Mode Deutsche Modemarken: Begehrt bei Ästheten und Heuschrecken

Jenseits der Querelen bei Boss oder Escada hat sich die deutsche Mode an die Weltspitze geschoben. Die Unternehmen sind begehrt bei Finanzinvestoren.

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Claus-Dietrich Lahrs Quelle: AP

Das also soll es sein? Statt des vornehmen Pariser Modebezirks zwischen dem Seine-Ufer und den Champs-Élysées der Blick auf das Gewerbegebiet von Metzingen am Rande der Schwäbischen Alb? Keine Dependancen der Pariser Modezaren rund um die Avenue Montaigne, sondern bunkerähnliche Gebäude schnöder Fabrikverkäufer. Ein Abstieg, keine Frage, jedenfalls beim Glamourfaktor.

Claus-Dietrich Lahrs, bis vor Kurzem Geschäftsführer bei Dior Couture in Paris, soll nicht sehr begeistert gewesen sein, als er gefragt wurde, ob er sich für den Job des Vorstandsvorsitzenden bei dem schwäbischen Modekonzern Hugo Boss interessiere. Deutschland habe nicht genügend wirkliche Luxusmarken in der Mode, fand Lahrs. Dann überlegte er es sich trotzdem anders: Vor drei Wochen trat er seinen Dienst an. Das Angebot, ein Jahresgehalt von drei Millionen Euro plus Gewinnbeteiligung, war zu lukrativ und Schmerzensgeld genug.

Turbulenzen bei Escada und Boss vermitteln falsches Bild

Lahrs’ Bestellung zum neuen Boss-Chef war ein absurdes Theater vorausgegangen. Sein Vorgänger Bruno Sälzer hatte sich schon kurz nach dem Einstieg der Beteiligungsgesellschaft Permira bei Boss im vergangenen Jahr mit den neuen Herren angelegt und war – nachdem diese sich eine Dividendenerhöhung nebst Sonderdividende gegönnt hatten – gegangen, ebenso Logistik-Vorstand Werner Lackass. Kosten der Abfindung: rund 14 Millionen Euro.

Sälzer und Lackass reihten sich nicht unter die Frührentner ein. Sie wechselten nach ihrem Abgang von Boss zum notleidenden Damenmodekonzern Escada – und nahmen eine ganze Riege von Boss-Managern mit. In das Münchner Unternehmen war vor fünf Jahren der russischstämmige Oligarch Rustam Aksenenko eingestiegen und hatte drei Vorstandschefs verschlissen. Jetzt soll Ruhe in den Laden kommen. Dafür will die Hamburger Kaffeedynastie Herz (Tchibo) sorgen, die Anteile in Höhe von 26 Prozent an Escada erworben hat.

Gefeuerte Manager mit goldenen Fallschirmen, fehlender Glamour, gierige Eigentümer, reiche Russen und ein Kaffee-Erbe – die Turbulenzen bei Boss und Escada erwecken den Anschein, als ob die deutsche Modeindustrie von Krisen geschüttelt sei. Dabei ist das Gegenteil der Fall: So gut wie heute ging es der deutschen Mode seit Langem nicht mehr.

Hochprofitable Unternehmen auch jenseits der Supermarken

Bei einer Weltmarke wie Adidas läuft es hervorragend, und auch wenn Puma und Boss beim operativen Ergebnis des ersten Halbjahres hinter den Vorjahreszeitraum zurückfielen, stehen beide gesund da. Jil Sander scheint unter Kreativchef Raf Simons aus der Schieflage herauszukommen, sodass der japanische Modehersteller Onward vor wenigen Tagen bereit war, das Hamburger Unternehmen der britischen Beteiligungsgesellschaft Change Capital Partners abzukaufen. Ebenso geht es mit der Nobelmarke Strenesse wieder aufwärts. Doch auch jenseits der Supermarken haben sich klammheimlich eine Reihe von hochprofitablen Modeunternehmen etabliert, die teilweise seit Jahren beim Umsatz zweistellig zulegen. „Deutschland ist ein unterschätztes Modeland“, sagt Philip Beil, Modeexperte bei der Münchner Beratung Roland Berger. Tatsächlich rangiert Deutschland weltweit als zweitgrößtes Modeexportland direkt hinter Italien.

