zweite Unternehmen von Weltrang aus dem schwäbischen 15.000-Einwohner-Örtchen Künzelsau. Damals wird ein neues Gebäude am Hauptsitz eingeweiht, es gibt ein Fest. Christian Berner sitzt auf dem Schoß seines Vaters und fragt sich, wie er ihm helfen könne. Es geht ihm nicht schnell genug. 19 Jahre später geht es ihm zu schnell.

Berner ist 27, wohnt in Hamburg und schreibt an seiner Promotion über Familienunternehmen, als sein Vater ihn zum Gespräch bittet. Albert Berner ist damals nicht mehr operativ im Unternehmen tätig, sondern leitet den Aufsichtsrat. Stattdessen führt die Gruppe mit Jörn Werner ein externer Manager. Doch als es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, wechselt der im Februar 2012 zum Elektrohändler Conrad Electronic. „Mein Vater, meine Mutter und meine Schwester haben gesagt: Wir brauchen dich jetzt“, sagt Berner.

Dabei hatte er eigentlich andere Pläne: Nach der Promotion lockte ein Job in Hongkong, mindestens zehn Jahre lang wollte Berner in anderen Unternehmen arbeiten, Erfahrungen sammeln, sich außerhalb der Familie beweisen. Sein Vater sieht das anders. Deshalb legt er das Unternehmen mit 9000 Mitarbeitern und einer Milliarde Euro Umsatz in die Hände eines 27-Jährigen.

"Das war eine harte Schule"

Dazu muss man wissen, dass Senior und Junior gut 50 Jahre trennen. Der Vater wurde ungeduldig, denn er wollte den Wechsel seines Sohnes an die Spitze noch miterleben. Wohl wissend, dass er ihm damit eine riesige Last aufbürdet. „Das war die ganz harte Schule, ohne jegliche Erfahrungen einzusteigen“, sagt Christian Berner heute.

Die fünf Erfolgsfaktoren der Familie Berner

Er sitzt an einem großen Konferenztisch aus unbehandeltem Holz im Kölner Rheinauhafen. Das Viertel bestand früher aus brachliegenden Fabrikhallen, inzwischen beherbergen die kernsanierten Gebäude eine Microsoft-Niederlassung, Anwaltskanzleien, Luxuswohnungen – und seit einem Jahr die Berner-Gruppe. Neben dem Vorstand arbeiten hier momentan 80 Mitarbeiter, es sollen aber noch mehr werden.

Von Künzelsau nach Köln

Vor Berner steht ein Latte macchiato, unter ihm liegt helles Parkett, über ihm hängen schwarze Industrielampen, neben ihm blickt man aus bodentiefen Fenstern auf den Rhein. Die verglasten Büros der Vorstände liegen rund um den Konferenzraum. Die Optik, die Transparenz: Das Büro müsste eigentlich im Silicon Valley, mindestens in Berlin-Mitte stehen. Der Schräuble-Berner, wie er in Künzelsau genannt wird, scheint weiter weg als 360 Kilometer.

Tatsächlich war der Umzug eine der schwierigsten Entscheidungen, die Christian Berner als Chef treffen musste. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt bat ihn die Personalleiterin um einen Termin. Sie bekomme nicht genug Bewerber für wichtige Positionen in der IT oder im Marketing. Ein Problem, das mittlerweile fast jedes Unternehmen im ländlichen Raum kennt. Nach Angaben des aktuellen Mittelstandsbarometers der Unternehmensberatung EY sind 49 Prozent der befragten Unternehmen der Meinung, dass ein Mangel an geeigneten Fachkräften den Umsatz senkt. Doch damals hatte Berner genug andere Projekte. Deshalb bat er seine Mitarbeiterin, in zwei Jahren noch einmal wiederzukommen. Sie kam wieder.

