Pillen-Klagen Der Feel-Bad-Faktor: Patienten verklagen Pharmariesen

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Rosemarie Herbermann Quelle: Bernd Auers für WirtschaftsWoche

Schröders Frau hat sich vor fünf Jahren umgebracht. Ihr Mann sagt, dass sie an leichten Depressionen litt und dagegen das Pfizer-Mittel Zoloft nahm. Zwischen der Pille und der Selbsttötung seiner Frau sieht Schröder einen Zusammenhang. Er fand Hinweise, dass Wissenschaftler und Zulassungsbehörden das Präparat Zoloft schon etliche Jahre zuvor mit Suiziden in Verbindung brachten. Pfizer, so Schröders Verdacht, habe nicht rechtzeitig über das Risiko informiert. Im Sommer 2009 landete der Rheinländer einen sensationellen Erfolg. Er erhielt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn die Erlaubnis, die Zoloft-Akten – inklusive der Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen – einzusehen. Das war das erste Mal, dass die Zulassungsbehörde einem solchen Antrag auf Akteneinsicht stattgab. Zwei Tage lang stöbert Schröder zusammen mit der Tochter seiner verstorbenen Frau, Anwalt Heynemann und dem früheren Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Professor Bruno Müller-Oerlinghausen, 75 Leitz-Ordner durch.

Dabei stieß der Trupp auf brisantes Material. In einem Schreiben aus dem Jahr 1997 etwa hatte die Behörde Pfizer vorgeschlagen, im Beipackzettel auf die Suizidgefahr hinzuweisen. Doch es passierte nichts. Im März 2004 forderte die US-Zulassungsbehörde FDA Pfizer auf, bei Zoloft auf ein erhöhtes Risiko unter Kindern und Jugendlichen hinzuweisen. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sorgte sich damals bereits wegen der Suizidfälle. Erst im Sommer 2005 änderte Pfizer, nach einem Beschluss der europäischen Arzneibehörde, den Beipackzettel – zu spät für Schröders Frau, die sich kurz zuvor umgebracht hatte.

"Wir bedauern den Verlust, den die Kläger durch den Suizid erleiden mussten", schreibt Pfizer in einer Stellungnahme an die WirtschaftsWoche. „Wir haben die konkreten Umstände genauestens überprüft. Anhaltspunkte für die Annahme eines Kausalzusammenhangs mit der Einnahme des Medikaments Zoloft haben sich dabei nicht ergeben.“

Streit um Studien

Eine ähnliche Klage wie bei Zoloft steht – wegen des Verhütungsmittels Yasminelle – nun auch Bayer bevor. Die Badenerin Rohrer, die nach Einnahme der Pille 20 Minuten lang klinisch tot war, lässt sich gemeinsam mit der 28-jährigen Kathrin Weigele aus Regensburg, die ebenfalls an schweren Komplikationen litt, von der Kanzlei Dr. Burkhard Schulze und Kollegen vertreten. Das Anwaltsbüro aus Weiden in der Oberpfalz ist spezialisiert auf Haftungsfälle in der Medizin.

Die jungen Frauen halten auch Kontakt zu weiteren mutmaßlichen Yasmin-Opfern. Sie werfen Bayer vor, dass die Pillen aus der Yasmin-Produktfamilie das Thromboserisiko erhöhen und dass der Konzern darüber nicht rechtzeitig informiert habe. Seit dem Jahr 2000 werden in Deutschland zwölf Todesfälle mit Yasmin in Verbindung gebracht, weltweit sollen es 190 sein. In den USA sieht sich Bayer mit 2700 Yasmin-Klagen – wegen schwerwiegender Nebenwirkungen – konfrontiert.

Bayer sieht den Zusammenhang zu den Todesfällen und schweren Komplikationen als nicht erwiesen an. Das grundsätzliche Thromboserisiko bei allen Verhütungspillen sei bekannt. Zwei vom Unternehmen finanzierte Studien kommen zu dem Schluss, dass die Yasmin-Präparate – mit dem Wirkstoff Drospirenon – kein höheres Risiko aufweisen als andere Pillen.

Mit solchen Argumenten kommen Pharmaunternehmen inzwischen aber immer weniger durch. Sehr zum Leidwesen von Bayer argumentierten nämlich unabhängige dänische und holländische Wissenschaftler, das Risikoprofil älterer Anti-Baby-Pillen mit dem Wirkstoff Levenorgestrel falle deutlich günstiger aus das von Yasmin.

Bundesinstitut entkräftet Bayer-Argumente

Zwar versuchte Bayer die Kritik herunterzuspielen. Die dänische Studie weise erhebliche Mängel auf. Wichtige Faktoren wie Übergewicht und familiäre Vorbelastungen seien nicht berücksichtigt worden. Der holländischen Studie fehle es an statistischer Signifikanz, das heißt letztlich an der Beweiskraft.

Allerdings entkräftet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Argumente von Bayer. "Die Studien haben Mängel, aber sie sind nicht erheblich", sagt Ulrich Hagemann, Pharmazeut und Abteilungsleiter der Behörde. "Wir haben aus den Studienergebnissen den Schluss gezogen, dass die Änderung der Packungsbeilage der Yasmin-Familie notwendig ist."

Im Frühjahr dieses Jahres änderte der Bayer-Konzern schließlich den Text für die Beipackzettel ab – die beiden für den Konzern ungünstigen Studienergebnisse finden dort künftig auch Erwähnung. In den USA musste das Unternehmen sogar einen Werbespot für Yasmin korrigieren, der die positiven Wirkungen übertrieben hatte. Einst wurde das Verhütungspräparat gar als "Pille mit Feel-Good-Faktor" beworben.

Auch Felicitas Rohrer hatte die Pille eingenommen, weil sie angeblich schonender wirke. Ihre folgende Leidensgeschichte hat sie den Aktionären und Managern auf der Bayer-Hauptversammlung in Köln deutlich geschildert; während ihres Vortrags ist es sehr still. Die Aktionäre, die noch im Saal sind, schauen nachdenklich.

Draußen, im Foyer des Versammlungssaals hat Bayer eine Werbetafel aufbauen lassen. Glückliche junge Frauen sind dort zu sehen. Darüber steht geschrieben: "Eine kleine Pille verändert die Welt für immer." Felicitas Rohrer glaubt, dass die Verhütungspille Yasminelle ihre Welt ganz besonders verändert hat. Doch sie will nicht aufgeben. Die Klage gegen Bayer soll demnächst rausgehen.

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