Pharmaindustrie Ex-Chef greift Generikahersteller Ratiopharm an

Erst gefeuert, dann abgewiesen: Als neuer Chef des Generikaherstellers Actavis greift Claudio Albrecht seinen früheren Arbeitgeber Ratiopharm direkt an. Den Ulmer Pharmakonzern trifft das ausgerechnet in einer seiner größten Umbruchsphasen.

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Neustart im Rohbau: Als Chef von Actavis will Albrecht wieder vorn mitmischen Quelle: Christian Grund für WirtschaftsWoche

Vier Jahre nach seinem Rauswurf als Chef ist Claudio Albrecht plötzlich wieder da. Er ist nach Ulm gekommen, um noch einmal seinen einstigen Arbeitgeber zu besuchen: Ratiopharm, Deutschlands bekanntesten Hersteller nachgeahmter Medikamente, sogenannter Generika. Vor Dutzenden von Führungskräften präsentiert Albrecht ein Konzept, wie er das inzwischen zum Verkauf stehende Unternehmen übernehmen will. Er lockt mit Zusagen für den Standort, verspricht neue Arbeitsplätze, analysiert, charmiert und überzeugt durchaus. Danach plauscht er mit den früheren Kollegen über die guten alten Zeiten – und wie es mit Ratiopharm zuletzt immer weiter bergab gegangen sei.

Das war am Anfang dieses Jahres. Am Ende scheiterte Albrecht mit seinem Plan. Den Zuschlag für Ratiopharm erhielt im Frühjahr für 3,6 Milliarden Euro der israelische Wettbewerber Teva, der weltweit größte Generikahersteller. So viel Geld konnte Albrecht nicht bieten. Doch losgeworden ist Ratiopharm seinen früheren Haudegen an der Spitze auf diese Weise nicht – im Gegenteil. Albrecht könnte dem schwäbischen Unternehmen in israelischer Hand jetzt erst richtig gefährlich werden. Denn der 51-jährige Generika-Insider führt seit Juni Actavis, den fünftgrößten Generikahersteller der Welt. Der ist mit einem Umsatz von 1,8 Milliarden Euro nicht nur etwa gleich groß wie Ratiopharm. Für Albrecht ist der Job an der Actavis-Spitze zugleich die Gelegenheit, es seinem früheren Arbeitgeber noch mal zu zeigen.

Angriff auf Ratiopharm

Denn der kantige, selbstbewusste Manager schied im Unfrieden von Ratiopharm. Ende 2005 wurden Vorwürfe laut, Ratiopharm habe Ärzte bestochen. Der Chef musste eine Woche später gehen. Verklagt wurde Albrecht deswegen nie. Philipp Merckle, der zweitälteste Sohn des damaligen Eigentümers Adolf Merckle, übernahm die Leitung bei Ratiopharm. Der junge Merckle begründete die Trennung mit Differenzen in Führungsfragen. Albrecht, so scheint es, hat noch eine Rechnung in Ulm offen. Und die Chancen, dass der Ex-Ratiopharm-Chef Satisfaktion erhält, stehen gut. „Albrecht genießt in der Branche einen guten Ruf“, sagt Michael Brückner, Pharma-Experte und Partner bei der Unternehmensberatung Accenture. Kaum ein Manager kennt das Geschäft mit den patentfreien Billigpillen so gut wie der gebürtige Österreicher.

Mehr als 20 Jahre Berufserfahrung hat Albrecht in der Branche gesammelt, vor Ratiopharm etwa beim Schweizer Generikahersteller Sandoz. Die Deutsche Bank sicherte sich vor über einem Jahr die Dienste des damaligen Beraters, nachdem sie sich bei Actavis finanziell engagiert hatte. Als Ratiopharm-Chef verdoppelte Albrecht einst zwischen 2000 und 2005 den Umsatz und formte aus dem Ulmer Generikahersteller ein international anerkanntes Unternehmen. Nach seinem Abgang in Ulm zog sich der Dynamiker mit dem markanten Kurzhaarschnitt erst mal zurück, baute ein Haus in seiner Heimatstadt Innsbruck, gründete in der slowakischen Hauptstadt Bratislava eine Unternehmensberatung namens CoMeth und unterstützte Generikahersteller bei Übernahmen sowie strategischen Planungen.

Als Chef von Actavis hat er nun wieder eine richtige Aufgabe – und greift gleich an. Der Coup trifft Ratiopharm in einer der größten Umbrüche ihrer Geschichte. Die Schwaben müssen sich darauf einstellen, bei Teva nicht die große Rolle zu spielen, die sie sich erhofften. Teva-Chef Shlomo Yanai hatte zunächst in Aussicht gestellt, die Europazentrale des israelischen Konzerns von den Niederlanden nach Ulm zu verlegen. Doch daraus wird nichts, wie sich bereits kurz nach der Übernahme abzeichnete. Nur einige Funktionen – die Forschung und Entwicklung an chemischen Generika, Logistik und IT – werden künftig aus Ulm gesteuert.