Gemeinsam entschieden sie sich für die radikalste Lösung. Ein Teil der Konzernzentrale zieht aus der Provinz in die Großstadt, von Künzelsau nach Köln. „Wir leben in Zeiten der Urbanisierung, Sie bekommen die jungen Leute nicht aufs Land“, sagt Berner, „egal, was Sie ihnen anbieten.“ Das bestätigt auch Peter May, Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management. „Dieser Schritt ist alternativlos“, sagt er. Und: „Immer mehr Familienunternehmen werden ihn gehen.“

Der erste Schock

Für den Betriebsrat und die Mitarbeiter war die Nachricht ein Schock. Die meisten wohnen schon ihr Leben lang in Künzelsau, die Zugezogenen haben sich eingerichtet, oft mit eigenem Häuschen und der Familie. Um den Umzug schmackhaft zu machen, bot Berner den betroffenen Mitarbeitern neben einer Wechselprämie einen Zuschuss zu den Mietkosten, Fahrtkostenerstattungen und Sonderurlaub an. Vor allem einer ließ sich davon zunächst nicht überzeugen: Vater Albert Berner. Um die Gründe zu verstehen, hilft der Blick zurück.

Er ist 21 Jahre alt, als er sich kurz nach der Ausbildung bei seinem heutigen Konkurrenten Würth selbstständig macht. Mit nur 3000 Mark Startkapital beginnt er, Schrauben zu verkaufen, die er selbst auf einem mit blauem Samt bezogenen Karton zur Ansicht befestigt hatte. Bereits im ersten Jahr erwirtschaftete er 300.000 Mark, im darauffolgenden Jahr doppelt so viel, zur Jahrtausendwende lag der Umsatz bei einer Milliarde Mark.

Aus Albert Berner, der mit 13 die Schule verließ und nie eine Uni besuchte, wurde einer der reichsten Menschen Deutschlands. Trotzdem blieb er in der Region tief verwurzelt. Lebt seit seiner Geburt in Künzelsau, ist Ehrenbürger der Stadt, die ein Altersheim und eine Straße nach ihm benennt; war jahrzehntelang im Vereinssport der Gemeinde und im Golfclub aktiv, kennt fast jeden im Ort. Außerdem sitzt er im Beirat der Landesbank Baden-Württemberg, wie fast alle großen Industriellen aus der Region.

Als sein Sohn den Umzug plante, war er geschockt. „Aber er hat meine Entscheidung mitgetragen“, sagt Christian Berner. „Er vertraut mir. Und vor allem: Er hat wirklich losgelassen.“ Anders geht es nicht, sagt Experte Peter May: „Das Loslassen des Vaters ist neben der Kompetenz des Sohnes die wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Übergabe.“

Der Umbau

Beim Umzug bleibt es nicht. Als Christian Berner fünf Monate im Unternehmen ist, startet er den größten Transformationsprozess – entgegen allen Empfehlungen. Der Aufsichtsrat hatte ihm geraten, sich erst mal einzuarbeiten, zu beobachten, das Unternehmen besser kennenzulernen. Berner hat viele Stärken, abwarten und beobachten gehören nicht dazu. Stattdessen beginnt er die Digitalisierung. „Und damit meine ich nicht, iPads auszuteilen“, sagt Berner.

Nächtelang wühlte er sich in alle Bereiche des Unternehmens. Am Ende kannte er jedes IT-System der Holding. „Dieses Knechten in den ersten Monaten hat mir dabei geholfen, einen Plan für die Zukunft zu entwickeln.“ Das beginnt mit profanen Dingen, viele Außendienstmitarbeiter hatten zum Beispiel keine eigene E-Mail-Adresse.

Doch es gab noch komplexere Aufgaben. Berner kümmerte sich um Internetauftritt und Onlineshops, stellte einen E-Commerce-Manager ein, entwickelte eine digitale Strategie für die Lieferketten und zusammen mit dem Cloud-Computing-Experten Salesforce ein neues Vertriebssystem. Die Außendienstmitarbeiter sollen ihren Kunden nicht mehr nur Schrauben verkaufen, sondern die dazugehörigen Dienstleistungen gleich mit: Warenbestellung, Lagermanagement.

