Social Entrepreneurs Wenn Gründer Gutes tun

Lange galten sie als Schmuddelkinder der Gründerszene. Doch soziale Start-ups, denen eine bessere Welt wichtiger ist als Profit, werden professioneller. Ihr Erfolg zeigt: Geschäft und Moral müssen kein Widerspruch sein.

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Der Arzt und Komiker hat das Start-up „Humor hilft heilen“ gegründet. Seine Diagnose: Soziales Engagement macht glücklich. Quelle: Markus Schmidt

Dortmund „Humanmedizin ist heute alles, nur nicht mehr human“, musste Eckart von Hirschhausen in seiner Zeit als Arzt resigniert feststellen. Das wollte er ändern. Der Komiker gründete die gemeinnützige GmbH „Humor hilft heilen“. Die schickt Clowns mit roten Nasen in Krankenhäuser, um Patienten und Personal aufzumuntern. 2016 gründete Hirschhausen „Die Brückenköpfe“ mit. Dort beraten Gesundheitsexperten, vom Ex-Krankenkassenchef bis zum Fußballer Philipp Lahm, Unternehmen und Start-ups , um das Gesundheitswesen für alle besser zu machen.

Dr. Hirschhausens Diagnose ist eindeutig: Gründen macht glücklich. Und vor allem: Soziales Engagement macht glücklich.

Diese Botschaft kam bei den rund 1000 Teilnehmern des Social Impact Summit gut an. Deutschlands größtes Treffen von sogenannten Social Entrepreneurs fand dieses Jahr in Dortmund statt. Bereits 2009 war jede vierte Neugründung in Europa ein Sozialunternehmen, ermittelte die EU-Kommission. Lange wurden Unternehmer, für die Moral wichtiger ist als Profit, als weltfremde Idealisten belächelt. „Früher waren soziale Start-ups die Schmuddelkinder der Gründerszene“, sagt Martina Köchling, Leiterin für verantwortliches Unternehmertum bei der KfW-Stiftung. Diese hätten sich inzwischen stark professionalisiert und gäben heute wichtige Impulse.

Es brauche aber noch mehr Leuchttürme, fordert sie. „Mit dem technologischen Wandel gibt es immer mehr Brüche in der Gesellschaft, hier könnten soziale Start-ups wichtige Brücken bauen“, ist Markus Sauerhammer von der Crowdfunding-Plattform Startnext überzeugt.

Ideen für soziale Start-ups entstehen oft aus persönlicher Betroffenheit: Steffen Preuß‘ Großmutter leidet an Alzheimer, er konnte kaum noch mit ihr kommunizieren. Deshalb entwickelte er mit seinen beiden Mitgründern von Icho eine interaktive Therapiekugel für Demenzkranke. Die reagiert mit Klang, Licht und Vibration auf alle äußeren Reize und kann auch Märchen erzählen. „Meine Oma lebte auf, als beim Schütteln der Kugel ihr geliebter Roy Black sang“, sagt Preuß. Die Kugel soll bald marktreif sein und samt interaktiven Programmen 32 Euro im Monat kosten. Auch für Behinderte, Depressive und in der Reha sei die blinkende Kugel geeignet.

Unterstützung für diese Geschäftsidee fand Icho im Social Lab in Duisburg. Bundesweit gibt es elf Standorte, die Gründer mit sozialen Ambitionen coachen. Seit 2011 wurden 426 soziale Gründer begleitet. Jeder zweite ist eine Frau – deutlich mehr als in anderen Start-ups, wo die Frauenquote der Gründer laut Start-up-Monitor bei nur 14,6 Prozent liegt.

„Das Social Lab ist der größte Inkubator für soziale Start-ups in Europa“, sagt Dirk Sander, Organisator des Impact Summit vom Social Lab in Duisburg. Das Lab in der Ruhrmetropole wird unter anderem vom Traditionsunternehmen Haniel unterstützt. Axel Gros, Direktor Finanzen von Haniel, sagt: „Innovationskraft, Leistungsbereitschaft und soziale Verantwortung haben das unternehmerische Denken und Handeln von Haniel seit 260 Jahren geprägt.“ Jetzt müssten neue, innovative Unternehmen nachkommen. Das Social Lab auf dem Haniel-Campus sei für beide Seiten eine Win-win-Situation.

Deutschland hat eine lange Tradition von Sozialunternehmern – angefangen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der im 19. Jahrhundert die Genossenschaftsbewegung mit anstieß. Die Raiffeisenorganisation gründete er für arme Bauern, die gemeinsam günstiger einkaufen konnten. Der „grüne Kredit“ sah vor, dass sie Saatgut und Dünger mit der späteren Ernte bezahlten.