Unternehmen wie die beiden Sportmarken Adidas und Puma, wie Boss und der in Hongkong an der Börse notierte Esprit-Konzern aus Ratingen bei Düsseldorf machen mehr als 70 Prozent ihres Geschäftes jenseits der deutschen Grenzen. Marken wie Joop, Tom Tailor oder Gerry Weber kommen immerhin auf über 40 Prozent Auslandsumsatz – Tendenz steigend.

Lange fehlte der heimischen Modeszene der Kern. Es fehlte der Ort, an dem die Fäden zusammenlaufen, ein Kreativzentrum vergleichbar mit Paris, Mailand oder New York. Zwar findet seit jeher mit der CPD die weltweit bedeutendste Modemesse in Düsseldorf statt. Doch die Schauen in der Rheinstadt spielen in puncto Glamour stets in einer anderen Liga als die Fashionshows in den internationalen Modehochburgen.

Berliner Fashion Week hat sich etabliert

Doch langsam fängt Deutschlands Modeszene an, glanzvolle Ereignisse zu entwickeln. So besteht Hoffnung, dass die halbjährlich stattfindende Berlin Fashion Week, erst im vergangenen Sommer gestartet, sich neben den großen Plätzen etabliert. Bei der Gründung hatten viele Modeleute das baldige Ende der Schau vorausgesagt. Selbst Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hatte bei der ersten Fashion Week darauf verwiesen, dass „New York auch Jahrzehnte brauchte, um die Modemetropole zu werden, die sie heute ist“.

Von einem Ende redet keiner mehr. Jetzt schon, nach der dritten Runde, gilt die Berlin Fashion Week in der internationalen Modeszene als unverbrauchte Schau – auch wegen ihrer Laufstege durch das Brandenburger Tor oder mitten auf Berlins Prachtallee Unter den Linden.

Längst verstummt ist auch das Genöle über deutsche Mode, die in Madrid, Moskau und erst recht in Mailand nicht an die Frau oder den Mann zu bringen sei, weil Deutschland als Modeland schlicht unsexy sei. Heute gehen die Marken mit ihrer deutschen Herkunft ganz entspannt um. Oder sie schmücken sich geradezu damit wie Joop. „Unsere deutsche Herkunft ist wichtig für uns, sie ist integraler Teil unserer Marke“, sagt Joop-Chef Lars Schöneweiß.

Branche ist selbstbewusster

Aber auch die umgekehrte Tour funktioniert, um Mode made in Germany abzusetzen. Marken wie Carlo Colucci, s.Oliver oder Tom Tailor verbergen ihre teutonische Herkunft hinter angelsächsischen oder italienischen Namen. „Viele Verbraucher halten uns für eine amerikanische Marke“, sagt Tom-Tailor-Chef Dieter Holzer.

„Die Branche ist selbstbewusster geworden“, glaubt Thomas Lange, Geschäftsführer des Modeverbandes German Fashion. Wenig erstaunlich: 2007 ist mit einem Umsatzplus von fünf Prozent gut gelaufen. Und in diesem Jahr wollen die deutschen Modehersteller noch einmal rund sechs Prozent drauflegen. Die weltweit lahmende Konjunktur schreckt sie vorerst nicht. „Die Bestellungen für Herbst und Winter liegen doch schon vor“, sagt Lange.

Dabei ist der Heimatmarkt alles andere als einfach. Der deutsche Modeeinzelhandel stagniert seit Jahren. Seit 1997 verharren die Ladenpreise auf dem gleichen Stand, während die Kosten steigen. Weniger als ein Prozent des Umsatzes verbleibt als Überschuss in der Kasse der Händler.

Immer mehr Modefachhändler geben daher auf, etliche melden Konkurs an – wie zuletzt etwa die Bekleidungsketten SinnLeffers oder Wehmeyer, die zusammen mehr als 5000 Menschen beschäftigten. Gab es 2002 noch rund 32.000 Fachhändler mit Bekleidung in Deutschland, so waren es vier Jahre später nur etwa 27.000.