Gleichzeitig schneidet Teva tief in die Ratiopharm-Belegschaft. Bis zu 600 der 3500 Stellen sollen in Deutschland wegfallen. Die Standorte in Mannheim und im sächsischen Radebeul werden geschlossen. Allein in Radebeul, dem einstigen Zentrum der DDR-Arzneiforschung, sind 130 Jobs betroffen. Eingeweihte Ratiopharmer wissen, dass ihnen das unter Albrecht und Actavis in einem solchen Umfang nicht passiert wäre. Hätte Actavis den Zuschlag erhalten, wäre der Stellenabbau allein schon deswegen geringer ausgefallen, weil Actavis bislang in Deutschland kaum vertreten war. Zudem hätte Actavis, wie Albrecht bei seiner Präsentation vor den Führungs-kräften in Ulm angedeutet hatte, bei einer Übernahme die Konzernzentrale von Hafnarfjördur bei Reyjkjavik nach Ulm verlegt. Nun aber wird der Chef von damals seinem Konkurrenten von heute das Leben so schwer wie möglich machen. Albrecht will in den nächsten Jahren mit Actavis jährlich um acht bis zehn Prozent wachsen, das ist besser als der Marktdurchschnitt. Ähnliches hatte sich Ratiopharm vorgenommen – ein Zweikampf ist programmiert.

Grafik: Generikahersteller

Der Wettstreit wird vor allem bei den sogenannten Biogenerika entbrennen. Die Nachahmerpräparate biotechnologisch hergestellter Medikamente gelten als die gewinnträchtigen Präparate von morgen. Biogenerika sind teurer und komplexer in der Herstellung, dafür können die Hersteller aber höhere Preise verlangen und entsprechend mehr verdienen. 13 Biogenerika haben es bislang auf den deutschen Markt geschafft, darunter auch zwei Präparate von Ratiopharm – zur Behandlung von Krebs und von Blutarmut. Actavis muss hier bisher passen. Das soll jedoch nicht so bleiben.„Wir verfügen über kein eigenes Biogenerikum“, räumt Albrecht zwar ein. Dafür prüft er jedoch, ob Actavis ein Joint Ven-ture mit dem Schweizer Unternehmen BioPartners eingehen kann, das bereits ein nachgebautes Wachstumshormon erfolgreich durch die Zulassung brachte und noch weitere Biogenerika entwickelt. Jedenfalls steht für Albrecht fest: „Wir wollen neben Teva und Sandoz zu den führenden Anbietern von Biogenerika zählen.“

So will der Ex-Ratiopharm-Chef in Bälde erfolgreiche Krebsmittel und Insuline nachbauen lassen. Zu diesem Zweck hat er das Insulin-Geschäft des polnischen Unternehmens Bioton, der Muttergesellschaft von BioPartners, ins Visier genommen – und kürzlich eine Absichtserklärung für eine Kooperation unterzeichnet. Biotech-Unternehmen, die sich die teure Vermarktung ihrer Medikamente nicht leisten können, bietet er Actavis als Partner an. Parallel dazu durchkämmt Albrecht wie ein Trüffelschwein den Medikamentenmarkt nach günstigen Gelegenheiten – und trifft dabei, natürlich, immer wieder auf Ratiopharm und Teva. So möchte Albrecht das Geschäft mit generischen Verhütungsmitteln ausbauen. Ein Geschäft, in dem Teva bereits erfolgreich die Verhütungspille Yaz von Bayer nachahmt.

Jagd auf Ratiopharm erfordert Ausdauer

Einfach wird es für den ehemaligen Ratiopharm-Chef allerdings nicht werden, im Revier seines früheren Arbeitgebers zu wildern. Sven Dethlefs, der neue Ratiopharm-Chef, will jedenfalls wieder durchstarten und verlorenes Terrain gutmachen. Jahrelang war der Ulmer Generikahersteller durch Machtkämpfe zwischen Sohn Philipp und Vater Adolf Merckle, durch Personalquerelen und schließlich durch den Verkauf, der sich zwölf Monate lang hinzog, paralysiert. Die Marktführerschaft in Deutschland hat Ratiopharm bereits vor Jahren an Hexal verloren – und bislang noch nicht wieder zurückerobert.

Ex-McKinsey-Berater Dethlefs hat mit dem neuen Ratiopharm-Eigentümer Teva einen Konzern über sich, der bei der Konkurrenz für eine aggressive Gangart und Klagefreudigkeit bekannt ist. Auch sein Vorgänger Albrecht bringt den Israelis viel Respekt entgegen: „Die sind schlagkräftig und dezentral gut organisiert.“ Albrecht muss sich deshalb darauf einstellen, dass die Jagd viel Ausdauer erfordert. Denn während Actavis wachsen soll, muss Albrecht dort zugleich für Ordnung sorgen. „In den vergangenen Jahren hat das Unternehmen wie wild zugekauft“, sagt er. Deshalb müsse er erst mal den entstandenen Wildwuchs beschneiden und Synergien heben. Außerdem heißt es, den Schuldenberg von über vier Milliarden Euro weiter abzutragen. Die Zentrale von Actavis hat Albrecht gerade – statt nach Ulm – in den schweizerischen Kanton Zug verlegt.

Wenn das Gröbste erledigt ist, kann sich Albrecht eine ganz große Aktion vorstellen. „In einigen Jahren schließe ich eine Fusion nicht aus“, sagt er. „Das gilt für alle Generikaunternehmen am Markt, da die Konsolidierung der Branche rasant voranschreitet.“ Um dieses Ziel zu erreichen, könnte sich Albrecht zum Beispiel mit Stada verbinden. Das Unternehmen im hessischen Bad Vilbel ist der letzte unabhängige deutsche Generikahersteller von Bedeutung; die Aktien des Unternehmens sind breit gestreut. Verbindungen zu einem möglichen Finanzier hat Albrecht durch seine Tätigkeit für die Deutsche Bank jedenfalls schon. Mit Stada wäre er dann tatsächlich der große Gegenspieler seines Ex-Arbeitgebers Ratiopharm.

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