Für die Ärmsten der Armen engagiert sich auch Maxie Matthiesen mit ihrem Unternehmen Rubycup. Millionen von Mädchen weltweit gehen nicht zur Schule, weil sie sich keine Binden leisten können. „Menstruation ist immer noch ein Tabu und hält Frauen von Bildung fern“, sagt Matthiesen, die zwei Jahre in den Slums von Nairobi gearbeitet hat. Sie hat eine alte Erfindung aus den 30er-Jahren wiederbelebt und modernisiert. Die Menstruationstasse Rubycup ist aus Silikon, wird wie ein Tampon eingeführt, sammelt das Blut im Körperinnern. Sie ist leicht zu reinigen und kann zehn Jahre benutzt werden. Das spart 12.000 Tampons.


Hundefutter aus Insekten und Jobs für Autisten

Allerdings scheiterte Matthiesens Idee, Rubycup an Frauen in armen Ländern zu verkaufen. „Sie können sich die Tasse nicht leisten, obwohl sie nur so viel kostet wie Binden für fünf Monate.“ Deshalb arbeitet sie jetzt mit Spenden. 33.000 Tassen hat sie schon verteilt und damit die Bildungschancen von vielen Mädchen erhöht.

Der Arzt Frank Hoffmann hat Discovering Hands gegründet. „Blinde haben einen extrem trainierten Tastsinn“, sagt er. Er hat blinde Frauen ausgebildet, die auch kleinste Tumore in der Brust ertasten können. Das hilft doppelt: Die blinden Frauen haben eine wichtige Arbeit und Kontakt. Zugleich retten sie Leben.

Tom Bieling von Lorm Hands hat einen Handschuh entwickelt, mit dem Taubblinde über weite Entfernungen kommunizieren können. Bisher verständigten sie sich mit dem Lorm-Alphabet, das mit dem Finger auf die Hand gezeichnet wird. Der Handschuh mit Sensoren übersetzt diese Zeichen in Buchstaben, die per SMS oder Mail verschickt werden. Die Antworten kommen als Berührungsimpulse auf dem Handschuh an. „Das verschafft Taubblinden viel Unabhängigkeit“, sagt Gründer Bieling.

Doch auch kommerzielle Geschäftsmodelle können helfen, die Welt ein wenig zu verbessern. Futterzeit etwa bietet Hundefutter ohne Fleisch an – stattdessen enthält es 30 Prozent Insektenprotein, Kräuter und Gemüse. Acht Millionen Hunde leben allein in Deutschland, die im Schnitt dreimal so viel Fleisch essen wie Menschen. Das Futter „Alleskönner“ soll helfen, die Massentierhaltung zu begrenzen und die Umwelt zu schonen.

Der Reiseanbieter Bookitgreen.com vermittelt nachhaltige Reisen. Gründer Moritz Hintze fuhr schon als Kind mit seinen sechs Geschwistern immer auf einen Biobauernhof am Bodensee. 100 Millionen umweltbewusste Lohas (Lifestyle of Health and Sustainability) gibt es weltweit. Sie geben für Reisen im Schnitt 600 Dollar mehr aus und bleiben drei Tage länger. Viele haben aber Probleme, nachhaltige Unterkünfte zu finden. Von denen gibt es in Europa rund 50.000. Bookitgreen.com ist im Juli gestartet, nimmt zehn Prozent Provision und pflanzt pro gebuchter Nacht einen Baum.

Einer der Leuchttürme unter den sozialen Start-ups ist Auticon, eine IT-Beratung von Autisten. Beim Sohn von Gründer Dirk Müller-Remus wurde erst eine Hochbegabung diagnostiziert, dann das Asperger-Syndrom, eine leichte Form des Autismus. Deren soziale Interaktion ist gestört, dafür haben Autisten ganz besondere Begabungen wie Mustererkennung. Das Schlüsselerlebnis hatte Müller-Remus, als er eine Selbsthilfegruppe von Autisten besuchte: Die waren hochqualifiziert, aber alle arbeitslos. 85 Prozent aller Autisten im Arbeitsalter sind ohne Job. Das kostet den deutschen Staat sieben Milliarden Euro im Jahr. Die USA zeigen, dass es anders geht. „30 Prozent der Entwickler im Silicon Valley sind Autisten“, so Müller-Remus.

2011 gründete er mit seiner Frau Auticon. Die IT-Beratung beschäftigt heute 125 Autisten an sieben Standorten in Deutschland und auch in London und Paris. Allerdings ist nur jeder zehnte Autist von IT begeistert. Also hat Müller-Remus nun ein weiteres soziales Start-up gegründet: Diversicon, eine Zeitarbeitsfirma, die Autisten coacht, ausbildet und an Firmen vermittelt. „Unternehmen sind viel offener geworden“, freut sich Müller-Remus. Er hat viel vor: In sieben Jahren will er mit Diversicon 1000 Jobs für Autisten schaffen.

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