Plagiate Produktpiraten auf der Spur

Produktion in Billiglohnländern hat ihren Preis: Fälscherbanden stehlen westliches Know-How und fabrizieren damit Plagiate. 35 Milliarden Euro jährlich kostet das allein die europäische Konsumgüterindustrie.

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Die meisten Aussteller der Quelle: AP

Neil Narriman arbeitet verdeckt. Ist er beruflich unterwegs, verrät er über sich so wenig wie möglich – am liebsten aber nichts. So mischte er sich vergangenes Wochenende mit seiner Kollegin Ina Schlauß unter die Fachbesucher der Düsseldorfer Global Shoes, einer Leitmesse für Massenschuhware. „Where are you from, guys?“, fragen zwei chinesische Aussteller die beiden, als sie deren Stand betreten. „Germany“, antwortet Narriman. Die Chinesen lachen, haken aber nicht weiter nach. Narriaman und Schlauß schlendern an den Schuhregalen vorbei, schauen sich die Produkte an und verlassen den Stand wieder. Nichts gefunden.

Die beiden sind auf der Suche nach Plagiaten und arbeiten als Markenschützer für den Sportartikelhersteller Puma. 50 Modelle etwa werden Narriman und Schlauß an diesem Wochenende auf der Global Shoes finden, die entweder das Markenrecht Pumas verletzen oder die eingetragen Geschmacksmuster, also Designs, des Unternehmens imitieren. Auf rund 35 Milliarden Euro jährlich schätzt die Unternehmensberatung Ernst&Young den Schaden, der der europäischen Konsumgüterindustrie durch Produktpiraterie entsteht. Damit verliert sie jedes Jahr zwei Prozent ihres Umsatzes.

600 Milliarden verdienen Fälscher mit Plagiaten

Der Zoll wird dieses Wochenende insgesamt 338 Schuhplagiate auf der Messe sicherstellen. Allein vergangenes Jahr beschlagnahmte der Zoll in Deutschland Kopien im Wert von mehr als 363 Millionen Euro. Zwar stellen Schuhe nur etwa dreieinhalb Prozent der sichergestellten Fälschungen dar, doch machen sie einen Löwenanteil an deren Gesamtwert aus. Mit 28 Prozent liegen Schuhe nach Accessoires, wie Handtaschen und Sonnenbrillen, auf dem zweiten Platz. Allein die beschlagnahmten Sportschuhe hatten einen Wert von mehr als 80 Millionen Euro. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich deutlich höher, da der europäische Zoll weniger als fünf Prozent der Waren im Umlauf kontrolliert. Eine Studie der Internationalen Handelskammer schätzt den Umsatz mit gefälschten Produkten weltweit auf rund 600 Milliarden Dollar.

Gegen diese Schäden kämpft etwa Neil Narriman. Seine Einsatzorte sind Gerichtssäle, fliegende Märkte in der Türkei - oder die Global Shoes in Düsseldorf. Die Massenschuhmesse findet gleichzeitig zur GDS statt, eine der weltweit größten Schuhmessen. Das wirkt anziehend auf Produktpiraten. Zweimal jährlich durchforstet Narriman die Messe – und das schon seit fünf Jahren. Personaltechnisch sei es nicht möglich alle sechs Monate jemand anderes auf die Messe zu schicken. Denn egal wie unauffällig er sich unter die Einkäufer von Aldi, Lidl oder Tchibo mischt – für manche Aussteller ist er ein bekanntes Gesicht. „Teils begrüßen Sie einen freundlich, teils spürt man ihre bohrenden Blicke“, sagt Narriman.

Als er am ersten Messetag den Stand eines Ausstellers betritt, wo er schon mal Plagiate entdeckt hat, begrüßt ihn etwa ein Mitarbeiter freundlich mit Handschlag. Er bittet Narriman gestenreich einzutreten und ihm die Modelle zu zeigen, die der Markenschützer zu beanstanden hat. Sofort nimmt der Aussteller die Plagiate aus den Regalen. So viel Entgegenkommen wird belohnt: „Gegen diesen Aussteller werden wir nichts unternehmen“, sagt Narriman. „Es geht nicht darum Strafen zu verhängen, sondern die Verbraucher vor Plagiaten zu schützen."

Zollfahnder sind auf die Unternehmen angewiesen

Bei den anderen Ausstellern, die Puma-Fälschungen anpreisen, macht sich Ina Schlauß Notizen, um die Entdeckungen beim Zollfahndungsamt Essen zu melden. Auf die Expertise der Markenschützer sind die Zollfahnder angewiesen. „Man braucht da Spezialisten, die sich auskennen“, sagt Ulrich Schulze, Sprecher des Zollfahndungsamtes. „Woher sollen unsere Kollegen denn erkennen, dass gerade diese Modelle eigentlich von Firma XY sind?“ Am zweiten Messetag findet dann die Razzia statt: Die Markenschützer von Puma, Adidas und anderen Betroffenen gehen mit den Zollfahndern in Zivil, bewaffneten Zollbeamten als Schutz und der Staatsanwaltschaft durch die Messehallen.

Die meisten Aussteller der Global Shoes kommen aus Asien, hauptsächlich China. Deshalb gehören auch Dolmetscher zur Kolonne. „In dem Moment, wo wir bei den Ständen auftauchen, haben die Aussteller auf einmal ihr Englisch vergessen“, erklärt Schulze. „Es werden tausend Entschuldigungen gesucht. Zum Beispiel, dass man ja nur ausführendes Organ sei und die Firma im Mutterland schuld ist.“ Um das Team bilden sich dann neugierige Menschentrauben, manche Gaffer hasten plötzlich zu ihren Ständen zurück. „Wenn sich jemand verdächtig verhält, schauen wir uns den natürlich genauer an.“

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