Nord-Stream-Chef Warnig "Klare Formeln"

Der Chef des Ostseepipeline-Betreibers Nord Stream, Matthias Warnig, pocht auf die Ölpreisbindung russischen Erdgases.

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Matthias Warnig, Chef des Ostseepipeline-Betreibers Nord Stream Quelle: Fyodor Savintsev für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Warnig, ab Ende Oktober wollen Sie russisches Gas durch die Ostsee in deutsche Keller pumpen. Gleichzeitig schimpfen Gazprom-Kunden über die hohen russischen Gaspreise. Kein guter Zeitpunkt, um die Pipeline in Betrieb zu nehmen?

Warnig: Das Datum ist ideal, bei der ersten Röhre liegen wir exakt im Zeitplan, beim Bau der zweiten Röhre sind wir dem Plan sogar voraus. Der Winter steht bevor, und der Gasbedarf steigt.

Länder wie Katar liefern mit Tankern immer mehr verflüssigtes Gas nach Europa, um es auf dem Spotmarkt billiger als russisches Gas aus der Röhre zu verkaufen. Wer braucht da noch Ihre Ostseepipeline?

Lassen wir doch die Fakten sprechen. Die EU-Länder decken rund ein Drittel ihres Bedarfs mit Gas aus Russland, Katar liefert vier bis fünf Prozent. In den vergangenen Monaten fiel Libyen als Lieferant aus. Die Import-Lücke hat unter anderem auch Gazprom geschlossen, denn am Spotmarkt stiegen plötzlich die Preise. Für die Versorgungssicherheit der EU ist Russland und auch die Ostseepipeline wichtig...

...aber auch eine Last. E.On hat die Bestellmenge über die Ostseepipeline reduziert und will die hohen Gaspreise nicht zahlen. Die Konzerntochter Ruhrgas klagt vor dem Stockholmer Schiedsgericht.

Das ist ein ganz normaler Vorgang. Nicht nur E.On, auch andere große europäische Unternehmen ringen mit Gazprom um neue Vertragsdetails. Niemand zweifelt an Gazprom als Lieferanten.

Die Kunden rütteln an der Preisformel, wonach Erdgas dem Ölpreis folgt und die Russen nur jene Abnehmer beliefern, die sich langfristig zur Abnahme von Mindestmengen verpflichten. Ist das noch zeitgemäß, wenn an den Spotmärkten das Prinzip von Angebot und Nachfrage regiert?

Sicherlich gibt es Veränderungen im globalen Gasmarkt. Die USA sind von einem Importeur zum Selbstversorger geworden, Katar tritt mit großen Flüssiggas-Kapazitäten auf den Markt. Die neue Situation muss Gazprom in den Verträgen berücksichtigen. Aber wir hatten in den vergangenen 40 Jahren eine Preisformel, mit der alle Parteien ausgesprochen gut leben konnten. Ich halte nichts von Schnellschüssen, die erprobte Praktiken infrage stellen, ohne dass tragfähige Alternativen existieren.

Wird die Ölpreisbindung fallen?

Ich glaube nicht, dass die Ölpreisbindung mittelfristig fällt...

...was heißt mittelfristig?

In den nächsten fünf bis zehn Jahren.

Warum nicht?

Ich sehe keine alternativen Konzepte, wie die Versorgung am Gasmarkt stabil geregelt werden könnte. Wir werden auch in Zukunft Langfristverträge mit klaren Preisformeln benötigen, um Investitionen in die Infrastruktur zu finanzieren.

Geplante und bestehende Ost-West-Pipelines Quelle: Gazprom, eigene Recherchen

Viele Experten erwarten, dass über den Spotmarkt dauerhaft günstiger Gas bezogen werden kann als durch Pipelines.

Zurzeit ist die Marktentwicklung schwer abzusehen. Wenn China die Energieversorgung von Kohle auf Gas umstellt, um die prekäre Umweltsituation in den Griff zu bekommen, könnte es zwischen der Volksrepublik und Europa einen Wettbewerb um Flüssiggas geben. Das würde sich auf die Preise am Spot-Markt auswirken, nicht aber auf die Verträge zwischen Gazprom und deren Kunden in Europa.

Ohne neue Verträge dürften europäische Versorger kaum neue Vereinbarungen für Ihre Pipeline abschließen. Wie viel Prozent der Kapazität haben Sie verkauft?

Aktuell liegen uns Lieferverträge über 22 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr vor.

Das ist nicht einmal die Hälfte der möglichen Transportmenge. Ist das technisch überhaupt machbar?

Die Technik bereitet uns überhaupt keine Sorgen. Gazprom betreibt im russischen Wyborg eine Kompressor-Station, die für die 1200 Kilometer lange Unterwasserleitung den Druck aufbaut, der flexibel gehandhabt werden kann.

Rentabel arbeitet die Ostseepipeline bei so wenig Gas aber nicht.

Für uns als Transportdienstleister ist es egal, ob die Pipeline randvoll ist oder nicht. Wir haben mit Gazprom sogenannte Ship-or-Pay-Verträge abgeschlossen. Das heißt, der Kunde zahlt für 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr, egal, ob er das Gas schickt oder nicht. Das ist ein üblicher Mechanismus bei langfristigen Infrastrukturprojekten. Anders hätten wir gar keine Finanzierung auf die Beine stellen können.

Die Risiken trägt also Gazprom. Wann hat sich die Pipeline amortisiert?

Nach 14 bis 15 Jahren, allerdings nur bei voller Auslastung der Kapazität.

Gazprom will auch die Pipeline South Stream durchs Schwarze Meer bauen. Wozu?

Nach meiner Erfahrung geht Gazprom sehr sorgsam mit jeder Investitionsentscheidung um. Der Bau einer Pipeline erfordert belastbare Aussagen über deren Auslastung – wenn es solche Prognosen nicht gibt, wird nicht investiert.

