Pillen-Klagen Der Feel-Bad-Faktor: Patienten verklagen Pharmariesen

Die Pharmaindustrie muss sich auf schwerere Zeiten einstellen. Mutmaßliche Medikamenten-Opfer gehen vor allem in Deutschland dazu über, Konzerne wie Bayer, Pfizer oder Merck & Co. verstärkt zu verklagen. Die Folgen für die Unternehmen sind kaum kalkulierbar.

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Lothar Schröder Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche

Lothar Schröder will endlich Gewissheit. Er ist sicher, dass Zoloft, seine Frau in den Tod getrieben hat. Zoloft ist ein Mittel gegen Depressionen, das der US-Pharmakonzern Pfizer herstellt. Weil der die tödliche Nebenwirkung bestreitet, zieht der 47-jährige Mathematiker aus Dormagen bei Köln nun vor Gericht. Schröder verlangt von dem größten Arzneimittelhersteller der Welt, dass er Auskunft über die Gefahren gibt, die mit der Einnahme von Zoloft verbunden sind. Er verklagt den Konzern wegen fahrlässiger Tötung, verlangt Schadensersatz.

Die 61-jährige Rosemarie Herbermann aus der Nähe von München, streitet seit Jahren gegen MSD Sharp & Dohme vor Gericht. Das Unternehmen ist eine Tochter des US-Konzerns Merck & Co., der das umstrittene Schmerzmittel Vioxx produzierte und es 2004 wegen des Verdachts auf teilweise tödliche Nebenwirkungen vom Markt nahm. Herbermann erlitt vor Jahren einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall – beides führt sie auf Vioxx zurück. In den USA hat das Unternehmen Milliarden für einen gerichtlichen Vergleich bezahlt. Die frühere Vorstandssekretärin ist eine von über 100 Klägern, die nun erreichen wollen, dass Merck & Co. endlich auch in Deutschland zahlen muss.

Badenerin will sich mit Bayer anlegen

Felicitas Rohrer, eine gelernte Tierärztin aus Bad Säckingen im Südwesten Deutschlands, wird sich demnächst mit dem Bayer-Konzern rechtlich anlegen. "Bayer hat mein Leben zerstört", sagt die heute 26-jährige Frau. Sie fühlt sich als Opfer der Bayer-Verhütungspille Yasminelle, die sie eingenommen hat. Rohrer erlitt eine doppelte Lungenembolie. In ihren beiden Lungenflügeln bildeten sich Blutgerinnsel, sie verlor das Bewusstsein und war 20 Minuten lang klinisch tot. In einer dramatischen Aktion öffneten die Ärzte ihren Brustkorb und retteten sie. Das war vor etwa einem Jahr. Heute kann die Badenerin nicht lange stehen, sitzen oder sich konzentrieren, sie leidet unter Albträumen und Angstzuständen und kann, solange sie zur Verhinderung weiterer Thrombosen einen Blutverdünner einnehmen muss, keine Kinder bekommen.

Die Jahre zuvor hatte sie sich stets gesund ernährt, Sport getrieben und nie geraucht, sagt Rohrer. "Es gibt keinen anderen Grund für die Embolie als die Pille", ist sie überzeugt. Deshalb will die Badenerin in den nächsten Wochen Bayer auf Schadensersatz verklagen. "Die Klage geht bald raus", sagt ihr Anwalt Martin Jensch. Rohrer sieht gute Erfolgsaussichten, weil die Bayer-Verhütungspillen aus der Yasmin-Produktfamilie (Yasmin, Yasminelle, Yaz) auch in anderen Ländern mit Todesfällen und schwerwiegenden Nebenwirkungen in Verbindung gebracht werden.

Sowohl Pfizer, Bayer als auch MSD Sharp & Dohme bestreiten die Vorwürfe.

Pharmakonzerne gehen schweren Zeiten entgegen

Doch die Pharmakonzerne gehen – gerade auch in Deutschland – schwereren Zeiten entgegen. Immer mehr mutmaßliche Medikamenten-Opfer nehmen sich Anwälte und gehen gegen die mächtigen Pillenunternehmen vor. Durch die Klagen drohen den Medikamentenherstellern nun Imageschäden und Schadensersatzzahlungen. Zunehmend entscheiden die Gerichte in Deutschland – anders als früher – zugunsten der Kläger.

Die finanziellen Risiken der Pharmahersteller steigen. Der Umsatz der Bayer-Pille Yasmin etwa ist im zweiten Quartal weltweit um elf Prozent eingebrochen. Zwar mussten die Leverkusener sich in diesem Zeitraum gegen ein neues Konkurrenzpräparat des israelischen Herstellers Teva zur Wehr setzen. Doch zur Erlösminderung dürfte auch beigetragen haben, dass die Pillen aus der Yasmin-Produktfamilie in den USA, der Schweiz und Deutschland mit Todesfällen und schweren Komplikationen wie Embolien in Verbindung gebracht werden. In den Vereinigten Staaten sind derzeit etwa 2700 Klagen anhängig. Dabei zählen die Verhütungspillen zu den Spitzenpräparaten des Leverkusener Konzerns – allein 2009 brachten die Yasmin-Pillen einen Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro ein.

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