Am Rande der fränkischen Gemeinde Rottendorf, wenige Kilometer vor Würzburg steht ein futuristisch anmutender Neubau. „s. Oliver“ ist in meterhoher Schrift über dem Eingang auf der Glasfassade zu lesen. Im Inneren riecht es nach Farbe und Zement. „Unsere neue Hauptverwaltung“, sagt Mathias Eckert, Vertriebsleiter Großhandel bei s.Oliver, „Anfang August sind wir eingezogen.“

Eckert ist Baustellengeruch gewöhnt: s.Oliver, Ende der Sechzigerjahre aus einem Modeshop in Würzburg entstanden, hat in den vergangenen Jahren nach und nach fast das gesamte Gewerbegebiet bei Rottenburg übernommen. Und allein in diesem Jahr wird das Unternehmen, das noch immer Gründer Bernd Freier führt, 30 neue Läden eröffnen.

Platz kann der Modehersteller, der vom Strampelhöschen bis zum Nadelstreifen-Sakko fast alles anbietet, brauchen. Innerhalb von zehn Jahren schraubte die Modemarke ihren Umsatz um mehr als das Dreifache auf 1,05 Milliarden Euro. Dabei macht Sir Oliver, wie Gründer Freier das Unternehmen zu Anfang wegen seiner Liebe zu der Romanfigur Oliver Twist getauft hatte, nur ein Viertel seines Umsatzes im Ausland. „Man kann auch in Deutschland ordentlich zulegen, wenn man es nur richtig macht“, sagt Vertriebsmann Eckert. „Wir setzen die Idee der Vertikalen auf unsere Verhältnisse um.“

Als „Vertikale“ bezeichnet die Branche Konzerne wie Zara, Esprit oder Hennes & Mauritz, die die selbst produzierte oder meist in Billiglohnländern beschaffte Mode in selbst geführten Läden oder auf eigenen Flächen in Kaufhäusern vertreiben. s.Oliver gehört, genau genommen, nur teilweise dazu. Der fränkische Konzern verkauft den größten Teil seiner Outfits über unabhängige Händler, ist aber mit den Läden durch EDV so verkoppelt, dass die Designer in Rottendorf genau wissen, was in den Läden ankommt. „Wir drücken nicht unsere Mode in den Markt, sondern denken das Geschäft von der Verkaufsfläche, vom Endkunden her“, sagt Eckert.

Schneller Wechsel der Kollektion, den Finger am Puls des Endverbrauchers und komplette Kontrolle über Produktion, Beschaffung und Vertrieb – mit diesem Konzept sind Vertikale wie das schwedische » Modehaus Hennes & Mauritz und die spanische Marke Zara in Deutschland groß geworden. Am Anfang schienen die einheimischen Hersteller über den Zangenangriff aus Nord und Süd wie in Schockstarre gefallen.

Doch ab Mitte der Neunzigerjahre kopierten die Deutschen die Ideen, obgleich sie weiterhin einen großen Teil ihrer Kollektion über unabhängige Einzelhändler vertrieben. Sie verbanden ihre Beschaffung und Entwicklung mit den Kassen der Händler, sodass sie mit den selbstständigen Geschäften ähnlich eng zusammenarbeiten wie die Vertikalen mit ihren eigenen Läden. „Unternehmen, die es geschafft haben, Vertrieb und Produktentwicklung zu integrieren, haben im Wettbewerb die Nase vorn; davon gibt es in Deutschland inzwischen einige“, sagt Kerstin Lehmann, Partnerin bei der Beratung OC&C in Düsseldorf, und verweist auf s.Oliver, Esprit oder Gerry Weber, die sich längst zu sogenannten Quasi-Vertikalen gemausert haben.

"Der Handel verdient mit uns Geld und ist deshalb bereit, uns mehr Flächen in den Läden zur Verfügung zu stellen“, sagt Unternehmensgründer und Vorstandsvorsitzender Gerry Weber des gleichnamigen ostwestfälischen Modekonzerns. Im laufenden Geschäftsjahr wird Weber den Umsatz voraussichtlich um rund 15 Prozent auf fast 580 Millionen Euro steigern. Im vergangenen Halbjahr stieg der Konzernüberschuss um fast 50 Prozent auf rund 16 Millionen Euro. Weber begnügt sich – wie andere deutsche Modekonzerne – nicht mit der Quasivertikalisierung. Zusätzlich baut der Modeunternehmer aus Halle in Westfalen den Handel in eigenen Läden und in Franchiseläden aus. Rund 220 „Houses of Gerry Weber“ existieren bereits, allein in diesem Jahr sollen 90 weitere dazukommen.

