NS-Vergangenheit der Quandts "Man fühlt sich grauenvoll und schämt sich"

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"Ich wünschte, es wäre anders gewesen"

Herr Quandt, wie war das bei Ihnen?

Stefan Quandt: Ich war sechzehn, als mein Vater 1982 starb. Auch er hat über die NS-Zeit nie gesprochen. Selbst meine Mutter sagt, dass er mit ihr darüber nie gesprochen hat.

Ihr Vater war bereits während der Kriegsjahre Personalvorstand der Batteriefirma AFA, die später in Varta umgetauft wurde. Scholtyseck hat nun herausgefunden, dass er sich persönlich um den Bau eines Barackenlagers für KZ-Häftlinge gekümmert hat. Es ging um ein neues Werk, das in Schlesien geplant war, aber dann doch nicht mehr gebaut werden konnte.

Stefan Quandt: Das wussten wir nicht. Ich wusste, dass er in seiner Funktion mit der Organisation der Zwangsarbeit befasst war. Das müssen wir als Familie akzeptieren. Ich wünschte, es wäre anders gewesen.

Scholtyseck urteilt, Ihr Vater habe als Mitglied der Unternehmensleitung "unmittelbare Verantwortung für das begangene Unrecht". Akzeptieren Sie das?

Stefan Quandt: Seine Teilnahme am Unrechtssystem der Zwangsarbeit muss man wohl so einstufen. Auch wenn Professor Scholtyseck an anderer Stelle deutlich macht, dass man damals als Industrieller Zwangsarbeit nicht ablehnen konnte, schmerzt das.

Akzeptieren Sie auch das Urteil des unabhängigen Historikers, dass Ihr Großvater in Wahrheit kein Mitläufer war, wie eine Spruchkammer in seinem Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg urteilte, sondern "Teil des NS-Regimes"?

Stefan Quandt: Ich würde "Teil des NS-Systems" vorziehen. "Regime" interpretiere ich als politische Führung, zu der gehörte er nicht. Er hat die Möglichkeiten, die das System Industriellen bot, ausgenutzt, aber er hat nicht dessen ideologische Ziele mitverfolgt.

Gabriele Quandt: Wir glauben, dass unser Großvater ein leidenschaftlicher Unternehmer war, der in jedem System seinen Platz gefunden und behauptet hat. Natürlich würden wir uns wünschen, dass er, wenn er schon von den sogenannten Arisierungen profitieren konnte, wenigstens großzügiger gewesen wäre. Aber er hat es wohl eher als einen glücklichen Umstand bewertet, wenn er eine Firma günstig übernehmen konnte.

Günther Quandt war in einem bislang nicht bekannten Ausmaß an der Aneignung jüdischen Vermögens beteiligt. Er habe die Situation der jüdischen Firmeninhaber "bewusst und kühl" ausgenutzt, schreibt Joachim Scholtyseck. Er nennt ihren Großvater sogar "skrupellos".

Stefan Quandt: Dass unser Großvater über die Grenzen dessen, was man als Anstand oder Verhalten eines »ehrbaren Kaufmanns« bezeichnet, hinausgegangen ist, das sehe ich auch so. Betriebswirtschaftliches Fortkommen war für ihn das oberste Ziel.

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