Motorsägen Das Kettensägenmassaker

Mit 99-Euro-Billigheimern gefährden Baumärkte die Gesundheit ihrer Kunden. Eine große Testaktion enthüllt schwere Sicherheitsmängel. Erste Kettensägen werden bereits aus dem Verkehr gezogen. Von WirtschaftsWoche-Redakteur Christian Ramthun.

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Reklamierte CMI-Kettensägen bei Obi

Sie sind billig, qualmig und gefährlich. Eine blaue Einhell-Kettensäge bei Praktiker oder eine CMI C-BKS 45,4-40 von Obi zum Beispiel, jeweils für 99,99 Euro und beide beim Sicherheitstest durchgerasselt. Oder eine Turbo Silent von Toom – ebenfalls zum Schnäppchenpreis, aber ein Stinker aus dem Herstellungsjahr 2004 (!), der die heutigen Abgasgrenzwerte um ein Mehrfaches überschreitet.

Deutschlands Baumärkte verkaufen Motorsägen, die reihenweise gegen Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz verstoßen.

Das ermittelte die Marktaufsicht beim Regierungspräsidenten Freiburg in einer groß angelegten Untersuchung. Die Ergebnisse werden derzeit bei der baden-württembergischen Umweltministerin Tanja Gönner aufbereitet.

Die für die Produktsicherheit zuständige Ministerin will in den nächsten Tagen gegen die Missstände vorgehen und auch ihre Länderkollegen bundesweit informieren.

Mal brachen die Handgriffe, mal versagten die Kettenbremsen

Von den geprüften 15 Modellen fielen bei den Freiburger Tests 12 durch, darunter sämtliche für 99,99 Euro oder gar darunter angebotenen Billigheimer – ein regelrechtes Kettensägenmassaker.

Mal brachen die Handgriffe, mal versagten die Kettenbremsen.

Besonders erschreckend: Die Geräte stammen aus Baumärkten mit Rang und Namen, die Deutschlands Heimwerker mit Vertrauen und Kompetenz heischenden Werbebotschaften überfluten. Obi, Praktiker, Bauhaus, Globus, Toom, Hela, Jago und Primotech stehen auf der Liste des Schreckens.

Wie gefährlich die dabei dokumentierten Mängel sind, zeigt auch ein Video, in dem der deutsche Sägenhersteller Stihl einen Vergleichstest mit einer Stihl-Säge und einem China-Gerät mit dem Handelsnamen "PowerHaus KW 6500" aufzeichnet (http://www.stihl.de/warnung-vor-nicht-konformen-motorsaegen.aspx).

Die WirtschaftsWoche machte einen eigenen Praxistest und besuchte an einem Tag im Dezember sechs verschiedene Baumärkte in Berlin.

In jedem der Do-it-yourself-Tempel wurde die WiWo fündig. 

In den Regalen fanden sich nicht nur Motorsägen, die bei den aktuellen Sicherheitsprüfungen durchgefallen sind. Auch andere Gefahren wurden augenscheinlich. So dürfen Einhandsägen nicht frei verkauft werden, heißt es bei der Europäischen Marktüberwachung (ICSMS).

Und nach einem Beschluss der deutschen Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik erhalten solche Geräte, die für professionelle Baumkletterer gedacht sind, seit einem Jahr kein GS-Zeichen ("Geschützte Sicherheit") mehr.

Die so genannten Top Handles dürfen daher nur in Fachgeschäften von speziell geschultem Personal verkauft werden.

Trotzdem fand die WirtschaftsWoche beispielsweise bei Hornbach in der Hauptstadt eine Hitachi Top Handle, die gleich im Eingangsbereich feilgeboten wurde. Die Hornbach-Zentrale teilte der WiWo daraufhin auf Anfrage mit, dass es mittlerweile einen Warnhinweis gäbe: „Top-Handle-Motorsägen sind nur für in der Baumpflege geschulte Anwender vorgesehen.“ Außerdem seien die Hornbach-Märkte angewiesen worden, diesen Hinweis an den Sägen entsprechend deutlich sichtbar anzubringen.

Zu sehen war im Eingangsbereich allerdings keiner.