Gerry Weber verdient einen Großteil seines Geldes mit Mode im gehobenen Mittelpreissegment für Damen über 40. Auch hier unterscheidet sich Weber nicht von deutschen Modemachern wie Tom Tailor, Marc O’Polo oder Multiline: Während weltweit mittelpreisige Mode zugunsten der Luxusmarken oder der Discounter leidet, machen die Deutschen gerade dort ihr Geschäft. So hat es etwa Esprit geschafft, hinter Zara und Hennes & Mauritz zum drittgrößten europäischen Modekonzern aufzusteigen. Thomas Grote, Präsident der Marke Esprit: „Für mich ist das Gerede von der toten Mitte Quatsch – wir leben sehr gut darin.“

Finanzinvestoren bei Modehäusern oft erfolgreich

Dass deutsche Mode Geld einbringt, haben die Beteiligungsgesellschaften früh mitbekommen. Boss, Escada, Tom Tailor, der Hemdenschneider Eterna liegen teilweise oder ganz in Händen von „Heuschrecken“, wie die Finanzinvestoren vielfach verschrien sind. Der Celler Modekonzern CBR (Marken: Street One, Cecil, One Touch) und der Billigheimer Takko machten sogar schon zweimal die Bekanntschaft mit Finanzinvestoren.

Meist funktioniert die Zusammenarbeit der Nadelstreifenmanager aus London und Frankfurt mit Modeleuten besser, als die jüngsten Querelen bei Escada und Boss glauben machen. „Kreative Modemacher und zahlenorientierte Finanzmanager ergänzen sich – wenn die Chemie stimmt – ideal“, sagt Roland-Berger-Berater Beil. Der Einstieg der Finanzleute führe meist in kurzer Zeit zu klaren Strukturen und mehr Transparenz.

Tatsächlich haben sich Konzerne wie CBR oder Tom Tailor unter der Ägide von Private Equity nicht schlecht entwickelt. Bei Tom Tailor machte der Auslandsumsatz vor drei Jahren zum Zeitpunkt des Einstieges des Frankfurters Finanzinvestors Alpha, der auch bei Eterna engagiert ist, nur 20 Prozent aus. Heute liegt der Exportanteil doppelt so hoch. „Unser Ziel ist es, den Auslandsanteil auf über 50 Prozent zu steigern“, sagt Tom-Tailor-Chef Holzer.

Erfolgsbeispiele Tom Tailor und CBR

Vor allem den Ausbau der Tom-Tailor-Läden beschleunigte Holzer: Bei seinem Antritt vor zwei Jahren fand er 35 Läden vor, in zwei Jahren sollen es 250 sein. Die Ergebnisse des Umbaus lassen sich sehen: Vergangenes Jahr stieg der Umsatz um 20 Prozent auf 261 Millionen Euro, der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um mehr als ein Drittel auf 36 Millionen Euro. Für Alpha-Chef Thomas Schlytter-Henrichsen ist das Ende der Bergfahrt noch nicht erreicht: „Die Marke hat ein Umsatzpotenzial von über einer Milliarde Euro.“

Auch CBR scheint unter dem Heuschreckenbefall nicht zu leiden. CBR, Ende 2004 von den Beteiligungsfirmen Cinven und Apax erworben, ging Anfang vergangenen Jahres an die Investmentgesellschaft EQT der schwedischen Industriedynastie Wallenberg. Seit dem Einstieg der Investoren 2005 hat CBR jährlich zweistellig auf 700 Millionen Euro zugelegt.

Die Frage, ob der Einstieg in den Modemacher durch den Entzug von Unternehmenskapital finanziert worden sei, kontert EQT-Partner Sumeet Gulati: „Wir wollen das Unternehmen doch wachsen lassen, und das können wir nicht, indem wir Kapital entziehen.“

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