Nord-Stream-Chef Warnig "Klare Formeln"

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Geplante und bestehende Ost-West-Pipelines Quelle: Gazprom, eigene Recherchen

Viele Experten erwarten, dass über den Spotmarkt dauerhaft günstiger Gas bezogen werden kann als durch Pipelines.

Zurzeit ist die Marktentwicklung schwer abzusehen. Wenn China die Energieversorgung von Kohle auf Gas umstellt, um die prekäre Umweltsituation in den Griff zu bekommen, könnte es zwischen der Volksrepublik und Europa einen Wettbewerb um Flüssiggas geben. Das würde sich auf die Preise am Spot-Markt auswirken, nicht aber auf die Verträge zwischen Gazprom und deren Kunden in Europa.

Ohne neue Verträge dürften europäische Versorger kaum neue Vereinbarungen für Ihre Pipeline abschließen. Wie viel Prozent der Kapazität haben Sie verkauft?

Aktuell liegen uns Lieferverträge über 22 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr vor.

Das ist nicht einmal die Hälfte der möglichen Transportmenge. Ist das technisch überhaupt machbar?

Die Technik bereitet uns überhaupt keine Sorgen. Gazprom betreibt im russischen Wyborg eine Kompressor-Station, die für die 1200 Kilometer lange Unterwasserleitung den Druck aufbaut, der flexibel gehandhabt werden kann.

Rentabel arbeitet die Ostseepipeline bei so wenig Gas aber nicht.

Für uns als Transportdienstleister ist es egal, ob die Pipeline randvoll ist oder nicht. Wir haben mit Gazprom sogenannte Ship-or-Pay-Verträge abgeschlossen. Das heißt, der Kunde zahlt für 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, egal, ob er das Gas schickt oder nicht. Das ist ein üblicher Mechanismus bei langfristigen Infrastrukturprojekten. Anders hätten wir gar keine Finanzierung auf die Beine stellen können.

Die Risiken trägt also Gazprom. Wann hat sich die Pipeline amortisiert?

Nach 14 bis 15 Jahren, allerdings nur bei voller Auslastung der Kapazität.

Gazprom will auch die Pipeline South Stream durchs Schwarze Meer bauen. Wozu?

Nach meiner Erfahrung geht Gazprom sehr sorgsam mit jeder Investitionsentscheidung um. Der Bau einer Pipeline erfordert belastbare Aussagen über deren Auslastung – wenn es solche Prognosen nicht gibt, wird nicht investiert.

Zählt zu diesen "belastbaren Aussagen" auch die Behauptung von Gazprom- Aufsichtsratschef Viktor Subkow, der Kanzlerin Angela Merkel einen 30-prozentigen Anstieg des deutschen Gasbedarfs nach dem Atomausstieg voraussagte?

Ich kann diese Zahlen nicht belegen, und ich würde mich auch hüten, jetzt solche Prognosen zu wagen. In Deutschland wird derzeit ein tragfähiges energiepolitisches Konzept entwickelt. Und erst wenn wir eines haben, lässt sich der zusätzliche Importbedarf bei Gas kalkulieren.

Der russische Premierminister Wladimir Putin ist schon weiter und schlägt einen dritten Strang der Ostseepipeline vor.

Sie kennen doch die russische Mentalität, da ist man manchmal etwas sehr schnell. Auch ich bin überzeugt, dass Deutschland substanziell mehr Gas verbrauchen wird und somit auch mehr importieren muss. Schließlich steigt die Regierung aus der Kernenergie aus, will gleichzeitig den CO2-Ausstoß senken, aber ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aufs Spiel zu setzen. Es ist eine Illusion, dass wir alle diese Ziele nur auf der Basis erneuerbarer Energien unter einen Hut bringen können. Gas wird als Energieträger für die nächsten 20 bis 30 Jahre eine außerordentlich wichtige Rolle spielen.

Russland als Gaslieferant also auch?

Absolut ja, aber prozentual wird sich der Anteil Russlands an den Importen der EU-Länder nicht stark verändern. Bislang bezieht die EU 34 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland. Ich sehe nicht, dass dieser Anteil über 40 Prozent steigen wird. Es sei denn, Lieferanten wie Libyen fallen dauerhaft aus.

Deutschland bezieht bereits 40 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland. Können Sie nachvollziehen, dass eine zu große Abhängigkeit Sorgen bereitet?

Die russischen Exportströme gehen zu über 90 Prozent nach Westeuropa. Insofern ist Russland eher noch abhängiger von Europa als umgekehrt.

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