Die Scheiben sind abgedunkelt. Vom öffentlichen Spazierweg, der entlang der Wupper durch das waldige Tal verläuft, soll niemand hineinschauen ins „Allerheiligste“. So nennt Thomas Rodemann, Forschungs- und Technikchef bei Vorwerk, die Thermomix-Laborküche. Permanent wird hier am wichtigsten Produkt des Unternehmens getüftelt. „Der Thermomix 31 war zehn Jahre unverändert“, sagt der 53-Jährige: „So lange wird es bis zur Weiterentwicklung des TM5“ – des aktuellen Modells, das vor zwei Jahren auf den Markt kam – „nicht dauern.“
Die sechs Sparten von Vorwerk
Die kultige Küchenmaschine ist seit 2014 der Hauptumsatzbringer von Vorwerk. Sie erwirtschaftete mit 920 Millionen Euro (+ 15 Prozent) genau ein Drittel des Umsatzes. Das Gerät wird seit 1961 produziert. Das neue digitale Modell TM5, das im September überraschend auf den Markt kam, hat eine unerwartet hohe Nachfrage. Die Wartezeit in Deutschland beträgt derzeit 13 Wochen. In zwei Jahren soll die Produktion auf zwei Millionen Stück im Jahr verdoppelt werden. Der Thermomix wird nur über weltweit 34.500 Beraterinnen vertrieben.
Der Kult-Staubsauger wurde 2014 erstmals vom Thermomix überholt, obwohl der Umsatz des Kobold um fast fünf Prozent auf 898 Millionen Euro deutlich stieg. Seit 2011 wird der Kobold in Deutschland nicht mehr nur über Vertreter, sondern auch über 34 Läden und einen Online-Shop vertrieben.
Seit 2004 gehört Jafra zur Vorwerk Gruppe. Der Stammsitz ist in Kalifornien. Die Kosmetika werden hauptsächlich in Mexiko, den USA und Brasilien vertrieben. Wegen schwacher Nachfrage in Mexiko sank der Umsatz 2014 um sieben Prozent auf 427 Millionen Euro.
Der Finanzierer für den Mittelstand bietet Leasing, Kredite und andere Finanzdienstleistungen für diverse Branchen wie Automobil, Yachten und Agrartechnik. Der Umsatz wuchs 2014 leicht auf 405 Millionen Euro. Das Neugeschäft zog deutlich an. Die Bilanzsumme stieg auf 1,6 Milliarden Euro.
Bodenbeläge sind die Keimzelle des Traditionsunternehmen, das 1883 unter dem Namen Barmer Teppichfabrik Vorwerk & Co in Wuppertal gegründet wurde. Die Teppichsparte machte zuletzt 88 Millionen Euro Umsatz. 2014 hatte Vorwerk die Werke der insolventen Marke „Nordpfeil“ übernommen.
In Südostasien vertreibt Vorwerk Wasserfilter, Luftreiniger und Staubsauger. Der Umsatz sank 2014 auf 28 Millionen Euro. Künftig will sich das Unternehmen stärker auf Filter- und Reinigungstechnik fokussieren.
Der Thermomix ist ein acht Kilo schwerer Mix-, Pürier- und Kochapparat, mit dem auch Küchenlaien Mahlzeiten zustande bringen. Und ein gigantischer Erfolg. 2015 wuchs der Thermomix-Umsatz international um 50 Prozent auf mehr als 1,4 Milliarden Euro. Rund 1,35 Millionen der Küchengeräte dürfte Vorwerk in diesem Jahr weltweit verkaufen. Der Thermomix-Umsatz etwa in Deutschland wächst 2016 immer noch um rund 20 Prozent und treibt den Vorwerk-Gesamtumsatz in diesem Jahr voraussichtlich über die Rekordmarke von vier Milliarden Euro hinaus.
2014 setzte Vorwerk mit dem Produkt, für das inzwischen vier Zeitschriften Rezepte veröffentlichen, erstmals mehr um als mit den Kobold-Staubsaugern, die die Wuppertaler seit 1930 im Programm haben und die ihr Image prägten. Fast die Hälfte des Geschäfts aber hängt heute am Thermomix-Boom. Die Gewinne daraus wollen die Vorwerk-Manager in Firmenkäufe investieren – auch um weniger abhängig von ihrem Bestseller zu werden.