Zählt zu diesen "belastbaren Aussagen" auch die Behauptung von Gazprom- Aufsichtsratschef Viktor Subkow, der Kanzlerin Angela Merkel einen 30-prozentigen Anstieg des deutschen Gasbedarfs nach dem Atomausstieg voraussagte?

Ich kann diese Zahlen nicht belegen, und ich würde mich auch hüten, jetzt solche Prognosen zu wagen. In Deutschland wird derzeit ein tragfähiges energiepolitisches Konzept entwickelt. Und erst wenn wir eines haben, lässt sich der zusätzliche Importbedarf bei Gas kalkulieren.

Der russische Premierminister Wladimir Putin ist schon weiter und schlägt einen dritten Strang der Ostseepipeline vor.

Sie kennen doch die russische Mentalität, da ist man manchmal etwas sehr schnell. Auch ich bin überzeugt, dass Deutschland substanziell mehr Gas verbrauchen wird und somit auch mehr importieren muss. Schließlich steigt die Regierung aus der Kernenergie aus, will gleichzeitig den CO2-Ausstoß senken, aber ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie aufs Spiel zu setzen. Es ist eine Illusion, dass wir alle diese Ziele nur auf der Basis erneuerbarer Energien unter einen Hut bringen können. Gas wird als Energieträger für die nächsten 20 bis 30 Jahre eine außerordentlich wichtige Rolle spielen.

Russland als Gaslieferant also auch?

Absolut ja, aber prozentual wird sich der Anteil Russlands an den Importen der EU-Länder nicht stark verändern. Bislang bezieht die EU 34 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland. Ich sehe nicht, dass dieser Anteil über 40 Prozent steigen wird. Es sei denn, Lieferanten wie Libyen fallen dauerhaft aus.

Deutschland bezieht bereits 40 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland. Können Sie nachvollziehen, dass eine zu große Abhängigkeit Sorgen bereitet?

Die russischen Exportströme gehen zu über 90 Prozent nach Westeuropa. Insofern ist Russland eher noch abhängiger von Europa als umgekehrt.

Hinter Gazprom steckt aber der russische Staat, jedes Gasgeschäft hat sofort eine politische Dimension. Konnte Altbundeskanzler Gerhard Schröder als Nord-Stream-Aufsichtsratschef helfen, Vorbehalte der Europäer abzubauen?

Der ehemalige Bundeskanzler war mir persönlich eine große Hilfe. Und zwar mit seiner Erfahrung und Ratschlägen, wie man sich im politischen Umfeld platziert, wie man diplomatisch auftritt und wie man mit Ressentiments umgeht.

Hat Sie die deutsche Kritik an Schröders Engagement überrascht?

Die Kommunikation hätte hier besser vorbereitet werden können. Die Tätigkeit von Gerhard Schröder war aber in jeder Beziehung offen und transparent.

Die Ostseepipeline ist fertig, jetzt sind Sie nur noch Spediteur.

Na ja, wir müssen aber auch noch den zweiten Strang zu Ende bauen.

Können Sie sich vorstellen, die Projektgesellschaft für South Stream zu leiten?

Ich könnte mir vorstellen, dass ich ein neues Projekt anpacke. Welches das ist, weiß ich noch nicht. South Stream ist ja erst in Gründung und hat ja bereits einen Chef. Ich spekuliere nicht über Angebote, die ich nicht bekommen habe.

Sie sitzen im Aufsichtsrat einer ganzen Reihe russischer Unternehmen, darunter die Ölfördergesellschaft Rosneft und die Bank VTB, beim Pipeline-Betreiber Transneft haben Sie sogar den Vorsitz. Warum vertrauen die Russen einem Deutschen?

Ich bin seit fast 20 Jahren in diesem Land unterwegs, habe zwölf Jahre permanent hier gelebt und noch als Banker sämtliche Krisen miterlebt. Solche Erfahrungen sind enorm hilfreich für Aufgaben in den Aufsichtsräten.

Hat Ihnen die Freundschaft mit Premierminister Putin geholfen, die lukrativen Mandate zu bekommen?

Ich habe Putin im Herbst 1991 in Sankt Petersburg kennengelernt. Aus den beruflichen Kontakten während meiner Tätigkeit für die Dresdner Bank hat sich eine private Freundschaft entwickelt. Aber wir trennen private und geschäftliche Dinge sehr genau.

Was sagen Sie denjenigen, die Ihnen Ihre Stasi-Vergangenheit vorwerfen?

Ich habe diese Vergangenheit und stehe dazu. Aber ich kann verstehen, dass in Deutschland der eine oder andere eine distanzierte Haltung dazu hat. Das akzeptiere ich. In Russland ist das kein Thema.

Ist der Staat in Russland der bessere Unternehmer?

Ich bin aus eigenen Erfahrungen der Marktwirtschaft zugetan und skeptisch gegenüber der Rolle des Staates als Unternehmer. Ich habe den Zusammenbruch der DDR und ihrer Planwirtschaft erlebt.

Warum sitzen Sie dann ausgerechnet bei Staatskonzernen im Aufsichtsrat?

Wir vergessen im Westen oft, dass die Planwirtschaft in Russland erst seit 20 Jahren Geschichte ist. In Deutschland war die Post 50 Jahre ein Staatsbetrieb, die Bahn ist es bis heute. In Russland sind schon viele Sektoren komplett privatwirtschaftlich organisiert, die weitere Privatisierung ist eine Priorität der russischen Wirtschaftspolitik. Wenn ich mit meinen Erfahrungen in diesem Prozess etwas beitragen kann, wäre das für mich eine sehr schöne Aufgabe.

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