Neuaufstellung des Managements

Doch um Neues zu gestalten, muss man sich auch von Altem trennen. Nachdem Berner im ersten Jahr praktisch alleine vor sich hingewerkelt hatte, stellte er das Management neu auf. Als Erstes stieß Carsten Rumpf von Brady dazu, dem Weltmarktführer für Arbeitssicherheit. Ein 53-Jähriger arbeitete plötzlich für einen knapp 30-Jährigen. Wie fühlte sich das an? „Christian Berner ist in der digitalen Welt aufgewachsen und zu Hause“, sagt Rumpf heute. „Mit mir hat er sich eine Menge Erfahrung dazu geholt, das ist eine gute Mischung.“

So geht es weiter

Und so geht es weiter. Seinen Finanzvorstand holte Berner von SCA, einem Hygieneartikelhersteller. Der Supply-Chain-Manager arbeitete vorher bei DHL und Henkel. Außerdem kämpfte er für die Position eines Chief Information Officers, kurz CIO – ein Jobtitel, den man eher bei Start-ups als bei Mittelständlern in der nordschwäbischen Provinz vermutet. „Solche Menschen transformieren das Unternehmen“, sagt Berner. Was logisch klingt, war für das Familienunternehmen eine kleine Revolution. Früher wurden vor allem Leute aus der Branche eingestellt. Eine typische Frage im Bewerbungsgespräch lautete: Haben Sie denn schon einmal Schrauben verkauft?

Das ist Berner völlig egal. „Ich suche intelligente Mitarbeiter mit der richtigen Attitude, alles andere lässt sich lernen“, sagt Berner. Der CIO Christoph Möltgen kam vom E-Commerce-Händler Otto, weiter weg von der Berner’schen Kernkompetenz geht es kaum. Berner: „Aber die Modebranche ist in der Digitalisierung schon viel weiter als wir.“

Die Zukunft

Wenn er noch einmal die alte Welt sehen will, reist Christian Berner nach Duisburg. Dort sitzt Caramba Chemie, seit 2007 vollständig im Besitz der Gruppe. Beim Hersteller von Rostlöser, Bremsenreiniger und allerlei anderer Döschen für Handwerker arbeiten 1100 Mitarbeiter. Berner, blauer Anzug, grüngraue Designer-Brille, Einstecktuch und Krawatte, wirkt in dem trostlosen Verwaltungstrakt etwas deplatziert. Piefiger Teppichboden statt modernes Industrieparkett, Filterkaffee statt Latte macchiato. Egal. „Hier stimmt der Spirit“, sagt er.

Solche Wörter benutzt er gerne. Anstatt großartig sagt er „outstanding“, wenn er etwas gut findet, ist das „geil“. In solchen Momenten wird klar, dass Berner anders tickt als seine älteren Kollegen, die er heute im Duisburger Werk zur monatlichen Besprechung trifft. Er ist mit Facebook und Twitter aufgewachsen, in seinem Büro steht ein Buch des US-Programmierers und Autors Jeff Sutherland. Der Titel, frei übersetzt: „Die Kunst, die doppelte Arbeit in der Hälfte der Zeit zu erfüllen“. Berners unternehmerische Entscheidungen sind geprägt vom Geist des Silicon Valley, nicht von dem der Schwäbischen Alb.

Davon ist an diesem Montagmorgen in Duisburg erst mal nichts zu spüren. Am Tisch sitzen unter anderem Caramba-Geschäftsführer Carsten Rumpf und Reiner Eckhardt, Chef des Tochterunternehmens Kent. Anfang des Jahres wurde eine neue Produktserie vorgestellt, heute sieht der Chef erste Ergebnisse. Christian Berner hört zu, fragt viel, lobt viel – obwohl die große Umstellung hier gemächlicher voranschreitet. „Wenn man uns vor einem Jahr gefragt hätte, was unser Unternehmen ausmacht – wir hätten gesagt: Wir machen den besten Scheibenkleber der Welt“, sagt Eckhardt. „Das hat sich unter Christian Berners Einfluss verändert, heute geht es um die ganze Markenwelt und welche Geschichte wir erzählen wollen.“

Deshalb prangen auf der Caramba-Webseite nicht mehr nur Fotos vieler bunter Döschen. Stattdessen werden dem Nutzer Geschichten erzählt, natürlich multimedial, mit kleinen Videos und Bildergalerien. Ein weiteres Indiz dafür, dass mit Christian Berner ein Hauch Silicon Valley ins Schraubenparadies eingezogen ist.

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