Der aber wird gleichzeitig verbessert. Früher seien beim Thermomix und anderen Produkten hauptsächlich die Motoren, die Elektronik und die Produktionsprozesse weiter entwickelt worden, sagt Rainer Genes, der vor einem Jahr von Daimler zu Vorwerk kam und im Gremium der drei Persönlich Haftenden Gesellschafter Technik und Strategie voranbringen soll. Den Thermomix der Zukunft werde Vorwerk nun vor allem um Servicefunktionen ergänzen, sagt Genes.
Seit Kurzem ist etwa der Cook-Key erhältlich, mit dem per WLAN Rezepte direkt auf das Display des TM5 gesendet werden. Ähnliche Innovationen gibt es auch bei den Staubsaugern. So lässt sich der Kobold Saugroboter VR200 demnächst per App bequem vom Handy aus steuern. Änderungen am Design findet Forschungschef Rodemann dagegen überflüssig. Farbvarianten würden den Vertrieb unnötig verkomplizieren, sagt er: „Wir machen keine Gimmicks.“
Aber neue Produkte. So soll der Akku-Bastelwerkzeug-Linie Twercs 2017 eine weitere intern entwickelte Produktinnovation folgen. Vor allem aber soll Vorwerk durch Zukäufe wachsen. Schätzungsweise eine Milliarde Euro liquide Mittel kann das Unternehmen investieren. Reiner Strecker, der am längsten amtierende Persönlich Haftende Gesellschafter, grenzt die Akquiseziele großzügig ein: Sie müssten „zum Umfeld Haushalt und Wohnen passen“. Neu vor allem: Die Direktvertriebsspezialisten interessieren sich laut Strecker bei der Akquise nun auch für Unternehmen, die ihre Produkte im Einzelhandel feilbieten.
Abschied vom Hausbesuch
Für Vorwerk ist das ein Paradigmenwechsel. Staubsauger, Thermomix und Twercs vertreibt das Unternehmen bisher ausschließlich über eigene Vertreter und seit einigen Jahren über eine eigene Ladenkette. Allein in Deutschland verkaufen 16.000 sogenannte Thermomix-Repräsentanten die 1200 Euro teure Küchenmaschine bei Wohnzimmerpartys, 2600 Vertreter sind für die Hand- und Roboterstaubsauger unterwegs. Der Vorteil für Vorwerk: Das Unternehmen muss seine Gewinne bisher nicht mit Groß- und Einzelhandelskonzernen teilen.
Als Übernahmeziele sieht Strecker aber auch andere Familienbetriebe, deren Eigentümer an einen Verkauf denken – „etwa weil sie Nachfolgeprobleme haben“.
Vorwerk selbst hat das geregelt. Das Unternehmen gehört der Gründerfamilie um den Ehren-Beiratsvorsitzenden Jörg Mittelsten Scheid. Ein starker familieneigener Nachfolger für den 80-Jährigen, der lange das Unternehmen kontrollierte, ist nicht in Sicht. In dem Aufsichtsgremium sitzen zwar Mitglieder der Familie, doch geführt wird es seit 2013 von einem Familienfremden: Rainer Baule, ehemaliger Vorstandschef der Fresenius Kabi AG. Der Ex-Daimler-Manager Genes wurde bereits seit 2007 als Mitglied des Beirats an Vorwerk herangeführt.
Die externen Manager müssen das rasante Wachstum bewältigen. Nach dem Ausbau der Motorenproduktion und der Erweiterung der Thermomix-Produktion in Wuppertal und Frankreich investieren sie „weitere 100 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren“ in die Produktionsstätten und in ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum in Wuppertal-Laaken. Durch Aus- und Neubauten wachse der Standort „um ein Drittel“, sagt Manager Genes. Forschungschef Rodemann erweitert allein das zehnköpfige Softwareteam auf „etwa 20 eigene Mitarbeiter und weitere externe Spezialisten“.