Obst und Gemüse Das Comeback der historischen Sorten

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Mit der Sortenvielfalt geht ein Stück Kulturgut verloren

Die Vielfalt zu erhalten ist nicht immer ganz einfach. Über die Sorten, die zum Verzehr geeignet sind, befindet die Europäische Union. In der EU-Sortenzulassung werden Größe und Form der Gemüse festgelegt, die als Lebensmittel verkauft werden dürfen.

Mit literarischer Finesse und Ironie beschrieb einst Thomas Hoof, Gründer des Versenders Manufactum, in seinem Gartenkatalog die Umstände, die dazu führen könnten, dass die von Manufactum vertriebenen alten Kartoffelsorten doch austreiben, obwohl sie nur als Ansichtsexemplare vertrieben werden durften, weil sie ihre Sortenzulassung verloren hatten. Hoof ist schon lange nicht mehr an Manufactum, das zum Ottokonzern gehört, beteiligt. Geblieben ist das Angebot "Kartoffelraritäten 7 Sorten 2016", darunter die Angeliter Tannenzapfen unbekannten Alters oder die Schwarze Ungarin von vor 1900.

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Auch Ludwig Watschong musste jahrelang zum Vertrieb einiger Sorten den juristischen Spielraum voll ausnutzen. Erst 2009 trat die EU-Richtlinie, die sogenanntes Erhaltungssaatgut erlaubt, auch in Deutschland in Kraft. Seit mehr als 25 Jahren setzt Watschong sich für den Erhalt alter Nutzpflanzen ein. 1986 war er Mitbegründer des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt, heute arbeitet der Landwirt von der Oberweser als Produzent von biodynamischem Saatgut.

Zum Erhalt alter Sorten benötigt er weder Vakuumtüten noch Gefrierschränke. „Die Pflanzen brauchen die Evolution“, sagt Watschong, der das Spitzbergener Projekt dennoch begrüßt. „Aber die Pflanzen, die dort gesammelt werden, bekommen die Veränderungen in der Umwelt nicht mit“, meint Watschong. Auf seinen Anbauflächen und denen der anderen 13 Mitglieder der Vereinigung Dreschflegel sollen die Pflanzen Jahr für Jahr treiben, wachsen, blühen, Früchte tragen und wieder verblühen. So, glaubt Watschong, sei am besten gesichert, dass sich alte Sorten auch in Zukunft gut an ihre Umwelt anpassen.

Fast Food ohne schlechtes Gewissen?

Obwohl Dreschflegel übers Internet auch Samen für alte Blumen vertreibt, konzentrieren sich Watschong und seine Kollegen auf das biologische Erbe von Gemüse und Getreide, angefangen vom spitzen Rotkohl über die der Schwarzwurzel ähnlichen Haferwurzel bis hin zu einst bekannten Lagermöhren wie den Roten Riesen. Die Quellen sind Samenarchive wie in Gatersleben, aber auch die Bestände älterer Gartenfreunde.

So fand Watschongs Kollege Reinhard Ehrentraut rund um das ostfriesische Rhauderfehn Grünkohl-, Bohnen-, Schalotten- und Erbsensorten, die es als Saatgut nicht mehr zu kaufen gab. Oft wussten die Besitzer gar nicht, dass hinter ihrem Haus fast ausgestorben geglaubte Raritäten wuchsen. Gekauft und gepflanzt werden sie von jüngeren Hobbygärtnern mit Spaß und Leidenschaft für alte Sorten. „Die Jungen sehen, dass da ein Stück Kulturgut verloren geht“, sagt Watschong. „Das wollen sie verhindern.“

Manchmal verhilft ein bisschen nostalgische Sentimentalität Pflanzenarten zu neuem Erdreich unter den Wurzeln. Davon weiß Lorenz von Lorenzen zu erzählen, der mit drei Partnern in Teltow bei Berlin einen Zuchtbetrieb für alte Apfelsorten betreibt. Rund 500 Sorten haben sie angepflanzt, mehr als 50.000 kleine Stämme verlassen jedes Jahr den Betrieb.

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