Der Baumarktriese Obi pries eine Top Handle sogar als Sonderangebot für 69,99 Euro an. Dieses Modell fiel gerade bei einem Test des Kuratoriums für Waldarbeit und Forsttechnik durch, nachdem das Regierungspräsidium Darmstadt ein baugleiches Gerät bereits vor zwei Monaten aus dem Verkehr gezogen hatte.

Die 99-Euro-Schnäppchen stammen durchweg aus China

Auf Nachfrage der WirtschaftsWoche erklärte Obi inzwischen, man besitze für das angebotene Modell "ein gültiges Zertifikat".

Praktiker kündigte dagegen Konsequenzen aus dem Test der Freiburger Marktaufsicht an. Die Baumarktkette will etwa die kritisierte Säge der Eigenmarke "Budget" aus dem Verkehr ziehen.

Bei den Motorsägen in den Baumärkten kommen weitere Kritikpunkte hinzu.

Ein Teil der Billigheimer erfüllt nicht die aktuellen Euro-II-Abgasnormen. Bei einigen fehlt die Abgastypgenehmigungsnummer völlig, andere liegen mit ihrem Schadstoffausstoß erheblich über den modernen Grenzwerten.

Das ist für diejenigen Hersteller wie Dolmar, Husqvarna und Stihl misslich, die mit Millionenaufwand neue Motorenreihen entwickeln, um die scharfen Abgasgrenzwerte einzuhalten.

Die 99-Euro-Schnäppchen stammen durchweg aus China. Dort bieten diverse Hersteller, viele aus dem Großraum rund um Shanghai, Motorsägen an, die zumindest äußerlich europäischen und japanischen Markengeräten ähneln.

Doch sind die Billigheimer oft nicht auf westlichem Standard, wie die Tests beweisen.

Das Material ist minderwertig, die Technik ebenfalls.

Kunststoffgriffe sind nicht aus hochwertigen Materialien wie etwa Durethan von Lanxess hergestellt, sondern aus einfachen Plastikgranulaten flott produziert. Mit der Folge, dass solche Griffe bei Reiß- und Stoßtests schneller zu Bruch gehen.

Dies gilt erst recht bei kalten Temperaturen wie jetzt im Winter. In die hiesigen Baumärkte gelangen die China-Sägen über mittelständische Importeure. Jeder Händler kann Chargen mit zehntausenden Geräten zu Stückpreisen von bereits 30 bis 40 US-Dollar über www.alibaba.com bestellen. Zu den Importeuren zählt auch die Firma Einhell aus Landau, die beim Test der Freiburger Marktaufsicht mit unrühmlichem Ergebnis vertreten ist.

Andere China-Importeure befinden sich in EU-Nachbarländern, was die Sache für Kontrolleure nicht einfacher macht. Denn wenn ein Gerät erst einmal in der EU in den Verkehr gebracht worden ist und ein Zulassungszertifikat – möglicherweise vom chinesischen Ableger eines britischen Zertifizierungsunternehmens – vorhanden ist, kann sie überall im Binnenmarkt vertrieben werden. Viele Probleme der Billigsägen sind unter Experten längst bekannt.

Doch für das Grauen aus dem Baumarkt fühlt sich offenkundig niemand richtig zuständig.

Das geht aus Briefwechseln zwischen Bundesumweltministerium, Bundeswirtschaftsministerium, Länderbehörden und Kraftfahrtbundesamt hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegen.

Das NRW-Umweltministerium räumt zudem ein, dass „aufgrund knapper Personalressourcen gezielte konzentrierte Überwachungsaktionen nicht möglich sind“. Das entbindet die Baumärkte jedoch nicht von ihren Pflichten, sagt Georg Abel, Bundesgeschäftsführer der Verbraucher Initiative: „Als wichtigster Ansprechpartner für den Verbraucher hat der Handel nicht nur die Pflicht, sondern kraft seiner Marktmacht auch die Möglichkeit, auf seine Lieferanten einzuwirken.“

Das sieht auch die Marktaufsicht so. Nach Erfahrungen des Regierungspräsidiums Darmstadt gibt es bei den meist aus China stammenden Motorsägen große Qualitätsschwankungen. Schon deshalb sollten die Importeure und Baumärkte im Interesse ihrer Kunden, so Ernst Kleberger vom Darmstädter Regierungspräsidium, bei jeder Containerlieferung eine Stichprobe entnehmen und überprüfen.

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